Interview Grönemeyer: "Chronisch negativer Stress" als Ursache für Rückenschmerzen
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29. Oktober 2020, 05:00 Uhr
Viele leiden unter Rückenschmerzen. Auch emotionaler Stress kann zu Muskelverspannungen und damit zu Rückenschmerzen führen, erklärt Professor Dr. Grönemeyer im Interview. Linderung können hier auch Heilkräuter bringen!
Was sind die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen?
Prof. Dietrich Grönemeyer: Bei den meisten von uns liegt es am Lebensstil: Wir bewegen uns zu wenig, sitzen zu viel – beispielsweise im Büro – und dann auch noch oft falsch. Dadurch verspannen sich die Muskeln, die die Wirbelsäule stützen und einen Großteil des Gewichts abfedern, das auf der Wirbelsäule lastet. Etwa 80 Prozent aller Rückenschmerzen sind auf verspannte Muskulatur zurückzuführen. Kommt noch Übergewicht dazu, ist der Rücken besonders gefährdet. Weitere Schmerzursachen können eingeklemmte Nerven, verschobene Bandscheiben und einseitige Belastungen sein sowie Verrenkungen durch Unfälle. Verschleiß ist dagegen nur zum kleineren Teil für Rückenschmerzen verantwortlich. Etwa zehn Prozent der Rückenschmerzen sind auf Blockaden oder Arthrosen der Wirbelgelenke und nur drei bis vier Prozent auf Veränderungen der Bandscheiben zurückzuführen.
Welche Auswirkungen können emotionale Faktoren wie Stress oder Ängste auf den Rücken haben?
Der Rücken ist nicht nur ein Körperteil, sondern wirklich ein ganz zentrales psychosomatisches Organ! Er muss alles "tragen", eben auch Stress und seelische Belastungen. Dies ist insbesondere der Nacken, die Schultern und der obere Brustbereich, da sich bei negativem Stress genau dort Spannungen und Muskelverhärtungen festsetzen. Solche Verkrampfungen können übrigens sehr schmerzhaft sein und das Leben und Gemüt, auch die berufliche Tätigkeit, massiv beeinträchtigen. Stress treibt uns an, etwas zu tun. Aktiv zu sein, das eigene Leben zu gestalten, in körperlich und geistig in Bewegung zu sein. Aber chronischer negativer Stress ist es eben, der zu Anspannung, dann zur Verspannung und dann möglicherweise zu chronischen Schmerzproblemen führt. Und wer unter Dauerbelastung steht, zieht instinktiv die Schultern hoch. Das ist eine ganz natürliche, unbewusste Abwehrhaltung. Aber diese Körperhaltung bremst auch die Beweglichkeit des Brustkorbs. Die Drehbewegungen zwischen Hüfte und Schultern werden immer anstrengender, bis es richtig weh tut.
Mit welchen Hausmitteln kann man auch Zuhause Verspannungen vorbeugen oder verbessern?
Wichtig ist natürlich immer die Abklärung, ob eine körperliche Ursache der Beschwerden vorliegt. Wenn die Rückenbeschwerden überwiegend von muskulären Verspannungen herrühren, heißt das eben auch, dass sich diese meist schon mit Stretchen, Bewegung, Massagen, Osteopathie, Wärmeanwendungen, Yoga, Entspannungsgymnastik oder Akupressur und Akupunktur oder Wickel mit u.a. Senfölen, Chili, Rosmarin oder Weidenrinde lösen lassen. Schmerzmittel müssten viel weniger verschrieben, Bandscheiben-OP seltener durchgeführt werden, als das noch immer geschieht. Meine Devise lautet deshalb: Von leicht nach schwer. Zuerst Bewegung, Entspannungsübungen, Physiotherapie, sanfte Mikrotherapie ambulant, zuletzt, wenn das alles nicht hilft, der operative Eingriff.
Wann sollte man zum Arzt gehen?
Sofortige ärztliche Hilfe benötigen Sie, wenn Körperhaltung oder Bewegungen nichts am Grad oder an der Lokalisation der Schmerzen ändern oder diese stärker werden. Auch akute Muskelschwäche, Verdauungsprobleme, Störungen beim Wasserlassen und Fieber sowie ein Taubheitsgefühl sollten Sie sofort abklären lassen.
Braucht jeder Rückenpatient ein MRT?
Wie gesagt, sehr häufig handelt es sich ja bei Rückenproblemen einfach um Verspannungen. Da ist ein MRT nicht erforderlich. Die Heilungsmöglichkeiten reichen je nach Schweregrad und individueller Situation von Bewegung über Massagen, Akupunktur, Osteopathie bis zur Psychotherapie und sanften Behandlungsformen wie die Mikrotherapie. Hierbei werden mit Medikamenten oder Mikroinstrumenten wie dem Laser unter CT- oder Kernspin-Sicht millimetergenau Bandscheiben und Rückengelenken behandelt, auch schmerzauslösende Nerven. Zusätzlich können leichte Schmerzmittel, Wärmebehandlungen und Physiotherapie (Massagen) helfen. Bei chronischen Rückenschmerzen ist aufgrund der vielfältigen möglichen Ursachen eine Analyse durch ein interdisziplinäres Ärzteteam sehr wichtig. Je nach Diagnose ergibt sich dann ein individueller Therapieansatz. Die Operation steht ganz am Ende, Notfallsituationen natürlich ausgenommen.
Werden in Deutschland zu viele Rückenpatienten operiert?
Ja, das sagen die aktuellen Studien. Viel zu häufig wird die falsche Diagnostikmethode angewandt – auch wiederholtes Röntgen kann keinen Bandscheibenvorfall sichtbar machen, sondern dies können nur die modernen bildgebenden Verfahren (CT/MRT) - , und viele Eingriffe können ambulant vorgenommen werden. Dieser Ansatz hat mich dazu geführt, vor gut 20 Jahren das Grönemeyer Institut für Mikrotherapie in Bochum zu gründen, unter der Prämisse "weniger ist mehr", für präzise Diagnostik und schonende, ambulante Eingriffe im ganzheitlich aufgestellten Team.
Zur Person
Professor Dietrich Grönemeyer setzt sich dafür ein, Rückenschmerzen mit natürlichen Mitteln zu heilen, um unnötig medizinische Eingriffe zu vermeiden.
Ein Zusammenspiel der verschiedenen medizinischen Disziplinen ist für ihn und sein Team von ebenso großer Bedeutung wie die ganzheitliche Wahrnehmung von Körper und Emotionen, um den Ursachen auf den Grund zu gehen.
1997 rief er das Institut für Mikrotherapie in Bochum ins Leben. Weitere Standorte gibt es inzwischen in Berlin, Hamburg, Köln und Stuttgart.
Professor Dietrich Grönemeyer ist der Bruder des Sängers Herbert Grönemeyer.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Hauptsache Gesund | 29. Oktober 2020 | 21:00 Uhr