Dienstag, 07.03.2023: Jawoll
Lauernde Gestalten in Leder-Uniform. Es ist dunkel unter der Kuppel. Aus Lautsprechern dröhnt der Hall von Schritten im Viervierteltakt. Das Tanztheater des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz hat ein neues Stück inszeniert. Knapp, kalt, hart ist der Titel: "Jawoll!"
Das Stück stellt die Frage: Warum werden Menschen zu Diktatoren - und warum geben sich Menschen mit glühendem Herzen einem Diktator hin? Das Drama beginnt am Abendbrottisch. Eine Familie in einem Käfig. Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Der Vater wirkt seltsam verstört. Traumatisiert. Die Kinder blödeln am Tisch. Die Mutter schaut unsicher. Dann beginnt die Diktatur im Kleinen: Der Vater brüllt und prügelt. Zunächst den Sohn. Dann auch die Mutter. Ein wilder Tanz. Dann beruhigt sich die Szene. Die Frau geht auf den Mann zu - er erwidert die Umarmung. Dann stößt er die Frau wieder von sich. Der Mann ist ein seelisches Wrack.
Und immer wieder die Suche nach Nähe und Vertrauen von Mensch zu Mensch. "Jawoll!" ist eine Wucht - buchstäblich.
Der Ort der Inszenierung ist spektakulär. Eine Notlösung, eigentlich. Denn das Görlitzer Theater ist nach einem schweren Wasserschaden geschlossen. Aber das Kulturforum Görlitzer Synagoge erweist sich als genau der richtige Ort.
Am 7. März 1911 wurde diese große und prachtvolle Synagoge geweiht. Erst wenige Jahrzehnte zuvor hatten sich erstmals wieder einige Juden in Görlitz angesiedelt. Die Gemeinde wuchs im 19. Jahrhundert schnell auf mehrere hundert Menschen an.
Jetzt, in der Fastenzeit, kommt mir das Bild in den Sinn: Es war wie Palmsonntag. Das war der Tag, an dem Jesus in Jerusalem einzog und bejubelt wurde. Wenige Tage später, am Karfreitag, wurde er brutal hingerichtet.
Und hier: So viel Freude, Jubel, Anerkennung. Nicht einmal drei Jahrzehnte später das grausame Ende. Auch die Görlitzer Synagoge brannte in der Pogromnacht vom 9. November 1938. "Jawoll!" macht die Dramatik der Geschichte von damals erlebbar. Und es wird deutlich: Schrecklich aktuell ist das heute noch.
Ein versöhnlicher Aspekt: Die beiden Leiter des Tanztheaters sind ein Deutscher und ein Jude aus Israel.