Was wir lesen
Wissen, was wir lesen "Unsichtbar und Überall: Den Geheimnissen des Erdmagnetfelds auf der Spur"
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06. Januar 2021, 08:16 Uhr
Als "Abenteuergeschichte, voller Entdeckungsgeist und Forschungsdrang, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch menschlich erstaunlich ist" – so liest sich das Buch "Unsichtbar und Überall", sagt MDR WISSEN-Redakteur Daniel Schlechter. Warum das Thema Erdmagnetfeld so spannend sein kann und warum es uns alle betrifft, beschreibt er in seinen Antworten auf unsere fünf Fragen. Wissen, was wir lesen.
Worum geht es?
Um eine, wenn nicht die unsichtbare Superkraft unseres Planeten, die nicht nur alles Leben auf der Erde überhaupt erst ermöglicht, sondern es auch maßgeblich prägt. Dass z.B. Navigation etwas mit dem Erdmagnetfeld zu tun hat, dürfte vielen bereits vor der Lektüre bekannt sein. Dass aber schon vor tausenden von Jahren chinesische Tempel nach dem Erdmagnetfeld ausgerichtet wurden und heute an den Spuren ihrer Fundamente archäologisch abgelesen werden kann, wie sich dieses Magnetfeld über die Jahrhunderte verschoben hat, das ist schon ein verblüffendes Stück Wissenschaftshistorie. Und dabei handelt es sich nur um die Spitze des Magnet-, Verzeihung, Eisbergs der Geschichte vom Erdmagnetfeld.
Diese Geschichte ist gespickt von den abenteuerlichsten Annahmen, Theorien und Forschungen von Alchemisten, Entdeckern und (auffällig wenig weiblichen) Wissenschaftlern, die allesamt nach Erklärungen dafür suchten, warum sich etwa eine Holzente mit Eisennase (die Vorläuferin des Kompass‘) im Wasser wie von Zauberhand überall auf der Welt immer in dieselbe Richtung (Norden) dreht. Schon frühzeitig erkannten die Menschen, dass sie von einer geheimnisvollen Kraft umgeben sind, deren Entschlüsselung große Macht mit sich bringen würde. Doch dieser Weg zur Erkenntnis sollte Jahrtausende dauern und immer genau parallel zum aktuellen Weltbild der Menschheit verlaufen. So ist die Geschichte von der Erforschung des Erdmagnetfelds auch eine Geschichte von der Evolution der Wissenschaft.
Von den recht schlanken 250 Seiten nimmt diese sehr wendungsreiche Entdeckungsgeschichte die erste Hälfte ein. In der zweiten Hälfte hebt die Autorin ihren Blick auf den heutigen Stand der Wissenschaft und erklärt trotzdem sehr einfach und allgemein verständlich, wie denn jetzt genau das Magnetfeld unserer Erde funktioniert. Dafür bewegt sich die Erzählung nicht mehr nur durch die Zeit, sondern ebenso durch den Raum: Angefangen auf atomarer Ebene, bei der elektromagnetischen Wechselwirkung als eine der vier Fundamentalkräfte der Physik, werden die bildhaften Erklärungen immer größer, reisen einmal bis zur Sonne und zurück, bis sie schließlich in die Tiefe gehen und zum (wahren) Mittelpunkt der Erde vordringen.
Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?
Die Geschichte von der Erforschung des Erdmagnetfelds wird in diesem Buch als ebensolche erzählt: Als Abenteuergeschichte, voller Entdeckungsgeist und Forschungsdrang, die nicht nur wissenschaftlich, sondern auch menschlich erstaunlich ist, denn jeder Schritt in dieser Geschichte vollzieht sich in Form entweder eines für seine Zeit genialen Einfalls oder einer hanebüchenen Verirrung – die jedoch ebenso für ihre Zeit absolut nachvollziehbar erscheint.
So wird in diesem Buch schon fast anekdotenhaft erzählt, wie die Menschheit sowohl zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen als auch zu ihren krudesten Theorien über das Erdmagnetfeld gekommen ist. Ein kleiner Vorgeschmack: Letztere reichen von einem riesigen magischen Magnetberg im hohen Norden bis hin zu einer zweiten magnetischen Erdkugel im Inneren unserer vermeintlich hohlen Erde, die genauso wie unsere Oberfläche von Flora und Fauna belebt sein könnte. Und diese Annahme liegt weniger weit zurück, als Sie jetzt denken.
Wer hat's geschrieben?
Die Wissenschaftsjournalistin Anke Wilde, die neben dem Printbereich auch das Radio ihr Zuhause nennt und seit 2009 über Themen aus den Geowissenschaften, der Molekularbiologie und der Wissenschaftsgeschichte berichtet.
Wie ist es geschrieben?
Sehr einfach und allgemein verständlich – an diesem Buch haben sowohl Physik- und Geographiebegeisterte als auch absolute Laien ihre Freude. Die Autorin erzählt ihre Geschichte in zugänglicher, aber doch präziser Sprache und geht dabei genauso weit ins Detail, wie das Verständnis von Nicht-Fachleuten reicht. So erklärt sie z.B. zum grundlegenden Verständnis des bevorstehenden Buches bereits in der Einleitung das Prinzip der elektromagnetischen Wechselwirkung, also warum Dinge überhaupt magnetisch sind, und bleibt dabei so verständlich, dass man gar nicht merkt, wie leicht man gerade eine der vier Fundamentalkräfte der Physik relativ gut verstanden hat. Dass sie dabei genau an der Schwelle zur Quantenphysik haltmacht, erscheint in diesem Kontext absolut nicht unvollständig, sondern, im Gegenteil, lesefreundlich.
Was bleibt hängen?
Wer sich im 18. und 19. Jahrhundert mit dem Erdmagnetfeld befasste, konnte sich eigentlich nur die Zähne ausbeißen. Das Erdmagnetfeld präsentierte sich mit einem riesigen Fragezeichen, das sich mal in die eine, mal in die andere Richtung schlängelte. Und wenn es mal einer zu packen glaubte, dann zerstob es und formte sich wieder neu. Vermutungen und Interpretationen konnten fast nur ins Blaue geschossen werden. Gut beraten war da, wer einfach Maß nahm und sich bescheiden zurückhielt.
Besser lässt sich Wissenschaft und ihre Abgrenzung von der Pseudowissenschaft nicht beschreiben. Neben unzähligen interessanten Fakten über das Erdmagnetfeld bleiben nach der Lektüre vor allem drei Dinge hängen:
- Zum ersten, dass sich die wissenschaftliche, auf Evidenz basierte Erkenntnis schon seit tausenden von Jahren in einem harten Kampf von Wissen und Unwissen bewähren musste.
- Zum zweiten, dass unsere menschliche Phantasie keine Grenzen kennt, wenn es darum geht, das Unerklärliche zu erklären und wir demzufolge womöglich gar keine Vorstellung davon haben, was sich wirklich hinter den noch heute ungelösten Rätseln der Wissenschaft verbirgt.
- Zum dritten, dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen allesamt über Magneten in ihren Landeswappen nachdenken sollten, denn offenbar gibt es ein magnetisches Mitteldeutschland, mit dem Fichtelgebirge, wo Humboldt am Haidberg sein magnetisches Erweckungserlebnis hatte, oder Dessau, von wo aus der Apotheker Schwabe den Sonnenfleckenzyklus entdeckte, oder Jena, wo wichtige Erkenntnisse zu Dynamoprozessen erlangt wurden, und noch vielen weiteren Orte.
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