Menschen neben ausgebrannten Pkws
Bei der Explosion in dem Krankenhaus in Gaza-Stadt sollen Hunderte Menschen getötet und verletzt worden sein. Die genaue Zahl der Opfer ist noch unklar. Bildrechte: IMAGO/APAimages

Nahost-Konflikt Schuldzuweisungen nach Explosion von Rakete vor Gaza-Klinik

18. Oktober 2023, 22:16 Uhr

Nach dem Raketeneinschlag an einem Krankenhaus in Gaza-Stadt mit mutmaßlich Hunderten Toten und Verletzten machen sich die Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich. In muslimisch geprägten Ländern kam es zu Protesten. Jordanien sagte ein für heute geplantes Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden kurzfristig ab. Bundeskanzler Scholz sichert Menschen im Gazastreifen weiter humanitäre Hilfe aus Deutschland zu.

Nach der Explosion an einem Krankenhaus in Gaza-Stadt machen sich die Kriegsparteien gegenseitig für den mutmaßlichen Beschuss verantwortlich. Die Hamas beschuldigte Israel und kündigte einen "Tag des Zorns" an. Die israelische Armee erklärte, es handle sich um eine fehlgeleitete Rakete des Islamischen Dschihad und kündigte Beweise an. Ein Militärsprecher verwies auf ein abgehörtes Gespräch, in dem ein Kämpfer einen Fehlschuss zugegeben habe.

Nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums im Gazastreifen sind bei dem Raketen-Einschlag 471 Palästinenser getötet worden. 324 weitere Menschen wurden verletzt, wie das Ministerium am Mittwoch mitteilte. 28 Menschen sind demnach in kritischem Zustand. Es waren die ersten offiziellen Zahlen der Behörde. Unabhängig waren die Angaben zunächst nicht zu überprüfen.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kündigte eine dreitägige Staatstrauer an und berief ein Krisentreffen ein.

Westliche Welt reagiert schockiert und entsetzt

Zahlreiche Länder wie der Iran, Ägypten, Jordanien, Katar und die Türkei sowie die Weltgesundheitsorganisation WHO verurteilten den Angriff. Der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau bezeichnete den Beschuss der Klinik als "entsetzlich und absolut inakzeptabel". In Deutschland zeigte sich das Auswärtige Amt erschüttert. Zivile Ziele, insbesondere ein Krankenhaus dürften unter keinen Umständen angegriffen werden. Ähnlich reagierte UN-Generalsekretär António Guterres und verwies auf das humanitäre Völkerrecht.

Wir sind zutiefst schockiert angesichts der Berichte über Hunderte Tote im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza.

Bundesaußenministerium

Scholz sichert Menschen im Gazastreifen weiter humanitäre Hilfe aus Deutschland zu

Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Zivilbevölkerung im Gazastreifen die Fortsetzung der humanitären Hilfe aus Deutschland zugesichert. "Wir lassen die Menschen nicht alleine", sagte Scholz am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi in Kairo. Die Bundesregierung werde ihr humanitäres Engagement für Gaza fortsetzen, um das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern. Es sei auch wichtig, dass die "Explosion" an einem großen Krankenhaus in Gaza-Stadt genau aufgeklärt werde, sagte Scholz. "Wir trauern um diejenigen, die aus dem Leben gerissen wurden." Mit al-Sisi habe er intensiv über die humanitäre Lage im Gazastreifen gesprochen. Diese warnte vor einem Massenexodus der Palästinenser aus dem Gazastreifen nach Ägypten. Der Rafah-Grenzübergang sei aber nicht geschlossen worden. Vielmehr hätten die Entwicklungen vor Ort den Betrieb verhindert.

Joe Biden ruft Israel zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf

US-Präsident Joe Biden reagierte mit Bestürzung auf den Raketeneinschlag. Er sei "empört und zutiefst betrübt" über den schrecklichen Verlust von Menschenleben". Das Weiße Haus erklärte: "Die Vereinigten Staaten treten unmissverständlich für den Schutz der Zivilbevölkerung während des Konflikts ein."

Nach der Explosion deutet nach Darstellung von US-Präsident Joe Biden einiges auf eine Verantwortung der palästinensischen Seite hin. Bei einem Treffen mit Israels Staatspräsident Isaac Herzog und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Tel Aviv vermied Biden allerdings zunächst eine eindeutige Festlegung auf mögliche Verantwortliche. Biden erklärte, die USA unterstützten Israel mit allem, was das Land zur Verteidigung gegen die Hamas benötige.

US-Präsident Joe Biden trifft sich in Tel Aviv mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu, um den Krieg zwischen Israel und der Hamas zu besprechen.
US-Präsident Joe Biden. Bildrechte: IMAGO/UPI Photo

Zugleich aber mahnte er ein maßvolles Vorgehen an. Israel solle nicht die "Fehler" der USA nach den islamistischen Terroranschlägen vom 11. September 2001 wiederholen. "Ich warne: Während Sie die Wut fühlen, lassen Sie sich nicht von ihr verzehren."

