Dienstag, 09.07.2024: Prioritäten
Ich hab' mal eine Frage, liebe Hörerin, lieber Hörer: "Sind Sie ein schlechter Mensch?" Bevor Sie sich jetzt echauffieren, gleich die Entwarnung: Sie müssen's mir nicht sagen und ehrlich gesagt will ich das auch gar nicht so genau wissen. Meine Vermutung ist aber diese: Die allermeisten von uns würden wahrscheinlich sagen: "Ich hab‘ zwar meine Fehler, aber eigentlich bin ich gar nicht so verkehrt". Das freut mich, wenn Sie das sagen können und hätte ich die Chance, Sie kennen zu lernen, würde ich Ihnen sicher auch zustimmen. Im Grunde sind wir alle keine schlechten Menschen.
Wie kommt es dann aber, dass wir immer mal wieder feststellen müssen, dass wir doch das eine oder andere falsch gemacht haben, also im moralischen oder ethischen Sinn? Zunächst einmal: Meiner bescheidenen Erfahrung nach ist die Sünde des Alltags nicht etwa die Tat, nein. Viel öfter und alltäglicher ist die Unterlassung. Wie oft wissen wir, was zu tun eigentlich richtig wäre? - und tun es dann doch nicht: aus Trägheit, aus falscher Konfliktscheu, weil es uns was kosten würde... Die Gründe sind vielfältig und sie verweisen uns auf einen weiteren Punkt: Manchmal setzen wir die Prioritäten schlichtweg falsch. Dann wird das Projekt auf der Arbeit eben doch zentraler als die Zeit mit der Familie; dann wird uns der scheinbare Friede im Büro im Zweifel wichtiger als das Fehlverhalten eines Kollegen anzusprechen; dann ist es einfacher so zu tun, als hätten wir die tumbe Stammtischparole nicht gehört - es könnte ja zu einer anstrengenden Diskussion kommen...
Falsches zu tun oder Richtiges zu unterlassen ist oft die Folge falsch gesetzter Prioritäten. Und die verschieben sich oft still und heimlich, schleichend und allmählich. Vielleicht ist die Ruhe des Urlaubs eine gute Gelegenheit mal wieder zu schauen: Stimmen meine Prioritäten noch? Lebe ich nach dem, was mir eigentlich wichtig ist?