Freitag, 06.10.2023: Freiheit und Glaube
"Sie sind also kirchlich gebunden." - Wie oft habe ich diesen Satz gehört zu DDR-Zeiten. Und immer etwas herablassend empfunden. Fast mit einem Schuss Mitleid. Am liebsten hätte ich gesagt: "Nein, ich bin christlich frei! Muss nicht alles mitmachen, nur weil es von mir erwartet wird." Aber das habe ich nicht gesagt. War zu feige, habe nur still in mich hineingelächelt. Aber bin ich wirklich so frei? Oder engt mich Glaube am Ende doch ein?
Diese Fragen standen wohl im Hintergrund, als die Jugendgruppe meiner Kirchgemeinde mit dem Themenwunsch "Freiheit" auf mich zukam. Und zwar für eine Wanderwoche in der Schweiz, die wir im August miteinander erlebten. Im Nachdenken darüber gelangte ich zu der Überzeugung: Freiheit ist kein Wert an sich. Sie bezieht sich immer auf ein Gegenüber. Freiheit von etwas oder für etwas. Und wie ist das mit Freiheit in Bezug auf Gott? Für diesen Bezugsrahmen wählte ich eines der beliebtesten Bibelworte, aus Psalm 139: "Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir."² Klingt nach Bewahrung, Geborgensein bei Gott. Wie anders hört sich derselbe Bibelvers jedoch in einer renommierten jüdischen Übersetzung an: "Hinten, vorn engst du mich ein, legst auf mich deine Faust."³ Wie denn nun?: Geborgen sein oder eingeengt werden? Bewahrt Gottes Hand oder liegt sie mir bedrückend im Genick? Darf ich als Christ tun und lassen, was ich will? Oder ist da ein Gott, der aufpasst und mir sagt, wie ich zu leben habe? Ich finde die Frage falsch gestellt. Denn Gottes Gebote sind ja nicht für Christen, sondern für Menschen überhaupt. Wollen sicherstellen, dass das Leben miteinander gelingt. Mein Freiheitsdrang wird dort eingeengt, wo er Gefahr läuft, anderer Freiheit und Leben zu zerstören. Wie sähe unsere Welt aus, würden wir diese Begrenzung respektieren!?
Interessanterweise endet der Psalm 139 auch in der jüdischen Variante mit der Einladung an Gott, ins eigene Leben hineinzureden. Von falschen Wegen zurück zu bringen. Also gebunden an Gott, um frei zu sein...
²Psalm 139,5.
³Die Schrift, Martin Buber und Franz Rosenzweig.
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