Mittwoch, 14.08.2024: Die Tugend Klugheit

Ich sitze in der S-Bahn und lese. Nebenan nehmen vier freundliche ältere Herren Platz, die gerade von einem Wanderausflug kommen. Sie haben Rucksäcke auf den Knien und feste Schuhe an den Füßen. Mit sächsischem Witz lassen sie den Tag Revue passieren. Sie necken einander in breitem Dialekt mit treffenden Spitzen zu ihrem schütteren Haar, den schmerzenden Knien und den wartenden Frauen zu Hause.

Lüder Laskowski 3 min
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gesprochen von Lüder Laskowski

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Mi 14.08.2024 05:45Uhr 02:35 min

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Ich muss ebenfalls grinsen. Gemütlich und originell. So sind sie, die Sachsen. Dann reden sie leiser. Ich konzentriere mich wieder eine Weile auf mein Buch, als ein Satz fällt, der mich hellwach macht: "Die Baerbock müsste man an die Wand stellen." Unwillkürlich wende ich mich ihnen zu und sage: "Was reden sie da. So etwas sagt man nicht. Egal, um wen es geht."

Einer der vier raunzt mich an: "Was hängen sie sich in unsere Gespräche rein. Das geht sie gar nichts an." Wir giften noch zwei drei Sätze hin und her. Weiter können wir nicht miteinander reden und brechen ab. Ich starre wieder in mein Buch, kann aber gar nicht weiterlesen, so aufgewühlt bin ich.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto unzufriedener werde ich. War diese impulsive Reaktion klug von mir? Vielleicht nicht. Aber der Satz hat mich gepackt, als ich ihn hörte. Worte sind so schnell Taten. Es ist nicht egal, was wir sagen. Schweigen hätte ich darüber auf keinen Fall können.

Mir fällt eine Mahnung Jesus ein, die er bei der Aussendung der Jünger spricht: "Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben." (Mt 10,16) Der Vers klingt einleuchtend. Aber er formuliert den Widerspruch, in dem ich jetzt scheinbar stecke.

Entweder ich bin taktisch klug oder ich bin ehrlich. In der Antike wurde die Tugend der Klugheit eng mit der Vernunft verknüpft. Offenbar gilt es, beides zugleich im Blick zu haben, wenn der Weg stimmen soll. Die Kraft liegt im "und" könnte man sagen.

Dann verbindet sich ein klarer Standpunkt mit einer bedachten Reaktion. Ich hätte in meiner Einmischung einen anderen Ton gefunden und unser Gespräch wäre vielleicht nicht so unbefriedigend abgebrochen. Das wäre klüger gewesen.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Lüder Laskowski

Lüder Laskowski

geboren 1973 in Dresden und dort aufgewachsen I 1992 Abitur I 1992 - 1995 Ausbildung zum Steinmetz/Steinbildhauer bei den Sächsischen Sandsteinwerken Pirna I 1995/96 Zivildienst im Landesjugendpfarramt Sachsen / Behindertenarbeit I 1996 bis 2004 Studium der ev. Theologie in Leipzig und Berlin I 2004 - 2007 Geschäftsführer einer Unternehmensberatung im Kulturbereich in Dresden I 2007 - 2009 Vikariat an der Lutherkirche Radebeul I 2009 - 2019 Pfarrer Kirchgemeinde Großschirma / Freiberger Dom / Studierendenpfarrer Bergakademie Freiberg I seit 2019 Projektpfarrstelle "Kirchliche Arbeit in neuen Stadtquartieren" beim Kirchenbezirk Leipzig

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.