"Nach 9/11 waren wir in den USA wütend", sagte Biden mit Blick auf die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York sowie das US-Verteidigungsministerium. "Während wir Gerechtigkeit gesucht und Gerechtigkeit erhalten haben, haben wir auch Fehler begangen." Der nach den Terroranschlägen 2001 von den USA ausgerufene "Krieg gegen den Terrorismus" hatte unter anderem zu den verheerenden Kriegen in Afghanistan und im Irak geführt.

Der US-Präsident rief Israel in seiner Rede zu einem Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen auf. Er kündigte zudem neue humanitäre Hilfen für die Palästinenser im Gazastreifen und im Westjordanland in Höhe von 100 Millionen Dollar (rund 95 Millionen Euro) an.

Israels Militär veröffentlicht Luftaufnahmen von Gaza-Krankenhaus

Die Explosion an dem Krankenhaus geht nach israelischen Erkenntnissen klar auf das Konto militanter Palästinenser. Israels Militär veröffentlichte Aufnahmen, die beweisen sollen, dass eine fehlgeleitete Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad für den Einschlag in der Al-Ahli-Klinik verantwortlich sei. Diese wies das zurück. Auf den Luftaufnahmen sind das Krankenhaus und ein Parkplatz zu sehen, auf dem ein Brand ausgebrochen war. Größere Beschädigungen am Klinikgebäude sind nicht ersichtlich. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben war zunächst nicht möglich.

Nach Krankenhausbeschuss: Proteste in muslimischen Staaten

In mehreren muslimisch geprägten Ländern kam es zu spontanen Protesten. Im jordanischen Amman versuchten Demonstranten laut Nachrichtenagentur Petra, zur israelischen Botschaft zu gelangen. In der türkischen Metropole Istanbul versammelten sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu zahlreiche Menschen, schwenkten palästinensische Flaggen und riefen anti-israelische Parolen. Weitere Proteste gab es zum Beispiel in Tunesien, Irak, Iran und im Libanon. Die mit Israel verfeindete pro-iranische Miliz Hisbollah rief einen "Tag des beispiellosen Zorns" gegen Israel aus.

So haben Tausende Menschen in der libanesischen Hauptstadt Beirut gegen Israel protestiert. Bei den Demonstrierenden soll es sich laut der Nachrichtenagentur dpa größtenteils um Hisbollah-Anhänger handeln, auch viele Flaggen der Miliz waren zu sehen. Einige Menschen riefen "Tod für Israel", auf Plakaten waren israelische Kampfflugzeuge mit dem Slogan "Made in USA" zu sehen.

Auch Proteste in deutschen Großstädten

Auch in mehreren deutschen Städten kam es im Verlauf des Tages zu Protesten und Krawallen. So ist die Polizei in Berlin am Mittwoch erneut gegen nicht erlaubte Versammlungen zum Nahost-Konflikt vorgegangen. Im Stadtteil Neukölln hätten sich "Menschengruppen in aufgeheizter Stimmung" versammelt, erklärte die Polizei am Abend im Onlinedienst X (ehemals Twitter). Aus der Menge seien Feuerwerk, Steine und Flaschen auf die Beamten geworfen worden, die Polizei setzte Wasserwerfer ein.

Auch in Frankfurt am Main ging die Polizei gegen eine verbotene Versammlung vor.

UN-Generalsekretär fordert Feuerpause im Nahost-Konflikt

UN-Generalsekretär António Guterres hat eine humanitäre Feuerpause im Nahost-Konflikt gefordert, um das Leid der Menschen zu lindern. Zu viele Leben und das Schicksal der gesamten Region würden auf dem Spiel stehen, schrieb Guterres im Internetdienst X, vormals Twitter. Zuvor hatte er sich entsetzt über den Tod Hunderter Zivilisten nach dem Beschuss eines Krankenhauses im Gaza-Streifen geäußert. Er verurteilte den Angriff "auf das Schärfste". Sein Herz sei bei den Familien der Opfer. Krankenhäuser und medizinisches Personal unterlägen dem Schutz des humanitären Völkerrechts.

Israels Armee greift erneut Ziele der Hisbollah im Libanon an

Das israelische Militär hat erneut Stellungen der pro-iranischen Hisbollah im Libanon angegriffen. Kampfflugzeuge hätten in Reaktion auf den wiederholten Beschuss Israels vom Libanon aus einen Beobachtungsposten und militärische Infrastruktur der Schiiten-Miliz getroffen, wurde auf Telegram mitgeteilt. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel hat es in den vergangenen Tagen auch an der nördlichen Grenze Israels zum Libanon immer wieder Attacken gegeben. Sie schüren Sorgen vor weiterer Eskalation.

Zahl der Toten steigt weiter

Radikal-islamische Hamas-Terroristen hatte vor einer Woche einen Großangriff auf Israel gestartet. Auf israelischer Seite wurden nach vorläufigen Angaben mehr als 1.400 Menschen getötet, bei den folgenden Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen starben nach Angaben der Hamas-Behörden bisher mehr als 3.300 Menschen. Das waren binnen einer Woche schon mehr als bei dem letzten großen Gaza-Krieg von 2014, der 50 Tage dauerte.

dpa,KNA,AFP, epd (dkn, kar, das)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 18. Oktober 2023 | 06:00 Uhr

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