Montag, 12.08.2024: Gute Erinnerungen
Am frühen Morgen war Wasser die Straße entlanggelaufen. In stetem Strom quoll es durch Risse im Asphalt, der an einigen Stellen nach oben gedrückt und freigespült worden war. Dann hatten die Stadtwerke es abgestellt. Langsam verlief sich die entstandene Pfütze und ein Bautrupp rückte an. Schicht für Schicht grub sich der mitgebrachte Bagger in die Tiefe. Unter dem Asphalt tauchten Kopfsteinpflastersteine auf, die verborgen gelegen hatten aus alter Zeit. Sand und Schotter wurden vorsichtig nach oben gehievt. Unter einem gelben Band lief ein dünnes schwarzes Kabel entlang, das bald in der Luft hing. Gleich daneben noch eines, mit einem Band in rot. Dann ein dünnes Rohr quer dazu. Diagonal schließlich ein dickes. Ein Arbeiter stieg in das nun große Loch und warf ein verrostetes Stück Erdkabel aus der Anfangszeit der Stromversorgung heraus. Schließlich tauchte das Wasserrohr auf. An einem dick verkrusteten Flansch war es aufgerissen. Wenn man jetzt von oben in die Grube hineinsah, war kaum zu glauben, was dort in der Erde für ein kompliziertes Durcheinander herrschte.
Jahrelang war ich achtlos über diese Straße gegangen. Gedankenversunken oder in den Himmel blickend, das Wetter prüfend. Im Schwatz mit einem Nachbarn, den ich getroffen hatte oder schwer beladen mit dem Wochenendeinkauf. Ich hatte keine Ahnung, was dort alles noch im Boden schlummerte. Sentimentale Überbleibsel wie die Pflastersteine und das Stück Erdkabel. Aber auch echte Lebensadern, wie die Telefonleitungen und das nun reparierte Wasserrohr. Ich schaue in das Loch und denke daran, dass es so ähnlich auch mit guten Erinnerungen ist. Manchmal braucht es einen Anstoß. Unerwartet quillt ein altes Bild ins Bewusstsein. Dessen Quelle ist oft erst einmal gar nicht mehr auszumachen. Beginnt man aber in die Tiefe zu graben, kann das zur echten Entdeckungsreise werden. "Gute Erinnerungen sind eine gute Führung", hat der Theologe und Psychologe Henri Nouwen gesagt.
Mir wird klar, wie oft ich im Leben bewahrt wurde und sich Dinge gefügt haben. Beschwingter gehe ich in diesen Tag.