"Das war schon heftig!" Wohin der Druck durch Abtreibungsgegner führt
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07. März 2023, 15:16 Uhr
Abtreibungsgegner machen hierzulande verstärkt mobil. Auf Basis des Paragrafen 219a gehen sie gegen Ärzte und Ärztinnen vor, die über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Wer Abtreibungen vornimmt, gerät erst recht unter Druck. Wohin das führt, erklärt Viola Hellmann, die in Dresden niedergelassene Frauenärztin war.
Rund 100.000 Frauen in Deutschland entscheiden sich jedes Jahr, ihre Schwangerschaft abzubrechen. Nur wenige trauen sich, mit Gesicht und Namen in die Öffentlichkeit zu gehen: Seit sich so genannte Lebensschützer vor Beratungsstellen oder Praxen von Ärzten und Ärztinnen postieren, die Abtreibungen durchführen. Seit mit dem Paragrafen 219a auch das "Werbeverbot" wieder in den Fokus rückte, auf dessen Basis die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel Ende 2017 zunächst zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt worden war - sie hatte auf der Internetseite über die Leistungen ihrer Praxis, darunter auch den Schwangerschaftsabbruch, informiert.
Schon 2006 wurde Viola Hellmann, die bis vor kurzem in Dresden als niedergelassene Frauenärztin arbeitete, von dem militanten Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen aus Baden-Württemberg angezeigt, weil sie auf der Webseite ihrer Praxis über den medizinischen Schwangerschaftsabbruch Auskunft gab. Der zuständige Staatsanwalt gab sich damals damit zufrieden, dass sie den Passus von der Webseite nahm. "Das war schon heftig", erzählt sie in der Nah dran-Reportage "Die schwerste Entscheidung meines Lebens".
"Zunehmender Druck"
Rund zehn Jahre später scheint sich die Lage zuzuspitzen, Abtreibungsgegner machen hierzulande verstärkt mobil und fordern nicht nur, den Paragrafen 219a beizubehalten, sondern die im Paragrafen 218 getroffenen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu verschärfen. Ihre Aktionen zeigen offenbar Wirkung. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins "Kontraste" gibt es bundesweit immer weniger Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Laut Statistischem Bundesamt ging die Zahl seit 2003 um 40 Prozent zurück. Die Bundesärztekammer sieht in dem zunehmenden Druck "militanter Abtreibungsgegner einen Grund für den Rückgang. Ärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery äußert Verständnis "für jeden Arzt, der unter den herrschenden Bedingungen keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen möchte". Zugleich appelliert er an die Politik sicherzustellen, dass "Ärzte betroffene Frauen nach medizinischen Standards versorgen können, ohne von so genannten Lebensschützern diffamiert und in der Ausübung ihres Berufes zum Teil massiv gestört zu werden".
Also ich hätte es gar nicht glauben können, dass der Schwangerschaftsabbruch mal unter Strafe gestellt wird. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Was ich damals (an dem Kompromiss) positiv fand, war die Beratungsregelung.
Ausreichende Versorgung und Standards gefährdet?
Die Bundesländer sind gesetzlich verpflichtet, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Genau diese ausreichende Versorgung und die Standards sieht Viola Hellmann in Gefahr. 1979 begann sie als junge Fachärztin am Dresdner städtischen Krankenhaus. Etwas "fließbandartig" sei ihr die Prozedur bei Abtreibungen dort vorgekommen: "Aufnahme, Eingriff, Entlassungsgespräch". Die Beratung der Frauen sei zu kurz gekommen, räumt sie ein. Die gesetzliche Grundlage war hingegen klar. Abbrüche vorzunehmen, das gehörte zum medizinischen Alltag und der Eingriff somit zur Facharzt-Ausbildung, wie Hellmann erklärt. Nun gingen immer mehr Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen können, in Rente.
"Wo sollen Kollegen das lernen?"
Für den Nachwuchs sei dieser gynäkologische Eingriff im Medizinstudium maximal ein Randthema. Es mangele an Leitlinien und Austausch, findet sie. Deutlich werde dies auch beim Blick auf die Möglichkeit zu einem medikamentösen Abbruch. Die gebe es seit fast 20 Jahren, durchgesetzt habe sie sich hierzulande nicht. Auch weil es keine Weiterbildungen zum Thema gebe, wie Viola Hellmann erklärt: "Wo sollen Kollegen das lernen?" Dass ein Arzt oder eine Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche anbietet oder vornimmt, per se im Strafrechtskontext steht, und zunehmend unter Druck gerät, sieht sie wie Montgomery als Grund für die drohenden Lücken.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 04. Oktober 2018 | 22:35 Uhr