Luthers Erbe Weihnachtslieder als Exportschlager der Reformation
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26. Dezember 2023, 09:31 Uhr
Weihnachtszeit ist auch Gesangszeit – nicht nur für Kirchgänger. Denn Lieder zum Fest haben eine lange und gepflegte Tradition, woran Martin Luther nicht ganz unschuldig ist. Durch die Reformation erlangte das Kirchenlied einen hohen Stellenwert und Deutschland wurde zum Exportland für diese Lieder. Ihre Geschichte wird an der Uni Mainz erforscht, wo es das einzige Gesangbucharchiv in Mitteleuropa gibt.
Rund 8.000 Exemplare vom 16. Jahrhundert bis heute kann das Mainzer Gesangbucharchiv vorweisen. Drei Viertel davon kommen aus den evangelischen Kirchen, ein Viertel aus der katholischen. Denn obgleich es bereits seit dem fünften Jahrhundert christliche Gesänge gibt, ist das Kirchenlied im Gottesdienst eine spezifische Errungenschaft des Protestantismus.
Luther ersetzt die lateinischen Gesänge, die das Mittelalter für die Messe hatte, durch das deutschsprachige Kirchenlied. Und man kann sagen: Die Reformation hat sich auch ihren Sieg ersungen.
Es gebe Berichte, so Ansgar Franz, dass sogar Handwerker bei der Arbeit und Bauern auf dem Felde Luther-Lieder gesungen hätten. Hinzu komme der quasi obligatorische Gesang, der in häuslichen Andachten und in Familienkreisen bei Protestanten gepflegt wurde.
Besonderer Exportschlager ist das Weihnachtslied
Durch den Stellenwert, den die Reformation dem Kirchenlied einräumt, wird Deutschland jahrhundertelang ein Exportland dieser Lieder.
Besonders erfolgreich ist dabei das deutsche Weihnachtslied, das schon recht früh seinen Weg in andere Länder findet. Mit Abstand am bekanntesten ist "Stille Nacht, heilige Nacht".
Zu Weihnachten 1818 nachweislich das erste Mal in einer österreichischen Dorfkirche aufgeführt, verbreitet sich das Lied von Leipzig aus, wohin es Tiroler Sänger gebracht hatten, in die ganze Welt. "Stille Nacht, heilige Nacht“ wurde inzwischen in mehrere hundert Sprachen übersetzt und 2011 von der UNESCO zum sogenannten immateriellen Weltkulturerbe erklärt.
Dass nicht nur dieses, sondern auch andere Lieder ein vielschichtiges Leben vorweisen können, zeigt ein Blick in die sogenannte hymnologische Datenbank des Mainzer Gesangbucharchivs. Denn in ihr werden die einzelnen Liedgeschichten erfasst, erklärt Mitarbeiterin Christiane Schäfer.
"Wenn man jetzt mal das Lied "Es ist ein Ros' entsprungen" anschaut, sieht man, dass es 1599 das erste Mal in einem katholischen Gesangbuch gedruckt wurde. Im 17. Jahrhundert war es weitgehend katholisch überliefert. Am Ende des 19. Jahrhunderts taucht es vereinzelt in evangelischen Gesangbüchern auf. Und dann ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist es in beiden Konfessionen vertreten“, weiß die wissenschaftliche Mitarbeiterin zu berichten.
Kirchliche Weihnachtslieder sind auch weiterhin beliebt
Auch wenn die Kirchen hierzulande immer leerer werden und an gesellschaftlicher Relevanz einbüßen, glaubt Ansgar Franz nicht, dass Weihnachtslieder ein Auslaufmodell sind.
Wenn man mal in die Charts schaut, was Sängerinnen und Sänger veröffentlichen - Helene Fischer etwa - dann sind das noch immer oft Einspielungen von Weihnachtsliedern, die einen Markt finden, die gekauft und vielleicht auch mitgesungen werden.
Allerdings werden Weihnachtslieder manchmal in Zusammenhängen gesungen, die dem Leiter des Mainzer Gesangbucharchivs schwer begreiflich sind. Etwa als die Pegida-Bewegung vor einigen Jahren Weihnachtslieder auf Demonstrationen sang.
Da wird die Geschichte eines Ehepaares besungen, das auf der Flucht ist und keinen Platz in einer Herberge findet. Und das von Menschen, die sich deutlich und explizit gegen Zuwanderung und gegen Fremde richten.
Den Demonstranten schien dieser Widerspruch nicht aufzufallen. Es lohnt sich also noch immer, die Texte von Kirchen- beziehungsweise Weihnachtsliedern genau zu studieren.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 26. Dezember 2023 | 10:00 Uhr