Dienstag, 06.06.2023: Kleine Dinge

Übermütig tollen die Kinder über den großen Platz, sie spielen Fangen oder Steh-Geh; genau kann ich das nicht ausmachen. Eine Mutter in der Nähe mahnt immer wieder zur Vorsicht. Doch dann ist es geschehen. Zwei Mädchen sind aneinandergeprallt, nun weinen beide herzzerreißend. Der Kommentar der Mutter, die zu Hilfe kommt, erinnert mich an meine Kindheit: "Kleine Sünden...". Dieses geflügelte Wort begleitet mich schon seit Kindertagen. Doch anders als mancher es vermuten würde. "Kleine Sünden bestraft der Liebe Gott sofort und dich hat er gesehen." So hieß es einst bei uns. Ein bisschen Schadenfreude schwingt im Original unterschwellig mit. Man hat etwas falsch gemacht und die Strafe ereilt einen umgehend. Wie bei vielen Sprichworten reicht auch hierbei nur der Anfang, um zum Ausdruck zu bringen, was gemeint ist.

Ich weiß nicht mehr wann und wieso, aber in meiner Familie änderte sich die Bedeutung der Abkürzung und später sogar der Wortlaut. Bei uns hieß es irgendwann immer nur noch "Kleine Dinge...". Anders als im Original kam es immer dann zum Ausdruck, wenn wir etwas kleines, unerwartet Schönes sahen.

Pfarrer Daniel Schmidt 2 min
Bildrechte: Daniel Schmidt
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gesprochen von Pfarrer Daniel Schmidt

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Di 06.06.2023 05:45Uhr 02:01 min

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Das Konzept eines strafenden Gottes, der selbst den kleinsten Übermut sofort mit Schmerzen ahndet, wollte nicht so recht zu dem Gott passen, den mir die Katechetin in der Christenlehre und mein Pfarrer in Gottesdiensten vorgestellt hatten. Die beiden begünstigten sicher auch die Umdeutung. Was dieses Wort in unserer Familie bedeutete, sehe ich gerade auf dem großen Platz. Die Mutter beugt sich zu beiden Kindern, streicht ihnen über den Kopf und pustet auf die schmerzenden Stellen. Plötzlich weht ein anderer Geist in dieser Szene. Keine Schadenfreude oder drohende Strafgedanken, die den gefallenen Kindern weder gerecht werden, noch aufhelfen. "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet", (Jes 66,13) sagt der mir bekannte Gott uns zu. Und ein Beter fasst sein Vertrauen in diesen Gott in die Worte: "Wie ein Vater sich über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten" (Psalm 103, 13). Liebevolle elterliche Zuwendung ist eines jener "Kleinen Dinge", die wir von dem einen Gott in der Welt entdecken können. In unserer Familie erinnern uns die zwei Worte "Kleine Dinge..." daran, aufmerksam danach zu schauen, was der liebevolle Gott seinen Geschöpfen zuwendet.