Wissen, was wir lesen Atlas der digitalen Welt
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20. September 2020, 15:00 Uhr
Was passiert im Netz? Wer macht was, wie oft und wie lange? Das Buch bietet einen ganzheitlichen Überblick über das Nutzungsverhalten im digitalen Kosmos und analysiert dabei Inhalte, Konzerne, Traffic, Endgeräte und die Nutzer selbst. Welche Bedeutung haben News, Gaming, Shopping, Social Media und Pornografie? Tobias Thiergen hat den "Atlas der digitalen Welt" gelesen. Und hat die Antworten.
Worum geht es?
Das Buch versteht sich selbst als 360°-Vermessung der digitalen Welt. Dabei bildet es ein extrem breites Spektrum ab – detailreich und gut strukturiert. Das brandneue Werk ist nicht nur frisch auf dem Markt; es besticht auch durch eine aktuelle Datenlage, die sogar die Corona-Krise nicht außen vor lässt. Die Vielseitigkeit und Flexibilität digitaler Medien wird dabei besonders herausgestellt, und auch das Buch selbst löst dieses Versprechen ein.
Der Atlas betrachtet den weitreichenden Kosmos aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. So wird beispielsweise das Nutzerverhalten in der digitalen Welt nach soziodemografischen Gesichtspunkten aufgeschlüsselt, gleichzeitig werden aber auch die Konzerne (und Marktführer) sehr ausführlich, auch betriebswirtschaftlich, beleuchtet.
Das Besondere ist dabei vor allem die Art und Weise, wie die Daten erhoben wurden. Vergleichbare Analysen über das Nutzungsverhalten im digitalen Raum finden oftmals klassisch über Umfragen statt. Bei diesen müssen sich die Rezipienten selbst einschätzen und unterliegen somit oft (Selbst-)Täuschungen. Und dann "lesen die Menschen ihrer Selbstwahrnehmung zufolge erstaunlich viele Bücher, und schauen erstaunlich wenig Pornos". Im Gegensatz dazu basieren die Daten hier auf einer repräsentativen Stichprobe von 16.000 Usern, die das reale Nutzerverhalten erfasst hat. Die Datengrundlage ist also um ein Vielfaches belastbarer.
Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?
Eine Analyse der digitalen Medien in einem analogen Medium, dem Buch – passt denn das? Ja – und das besser als gedacht.
Auch einem digitalen Nomaden wie mir, sicherlich mit einschlägigem Vorwissen und Interesse ausgestattet, bietet dieses Werk tatsächlich eine sehr gute Übersicht über das Nutzerverhalten im digitalen Raum sowie über die unterschiedlichen Sparten, Player und Konzerne. Nach dem Lesen, egal wie viele Kenntnisse man vorher hatte, hat man das eine oder andere mitgenommen und besitzt auf jeden Fall ein breites Basiswissen, z.B. über die vielseitigen Social-Media-Angebote, von denen auch ich nicht alle Details kannte. Schön ist außerdem, dass viele Themen über einen metaphorischen, vielleicht nicht immer ganz ernstgemeinten Vergleich vorgestellt werden. So werden die Mechanismen von Social Media beispielsweise mit einer Geschichte von Tom Sawyer verglichen, dem es gelang, seine Freunde für ihn einen Gartenzaun streichen zu lassen und, anstatt diese dafür zu bezahlen, von ihnen sogar Geschenke dafür bekam. Ein überaus treffendes Bild.
Wer hat's geschrieben?
Der Medienwissenschaftler Martin Andree unterrichtet digitale Medien an der Universität Köln, ist in unterschiedlichen Positionen bei diversen Firmen tätig und besitzt 20 Jahre Erfahrung im digitalen Marketing. Ihm zur Seite, als Co-Autor, steht Timo Thomsen, seit 15 Jahren Experte in den Bereichen digitale Medien und Cross-Media-Verhaltensmessung, Datenanalyse und Interpretation sowie Marketingberatung. Für dieses Buch entscheidend ist allerdings seine Position als Global Head of Product & Innovation bei der GfK (der Gesellschaft für Konsumforschung), jenem Marktforschungsinstitut, das die Datengrundlage dieses Werkes zur Verfügung gestellt hat.
Wie ist es geschrieben?
Das Buch nähert sich der Thematik mit dem Anspruch, ein breites Publikum zu erreichen. Ein etwaiges Vorwissen wird beim Leser nicht vorausgesetzt, auch wenn es sicherlich an einigen Stellen hilfreich ist. Elementare Fachbegriffe werden aber erfreulicherweise in Erklärboxen an den jeweiligen Stellen erläutert.
Das Werk schafft es, extrem viele Informationen übersichtlich darzustellen, einzuordnen und miteinander zu vergleichen. So ist es nachvollziehbar strukturiert, sowohl im gesamten Aufbau als auch in den einzelnen Themen selbst. Besonders hervorzuheben ist, dass – neben den als Fließtext verfassten Erläuterungen – jedes Thema auch in untereinander vergleichbaren und verständlichen Zahlen, einer "Detailkarte" aufgeschlüsselt wird. So werden den Nutzerinnen und Nutzern die harten Fakten kurz und knapp präsentiert.
Durch die Vielseitigkeit an Themen, die sich natürlich alle im digitalen Kosmos bewegen, ist das Werk – wie jeder Atlas – weniger dazu geeignet, es in einem Stück zu lesen. Vielmehr hat es eher den Charakter eines sehr modernen Nachschlagewerks, das ein breites Basiswissen vermitteln kann.
Was bleibt hängen?
Das Buch führt einem noch einmal richtig vor Augen, wie drastisch in der digitalen Welt die Konzentration der Inhalte auf die großen Konzerne ist. Das bedeutet, einfach gesprochen, dass wenigen viel und vielen wenig gehört. Die Global Player haben also einen unverhältnismäßig hohen Anteil am gesamten Angebot; auch wenn man das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Das ist natürlich wenig verwunderlich, so "googelt" doch jeder. Allerdings gibt es auch für mich überraschende Erkenntnisse; beispielsweise, dass sich auch bei einer älteren Zielgruppe ein sehr dynamisches Wachstum eingestellt hat.
Zum Schluss begeben sich die Autoren noch auf einen philosophischen Ausflug, in dem sie einige Hypothesen diskutieren – mit einer Grundessenz: Wir wissen (noch) erstaunlich wenig über diese digitale Welt, unter anderem, weil wir Daten produzieren, zu denen wir selbst keinen Zugang haben.
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