MDR KULTUR | 26.01.2024 | Wochenabschnitt Beschalach - Schabat Schira Schabbat Schalom: Wenn der Preis für den Frieden zu hoch ist
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11. August 2023, 12:00 Uhr
Um Frieden und Einheit muss man sich bemühen, auch um einen sehr hohen Preis. Aber man muss auch wissen, wann der Preis dafür zu hoch ist – weil das Recht nur noch mit Füßen getreten wird. So interpretiert der Dresdner Kanto Elija Schwarz den Wochenabschnitt Beschalach.
An diesem Wochenabschnitt Beschalach lesen wir, dass mittels einer voranziehenden Wolkensäule des Tags und einer Feuersäule des Nachts der Ewige dem jüdischen Volk den Weg durch die Wüste weist.
Allerdings führt Gott das Volk auf Umwegen aus Mizrajim, also aus dem biblischen Ägypten, heraus in Richtung Jam Suf, was wir am besten mit Schilfmeer übersetzen können.
Der Ewige verhärtet das Herz des Pharaos und jener setzt dem Volke mit seinen Kriegern auf schnellen Streitwagen nach. Der Fluchtweg scheint durch das Schilfmeer abgeschnitten. Die Bnej Jissra'el sehen die pharaonische Streitmacht von hinten nahen und fürchten sich.
Mosche erklärt dem Volk, dass der Ewige helfen werde. In Kapitel 14, Vers 21 lesen wir: "Mosche reckte seine Hand über das Meer, und der Ewige führte das Meer hinweg durch einen heftigen Ostwind die ganze Nacht und legte das Meer trocken, und die Gewässer spalteten sich." Soweit das Zitat! Durch die so entstandene Furt im Jam Suf zogen die Jissra‘eliten trockenen Fußes ans gegenüberliegende Ufer.
Als sie auf der anderen Seite angekommen sind, streckt Mosche die Hand aus. Die Furt versinkt in den wieder zusammenströmenden Wassern und die nachsetzende Streitmacht der Ägypter mit ihren Rössern und Kampfwagen ertrinkt. Mosche und das Volk singen dem Ewigen ein Loblied, das Schirat HaJam. Deswegen wird dieser Schabbat meist einfach nur Schabbat Schira genannt. Mirjam schlägt die Handpauke und fällt tanzend mit den Frauen in den Triumphgesang ein.
Die Geschehnisse in unserem Wochenabschnitt brachten den Bnej Jissra'el sehr ereignisreiche Tage, in denen sie sich oft dem Tode näher wähnten als dem Überleben. Ganz am Ende unserer Parascha hören wir vom unvermittelten und unbegründeten Überfall der Amalekiter auf das in der Wildnis rastende Volk.
Solange Mosche dem Volk durch seine himmelwärts flehenden Hände verdeutlichte, das Gott mit ihnen streitet, siegten die Bnej Jissra'el unter Jehoschu'as Führung. Wenn Mosches Hände schwach wurden, konnte er auf die Unterstützung Aharons und Churs zählen: "Aharon und Chur stützten seine Hände, der eine von hier, der andere von dort; so blieben seine Hände Ausdruck des Vertrauens, bis die Sonne unterging."
Aharon kennen wir schon, denn seit einigen Kapiteln dieses zweiten Buches der Tora tritt er uns an der Seite seines Bruders Mosche entgegen – zuerst ihn durch seine Sprachgewandtheit unterstützend, später auch als Wundertäter.
Im Mischna-Traktat des Babylonischen Talmuds Pirkej Awot lesen wir einen Ausspruch Hillels "Sei von den Schülern Aharons, der Frieden liebt und ihm nachjagt, die Menschen liebt und sie (dadurch) der Tora näherbringt." Im Tenach und im Midrasch finden wir Aharon als klassischen Friedensstifter in seinem Volke.
Aber wer ist Chur? Er taucht so unvermittelt ohne eine Erklärung auf, als habe man ihn als bedeutende Persönlichkeit einfach zu kennen. Und so wird es in dieser Generation auch gewesen sein.
Raschi schreibt mit Bezug auf Sota 11b: "Chur war der Sohn von Mirjam und Kalew war ihr Mann." Flavius Josephus ist anderer Meinung und sah Chur als Mirjams Ehemann. Die Tora schenkt Chur nicht sehr viel Raum, erwähnt aber, dass er der Großvater von Bezalel, dem Künstler des Heiligtums des Wüstenzuges (Mischkan/Ohel Moed) ist.
Aber die rabbinische Literatur würdigt ihn ausführlicher und der Midrasch Wajikra Rabba sagt: "Als nämlich die Kinder Israels jene schändliche Tat (gemeint ist der Guss des goldenen Stierkalbbildes) begangen hatten, gingen sie zuerst zu Chur und sprachen zu ihm: 'Auf! Mach uns einen Gott.'
Und als er ihnen nicht Folge leistete, machten sie sich über ihn her und erschlugen ihn. Dann gingen sie zu Aharon mit derselben Aufforderung. 'Auf! Sprachen sie, mache uns einen Gott.' Als Aharon den Vorfall in Erfahrung brachte, geriet er in Furcht, 'Aharon fürchtete sich sehr (so liest das der Midrasch) und baute einen Altar vor ihm'.
Wir erfahren also, dass es Chur war, der sich der Menge entgegenstellte und protestierte und dass der Eiferer für das Recht durch den Pöbel ermordet wurde. Der große Friedensfreund Aharon behielt sein Leben und bewahrte das Volk auch vor der Sünde eines weiteren Mordes, aber er verhinderte nicht die Ursünde des jüdischen Volkes – den Abfall beim goldenen Stierkalb.
Mosche ist der größte Prophet und Anführer, den unser Volk je hatte und damit ist er Vorbild und Prototyp für eine gute Führungskraft. Er hatte in dieser entscheidenden Schlacht gegen Amalek zwei Stützen. Den friedliche Einheit schaffenden Aharon und den für das Recht streitenden und sich dafür aufopfernden Chur.
Diese durch beide verkörperten Aspekte sollen das Handeln eines Führenden flankieren. Um Frieden und Einheit muss man sich bemühen, auch für einen sehr hohen Preis. Aber man muss auch wissen, wann der Preis für zu hoch ist, weil wir danach nichts mehr von Wert haben, wenn das Recht vollkommen mit Füßen getreten ist. Ob zwischen zwei Menschen, ob innerhalb der jüdischen Gemeinschaft oder zwischen Israel und den Völkern – manchmal ist der Preis für den Frieden und die Einheit zu hoch. Dann müssen wir nein sagen!
Schabbat Schalom und alles Gute für Euch und Eure Familien und Freunde!
Zur Person: Elija Schwarz Elija Schwarz (*1969) arbeitet als Kantor für die Jüdische Gemeinde zu Dresden. Außerdem ist er als Kantor und Religionslehrer für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen tätig und auch für das Jüdische Seniorenheim Hannover zuständig. Zuvor war er fünf Jahre lang Kantor der Etz-Chaim-Synagoge in Hannover. Darüber hinaus betreut er seit fast zwei Jahrzehnten die Jüdische Gemeinde Elmshorn in Schleswig-Holstein. Wenn er nicht dienstlich unterwegs ist, lebt Elija Schwarz in Bitterfeld.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 26. Januar 2024 | 15:45 Uhr