Finanzexperte erklärt Aus Hartz IV wird Bürgergeld: Was sich ändert
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10. Januar 2023, 16:00 Uhr
Hartz IV ist Geschichte - seit dem 1. Januar 2023 gibt es das neue Bürgergeld. Bedürftige sollen mehr Unterstützung erhalten als im bisherigen System, außerdem soll der Fortbildung und Weiterbildung mehr Priorität eingeräumt werden. Finanzexperte Hermann-Josef Tenhagen kennt die Regelsätze und wichtigsten Neuerungen. Er erklärt, inwieweit eine Karenzzeit beim Ersparten greift, wenn staatliche Hilfen ausgezahlt werden - und was es etwa bei Wohneigentum zu beachten gilt.
Hartz IV heißt seit dem 1. Januar 2023 Bürgergeld - und ist auch etwas deutlich anderes. Immer noch gilt: Das Bürgergeld ist das letzte finanzielle Sicherheitsnetz, das Ihnen der Staat zu bieten hat, für Bürgerinnen und Bürger, die arbeiten können, aber nicht (genug) verdienen.
Erst müssen Bürgergeld-Beziehende aber die anderen Möglichkeiten staatlicher Hilfen ausschöpfen: Kindergeld und Kinderzuschlag, Wohngeld, Arbeitslosengeld, Elterngeld, Bafög und einiges mehr. Und auch das Bürgergeld gibt es nur auf Antrag. Nach wie vor: Wer Bürgergeld bezieht, von dem verlangt der Staat, dass er oder sie daran mitwirkt, aus dieser prekären Situation wieder herauszukommen. Das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Bürgergeld-Regelsätze im Überblick
Das Bürgergeld seit Anfang Januar ist aber erstens deutlich erhöht worden. Der sogenannte Regelsatz für Singles steigt von 449 auf 502 Euro im Monat. Für Paare steigt der Regelsatz auf 902 Euro. Und auch für Kinder fließt deutlich mehr Geld.
- 451 Euro - für eheliche oder nicht eheliche Partnerinnen oder Partner einer Lebensgemeinschaft
- 420 Euro - für Kinder im Alter von 14 bis 17 Jahren
- 348 Euro - für Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren
- 318 Euro - für Kinder bis einschließlich fünf Jahre
Das ist angesichts der aktuellen Inflation von acht Prozent und der besonders stark steigenden Preise für Lebensmittel auch dringend notwendig und wäre sonst möglicherweise schon bald vom Verfassungsgericht eingefordert worden. Wichtiger aber noch sind zwei anderen Veränderungen.
Neuerung 1: Einführung einer Karenzzeit beim Bürgergeld
Zum einen die Einführung einer Karenzzeit, in der für einen Bürgergeld-Haushalt die Kosten der aktuellen Wohnung und das Ersparte nicht angetastet werden müssen, um tatsächlich Geld vom Jobcenter oder der Behörde zu bekommen. Dahinter stecken Erfahrungen aus der Corona-Zeit, als Hartz IV auch Haushalten helfen sollte, die auch durch staatliche Eingriffe und Verbote aus der Selbstständigkeit in finanziell prekäre Situationen geraten sind und für die andere Kanäle nicht zur Verfügung stehen.
Die Logik dahinter ist einfach, zunächst einmal soll sich der Bürgergeld-Haushalt darauf konzentrieren können, aus eigener Kraft schnell wieder das notwendige Erwerbseinkommen zu erzielen, ohne eine Wohnung suchen zu müssen oder die Ersparnisse aufzubrauchen. In der aktuellen Situation geht es bei diesen Möglichkeiten auch darum, dass Haushalte mit hohen Energierechnungen tatsächlich die Möglichkeit haben, für das Bezahlen dieser Rechnungen zeitweise auch auf Bürgergeld zurückzugreifen.
Das bleibt unangetastet vom Bürgergeld
Klassische Altersvorsorge in Versicherungsform, die ja oft vor dem Ruhestand gar nicht angetastet werden kann, musste schon zu Hartz-IV-Zeiten nicht aufgebraucht werden, bevor man diese staatlichen Hilfen bekommen konnte.
Jetzt sollen aber auch Erspartes von 40.000 Euro für das erste Mitglied im Haushalt und weitere 15.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied im ersten Jahr nicht angetastet werden müssen. Auch nach dem ersten Jahr sind die Freigrenzen für das sogenannte Schonvermögen erhöht worden auf 15.000 Euro pro Haushaltsmitglied.
Das eigene Haus oder die eigene Wohnung wurden ohnehin nicht angetastet, solange die Wohnfläche nicht zu groß war. Bis zu 130 Quadratmeter für vier Personen waren schon zu Hartz-IV-Zeiten erlaubt. Hier kann es später nur zu Einschränkungen der Kostenübernahme kommen.
Neuerung 2: Ausbildung und Fortbildung beim Bürgergeld
Die staatlichen Stellen haben in den vergangenen Jahren gemerkt, dass ein großer Teil der Hilfsempfänger und -empfängerinnen keine abgeschlossene Berufsausbildung hat und aus Qualifikationsgründen nur schwer in den klassischen Arbeitsmarkt zu vermitteln waren.
Deshalb soll jetzt der Aus- und Fortbildung eine höhere Priorität eingeräumt werden. Schon ab sofort soll auch der sogenannte Vermittlungsvorrang fallen. Das heißt, Bürgergeld-Empfangende sollen eine Aus- oder Fortbildung nicht mehr abbrechen müssen, um einen Job anzutreten, der sie nur kurzfristig aus dem Bürgergeldbezug hinausführt.
Wenn Sie Bürgergeld beziehen, dürfen Sie dazuverdienen. Schülerinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende können bis zu 520 Euro im Rahmen eines Minijobs hinzuverdienen, ohne dass ihnen das Bürgergeld gekürzt wird. Für andere Erwerbstätige sind die Regeln strenger. Die ersten 100 Euro Zuverdienst sind frei, von den nächsten 410 Euro darf man 20 Prozent behalten, der Rest wird vom Bürgergeld behalten.
Ob die Reform gelingt, die Behörden in der Lage sind, die neuen Ideen umzusetzen und die über fünf Millionen Empfängerinnen und Empfänger des Bürgergelds tatsächlich dauerhaft aus dem Leistungsbezug herauskommen können, wird man dann sehen.
Quelle: MDR um 4
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | 10. Januar 2023 | 17:00 Uhr