Leopoldina Halle Wissenschaftler fordern: Altern in Deutschland besser erforschen!

21. März 2024, 16:28 Uhr

Wir werden immer älter. Ist das eine gute oder schlechte Nachricht? Eigentlich ist das eine echte Errungenschaft. Aber eine alternde oder alte Gesellschaft, das weckt eher negative Assoziationen. Mit dem Alter kommen Krankheiten, Schmerzen. Wer verdient dann noch Geld? Stichwort demographischer Wandel: Wie kann man solchen Herausforderungen begegnen? Antworten darauf sollen aus der Wissenschaft kommen. Doch die hinkt in manchen Bereichen hinterher, sagen Wissenschaftler der Leopoldina.

Eine Gruppe Senioren beim Aqua Aerobic 6 min
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40 Jahre haben wir gewonnen! Wir Menschen sind in den vergangenen 150 Jahren im Schnitt 40 Jahre älter geworden: "In Deutschland liegt die Lebenserwartung bei Geburt im Moment bei den Frauen bei 83,4 Jahren und bei den Männern bei 68,6." Das sagt Psychologin Ursula Staudinger. Sie ist eine der führenden Altersforscherinnen in Deutschland, Direktorin der TU Dresden und Erstautorin des neuen Zukunftsreports Wissenschaft der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina. Sie sagt aber auch: Diese gewonnen 40 Jahre gilt es zu gestalten mit Blick auf die Lebensqualität, Produktivität und Innovationskraft.

Wie geht das? Erst mal klingt das ja schön und gut, 40 Jahre mehr. Nur ist Altern nicht unbedingt etwas, worauf man sich freut. Wir werden alt, runzlig und gebrechlich und müssen häufiger zum Arzt. Gert Kempermann vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen Dresden bestätigt das: Aus der Außensicht und in der öffentlichen Wahrnehmung sei Altern ein sehr medizinisches Thema und dieser Eindruck werde natürlich durch die wachsende Bedeutung medizinischer Fragen und Probleme im höheren Alter dauernd verstärkt.

Die Alternsforschung ist entsprechend eine sehr stark biomedizinische Forschung und im zunehmendem Maße an Versorgungsfragen und an Technologie z.B. von Assistenzsystemen interessierte Forschung.

Gert Kempermann, Dresden

In Deutschland ist Alter eine Sache von Medizin und Technik, die erforscht werden muss

Der Zukunftsreport der Leopoldina kreidet genau das an. Wenn in Deutschland zum Altern geforscht wird, dann vorrangig über Medizin und Technik.

Hier gehen dann die meisten Fördergelder hin. Das schlage aber Lücken in anderen wichtigen Bereichen, so das Resümee der sieben Autorinnen und Autoren. Im internationalen Vergleich stehe Deutschland nicht gut da. Es braucht nämlich - so der Konsens - interdisziplinäre Forschung. Egal, ob Psychologie, Medizin, Wirtschaftswissenschaften oder Kultur- und Geisteswissenschaften, so gut wie jede Disziplin kann dem Thema Altern etwas abgewinnen. Josef Ehmer vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien hat ein Beispiel:

Die Lebensqualität älterer Menschen, das Ausmaß und die Art ihrer Fähigkeiten, ihrer Aktivitäten und ihre Gesundheit ist wesentlich geprägt von ihrer Biografie. Aber sie ist auch beeinflusst von den Zuschreibungen und Erwartungen der Gesellschaft an sie und die sie auch an sich selbst richten, die sie sich im Laufe des gesamten Lebens angeeignet hat.

Ob sich eine ältere Person also als wertvoller Teil der Gesellschaft wahrnimmt oder als Last, hängt auch davon ab, welche Altersbilder die Gesellschaft hat. So ist Altern nicht nur ein biologischer Prozess, der regulär vonstatten geht, mit jedem Tag, den wir älter werden, sondern auch ein psychologischer und sozialer Prozess. Das geht sogar so weit, dass unsere sozialen Gegebenheiten dafür sorgen können, dass wir statistisch früher sterben, sagt Johannes Siegrist, ehemaliger Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie der Universität Düsseldorf:

Alter in Europa hängt stark vom sozialen Status ab

Welches Alter Menschen in Europa im Durchschnitt erleben, hängt im starken Maße von ihrem sozialen Status ab, von Bildungsgrad, beruflicher Stellung und Einkommen. Je höher die soziale Stellung, desto höher ist auch die Lebenserwartung. Selbst in Deutschland beträgt hier der Unterschied zwischen der höchsten und der niedrigsten von fünf Einkommensgruppen aktuell mehr als acht Jahre bei Männern und mehr als vier Jahre bei Frauen.

Da hört es dann allerdings schon auf, was deutsche Zahlen angeht. In Großbritannien dagegen hat man weiter geforscht. Dort hat man Siegrist zufolge in einer Langzeitstudie herausgefunden, dass "in der sozial benachteiligten Schicht 2,5 mal so viele Menschen an einer Herzkreislauferkrankung versterben, wie in der höchsten Schicht. Am stärksten war das in der Gruppe erhöht, die ein Leben lang benachteiligt war."

Altern und Sterben ist also keinesfalls rein Individuell. Es gibt Muster, die sich abzeichnen. Die britischen Wissenschaftler fanden heraus, dass zwei Faktoren das frühere Sterben maßgeblich beeinflussen: Zum einen liege es an einem gesundheitsschädlicheren Lebensstil, zum anderen an einer wiederkehrend erhöhten körpereigenen Entzündungsaktivität. Diese tritt besonders häufig als Folge chronischer psychosozialer Stressbelastung auf.

Wenig Geld - mehr Stress: der Körper wird anfälliger

Das heißt: Menschen mit niedrigerem Einkommen haben häufiger psychosozialen Stress. Das führt dazu, dass der Körper schneller mit Entzündungen reagiert und das kann eben tödlich enden. Das Beispiel zeigt: Solche Alterungsprozesse beginnen nicht plötzlich ab 60. Wir altern jeden Tag und jede Sekunde. Die Wissenschaft sollte von Anfang an dabei sein und über lange Zeiträume aus verschiedenen Fachrichtungen hinweg beobachten, wie Altern abläuft, plädieren die Forscherinnen und Forscher der Leopoldina. Denn am Ende sollen Phänomene, wie das ungleiche Altern, nicht nur beschrieben werden. Es soll auch möglich sein etwas dagegen zu unternehmen, sagt der Schweizer Medizinsoziologe Johannes Siegrist:

Die Förderung interdisziplinärer Forschung hierzulande ist nicht nur im Interesse des neuen Erkenntnisgewinns geboten, sondern auch aus gesundheits- und gesellschaftspolitischer Sicht. Denn mit einer besseren Kenntnis der gefährdeten Bevölkerungsgruppen lassen sich präventive Aktivitäten gezielter und wirkungsvoller durchführen."

Der Zukunftsreport Wissenschaft zeigt: Die Deutsche Alternsforschung hinkt hier noch hinterher.

Den Zukunftsreport der Leopoldina lesen Sie hier.

(kd)

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