Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN | 06. - 11.02.2023
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Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht Pfarrer Holger Treutmann.
Sonnabend, 11.02.2023: Anmut
Es gibt Worte, die sind vom Aussterben bedroht. Das Wort "Anmut" gehört dazu. Ich würde es gern bewahren, weil es so durchweg positiv klingt. Mut, zu dem man sich hingezogen fühlt – so übersetze ich mir "Anmut" vorläufig. Mir kommt eine anmutige Frau in den Sinn. Aber das Wort beschreibt mehr als nur weibliche Schönheit oder erotische Attraktivität. Es geht um eine menschliche Eigenschaft, die grundsätzlich allen zukommen könnte; Frauen, Männern, Kindern, ja sogar Tieren.
Anmut. Dieses Wort gibt es nur im Deutschen. Besonders im Idealismus und in der deutschen Klassik hat man diesem ästhetischen Begriff nachgedacht. Wie ist das, wenn eine Körperhaltung fasziniert, weil sie nicht nur hübsch anzusehen ist, sondern uns tiefer blicken lässt in das Wesen eines Menschen, der im Einklang zu sein scheint mit sich selbst und mit seiner Ursprünglichkeit? Es ist eine natürliche Eleganz, die aus der Bewegung kommt. Sie wirkt frei und rein ohne etwas zu wollen. Anmut ist "Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjecte selbst hervorgebracht wird" und dennoch wie ein Naturschönes wirkt; Sie ist sozusagen "bewusste Bewusstlosigkeit". So beschreibt es Friedrich Schiller. In der Antike wird die Schönheit in Form der drei Grazien dargestellt. Und dieses Wort führt mich auf die Spur zu einem auch spirituellen Verständnis der Anmut. Gratia heißt Gnade. Neu geschenkte Ursprünglichkeit. So wie Adam und Eva im Paradies, als sie noch nicht vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, sondern in einem vorbewussten Zustand im Einklang lebten - mit sich selbst, mit ihrem menschlichen Gegenüber und mit ihrem Schöpfer.
Wer anmutig ist, ist frei, sich so zu geben, wie Gott ihn oder sie ursprünglich geschaffen hat. Wir leben nicht mehr im Paradies, aber mit unserem Wesen und in unseren Gesten können wir die Anmut des Ewigen in unsere Welt tragen.
Freitag, 10.02.2023: Wie andern Völkern ihr's
Seine Gedichte mag ich eigentlich am Liebsten. Sonst blieb mir der sarkastische Berthold Brecht immer ein wenig fremd. Heute vor 125 Jahren wurde er in Augsburg geboren. "Und der Haifisch, der hat Zähne" - das bekannte Lied aus der Dreigroschenoper höre ich bis heute wie eine berechtigte Warnung vor einem heimlich mörderischen Kapitalismus in West und Ost. Dennoch sind mir manche Effekte in seinem epischen Theater oft zu destruktiv.
Seine Kinderhymne allerdings beeindruckt mich, die er 1950 im Blick auf ein künftiges Deutschland nach den Verheerungen zweier Kriege für die junge Generation schrieb; gerade auch angesichts der jüngsten Auseinandersetzung um Waffenlieferungen an die Ukraine.
1. Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand,
dass ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land.
Sollen wir als starke Wirtschaftskraft in Europa und der Welt vorangehen, oder verbieten sich Rüstungslieferungen und Rüstungsindustrie nicht grundsätzlich für ein Land, das viele Völker im 2. Weltkrieg mit Tod und Gewalt überzogen hat?
Aus christlicher Perspektive entsteht ein Konflikt. Man kann nicht nur zusehen, wenn die Ukraine mit seiner Bevölkerung bombardiert wird, und doch sind Waffen und Geschosse niemals Botschafter des Friedens. Sie reißen Wunden, die über Jahrhunderte nicht heilen. Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen. Auch diese grundsätzliche Warnung Jesu ist mir im Ohr.
2. Dass die Völker nicht erbleichen wie vor einer Räuberin
sondern ihre Hände reichen, uns, wie andern Völkern hin.
Die Zurückhaltung des Bundeskanzlers bei Waffenlieferungen haben manche Zögern genannt. Ich fand es angemessen, nur an der Seite anderer Völker zu agieren. Und bei aller Härte gegen den Aggressor muss der Option zum Händereichen eine Tür offen gehalten werden.
3. Und nicht über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein
von der See bis zu den Alpen von der Oder bis zum Rhein.
4. Und weil wir dies Land verbessern, lieben und beschirmen wir's;
und das Liebste mag's uns scheinen, so wie andern Völkern ihrs.