Montag, 08.07.2024: Ich will verstehen
Zu den bekanntesten Vertretern meines Ordens, der Dominikaner, gehört Thomas von Aquin. Er zählt zu den größten Philosophen und Theologen des 13. Jahrhunderts und wird bis heute gelesen. Für mich noch immer faszinierend: die Standardmethode seines Hauptwerkes "Summa Theologiae".
Thomas stellt hier zunächst immer die zu behandelnde Frage. Sogleich folgt eine erste Antwort und er beginnt, diese mit mehreren Argumenten so stark wie möglich zu machen. Doch gerade, wenn der Lesende meint, die erste Antwort sei jetzt so gut untermauert, dass sie als unumstößlich gelten müsse, widerspricht er ihr, gibt eine zweite, ja, seine eigentliche Antwort und beginnt dann im letzten Schritt, all die zuvor angeführten Argumente, langsam und unaufgeregt zu widerlegen. Was bei Thomas auffällt, war in seiner Zeit alles andere als eine besondere Methode. Sie entspricht der mittelalterlichen Disputation, einer Standarddisziplin der jungen Universitäten. Zwei Kontrahenten traten dabei vor der versammelten Zuhörerschaft zu einem Thema an und duellierten sich mit den Waffen des Verstandes. Die Besonderheit dabei: Erst dann durfte ein Disputant das eigene Argument vortragen, wenn die Position des Anderen vollumfänglich und so gut wie möglich dargestellt wurde. Das Publikum entschied, ob das gelungen war und erst dann durfte weiter argumentiert werden. Hatte ein Disputant die Position des Gegenübers nicht verstanden, hatte er seine Argumente verkürzt dargestellt oder gar seine Worte verdreht, brauchte er gar nicht weiterzureden. Er hatte verloren.
Wie wohltuend wäre diese Haltung in den Diskussionen unserer Zeit. Gewinnt man doch den Eindruck, wir hörten oft nur zu, um antworten zu können, nicht aber um zu verstehen. Wie schnell sind wir dabei, andere verkürzt oder vollkommen falsch darzustellen oder ihre Argumente nicht ernst zu nehmen. Und nein, das gilt nicht nur für „die da oben“. Das beginnt doch schon bei uns, bei mir, in meinem Alltag.
Mein Vorsatz für heute: Ich will zuhören, nicht um antworten zu können, sondern um zu verstehen.