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Wissen, was wir lesen Das Mittelmeer
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06. Januar 2021, 08:00 Uhr
„Es ist wie beim Blättern in einer klassischen Enzyklopädie mit ihren Bildern, Tabellen und Querverweisen oder dem neugierigen Springen im Netz“. MDR WISSEN-Redakteur Carsten Dufner hat sich 1200 Seiten über eine der faszinierendsten Regionen der Welt angesehen und findet, dass die breite Palette von Themen, die dieses Buch bietet, nahezu alles umfasst, was man über diesen Natur- und Kulturraum wissen muss. „Das Mittelmeer“ ist unser Buch der Woche.
Worum geht es?
Ob Bibel oder Kapital – wenn Bücher allumfassendes Wissen vermitteln, haben sie oft kurze Titel. Auch "Das Mittelmeer" beleuchtet nicht einfach einen speziellen Aspekt einer faszinierenden Region, sondern beinhaltet schlichtweg "alles" über das Mittelmeer. Ob Geschichte und Aufbau von Höhlen oder die Entstehung des Scirocco, ob illegales Fischen, Details zu Flora und Fauna, der Ursprung der Malaria (!) im Mittelmeerraum, untermeerische Berge oder eine Auflistung der verschiedenen Anteile von Müll und Mikromüll im Meer – es gibt wohl kaum ein Thema, das hier keine Beachtung findet. Ich erfahre sogar etwas über die Unterschiede in Zugverhalten und Bestand von Zederngirlitz (gefährdet) und Felsenkleiber (nicht gefährdet) und lerne "anatomische Details" von fünf Seegrasarten zu unterscheiden.
"Das Mittelmeer" ist die zweite Auflage eines 2001 erschienenen und inzwischen völlig überarbeiteten Buches, das nun, fast zwanzig Jahre nach Band 1, einen neuen Fokus auf das Mittelmeer als "ökologisch sensiblen" Raum legt. Neben den "klassischen" Themen wie der (Kultur-) Geschichte der Region, dem Klima, der Vegetation oder den Lebensräumen widmet sich das Werk auf über 1100 Seiten auch Fragen wie der Fischereiregulierung, der Radioaktivität, der abnehmenden Biodiversität, der Versauerung, Quallenplagen und Waldbränden. Und wer nach Lektüre des dicken Wälzers noch immer nicht genug hat, bekommt am Ende des Buches auf 48 eng bedruckten Seiten eine umfassende Liste mit weiterführender Literatur.
Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?
Es ist wie beim Blättern in einer klassischen Enzyklopädie mit ihren Bildern, Tabellen und Querverweisen. Oder dem neugierigen Springen im Netz, von Link zu Link, anlasslos, ziellos, aber immer mit großer Spannung, was mich als nächstes erwartet: auch "Das Mittelmeer" lädt zum Flanieren und Entdecken ein. Ein Bild oder eine Erklärgrafik ziehen mich in einen Text, dessen Thema mich sonst auf den ersten Blick vielleicht gar nicht angesprochen hätte. Und dieser Text leitet mich dann gleich weiter, bringt mich zum nächsten spannenden Kapitel, lässt mich dranbleiben und immer wieder Neues entdecken. Mit der Folge, dass ich das Buch, das wahrscheinlich nur wenige Menschen gleich von Anfang bis Ende lesen werden, immer wieder mal zur Hand nehme, immer wieder gespannt bin, was ich jetzt an Neuem entdecken werde.
Und was natürlich auch fesselt: Das Thema geht uns unmittelbar an. Es ist quasi der Kulturraum vor unserer Haustür, der Ursprung Europas, der uns allen so vertraut zu sein scheint, es aber letztendlich dann wahrscheinlich doch nicht ist.
Wer hat's geschrieben?
Herausgeber des Buchs ist der österreichische Biologe, Journalist und Fotograf Robert Hofrichter, der – wie er auf seiner Website selbst schreibt – seit mehr als 30 Jahren auf den Meeren dieser Welt unterwegs ist. Hofrichter hat einen Schwerpunkt in der Meeresforschung und ist auch Präsident der Meeresschutzorganisation MareMundi. Allein aus dieser Vereinigung haben sich, neben Hofrichter, acht Wissenschaftler*innen in diese Neuausgabe eingebracht; darüber hinaus 25 weitere Forscher*innen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Kroatien, Zypern und Israel.
Wie ist es geschrieben?
Alle 12 Kapitel bestehen aus einzelnen Aufsätzen, die so strukturiert sind, dass auch Menschen ohne großes Vorwissen sämtliche Themen verstehen. Das Kapitel Ozeanographie z.B. beginnt mit einer Weltkarte mit Meeresströmungen und einer Mittelmeerkarte mit Meerestiefen und maximalem Anstieg einzelner Stellen, gefolgt von 8 (!) Seiten mit der Erklärung von Fachbegriffen. Dann Grafiken zu Salzgehalt und Temperatur, ein Ausflug zur Thalasso-Therapie und den Badegewohnheiten der Römer, die Geschichte der Gezeitenforschung, um dann schließlich zu den Monsterwellen des Mittelmeers zu kommen.
Jedes Kapitel betrachtet die Themen auch ganzheitlich.
So wie die römischen Badegewohnheiten bei der Ozeanographie eine Rolle spielen, werden im Kapitel Vegetationslandschaften Strände und Strandformen des gesamten Mittelmeers und ihr Bewuchs mit dem Strandtourismus verbunden und dem Hinweis, dass sich Reisende inzwischen so weit von der Natur entfernt hätten, dass sie negative Bewertungen ins Netz stellten, wenn sie denn Reste von Seegräsern am Strand fänden.
Was bleibt hängen?
Neben der Bestätigung dafür, dass alles mit allem vernetzt ist in der Welt, bleibt die Erkenntnis, dass das mare nostrum, das wir so gut zu kennen glauben, noch viel zu entdecken bereithält. Wer wieder einmal einen Urlaub rund um "unser Meer" plant und sich die Zeit nimmt, dieses Buch vorab zu lesen, wird Landschaft und Menschen, Flora und Fauna zukünftig mit anderen Augen sehen.
Der Rezensent … hat sich die Neugier seiner Kindheit erhalten. Ihn interessieren dabei weniger die Dinge, die weit weg oder weit zurück liegen als eher die wissenschaftlichen Fragen im Hier und Jetzt. Und das, was unser aller Zukunft ausmacht. Liebt die Vermittlung von Wissen, engagiert sich für die Bildung und betreut als Redakteur auch diese Rubrik: "Wissen, was wir lesen?"
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