China.Macht.Essen Wie China seinen Einfluss in der Ernährungsorganisation der UN ausbaut
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30. Juni 2023, 05:00 Uhr
China stellt seit vier Jahren den Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO. In dieser Zeit hat das Land die FAO personell umgebaut. Nun steht die Wiederwahl des chinesischen Generaldirektors an.
- Seit vier Jahren wird die Welternährungsorganisation FAO von dem Chinesen Qu Dongyu geführt.
- Er hat die UN-Organisation in seiner Amtszeit umgebaut.
- Der Generaldirektor der FAO hat zudem Lieferungen für umstrittene Pestizide freigegeben.
Nicht weit vom berühmten Kolosseum in Rom befindet sich das Hauptquartier einer UN-Organisation. Sie nennt sich FAO (Food and Agriculture Organization) und ist weltweit für Ernährung und Landwirtschaft zuständig. Sie ist die größte Sonderorganisation der UNO. Im FAO-Hauptquartier in Rom und den Länderbüros werden Daten zum Agrarbereich gesammelt und Projekte für eine bessere Ernährung konzipiert – angesichts von Klimawandel und wachsender Weltbevölkerung wichtiger denn je.
Doch in den vergangenen vier Jahren hat sich in der FAO-Zentrale in Rom einiges geändert. Das hat eine gemeinsame Recherche des BR, MDR, RBB und SWR ergeben. Vor vier Jahren wurde der Chinese Qu Dongyu zum Generaldirektor der FAO gewählt. Die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner wirft China unlautere Methoden schon während der Wahl Qus vor. Sie erinnert sich so an den Wahltag: "Es sickerte durch, bevor die Wahlgänge stattfanden, dass gerade afrikanische Staaten doch bitte ein Foto von ihrem Wahlzettel in der Wahlkabine machen sollten." Unter FAO-Beobachtern wird das als Hinweis gedeutet, dass China mehreren Staaten Angebote für ihre Stimme unterbreitet haben könnte.
China wird selbstbewusster
Christoph Heusgen, von 2017 bis 2021 ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nation und heute Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, sagt: "China kommt jetzt aus Russlands Windschatten und wird selbstbewusster.
Das Land will die USA als Weltmacht ablösen. Und das versucht China unter anderem über die Vereinten Nationen." Doch warum hat China ausgerechnet Interesse an der FAO? Mareike Ohlberg ist Expertin für chinesische Außenpolitik. Sie sagt: "Ernährung ist in erster Linie natürlich zentral, also für die chinesische Regierung selbst – als essentieller Faktor für die eigene Sicherheit zu Hause." China sei lange Zeit in der UN relativ passiv und zurückhaltend gewesen. Bei weniger beachteten UN-Organisationen baue man die Macht aber aus.
Umbau der Welternährungsorganisation
Nach seinem Amtsantritt baute der chinesische Generaldirektor Qu Dongyu die Organisation um. So besetzte er etwa zentrale Abteilungen mit chinesischen Direktoren. Vor Qus Wahl waren zwei Direktorenposten mit Chinesen besetzt, nun sind es sechs. Einer dieser Direktoren ist zuständig für den Bereich Pflanzenschutz — und damit auch für den Umgang mit Pestiziden. In diesem Bereich ist die Veränderung innerhalb der FAO in den vergangenen Jahren besonders sichtbar.
Das Rechercheteam konnte interne Unterlagen der FAO einsehen. Daraus geht hervor, dass seit 2020 Dutzende Lieferungen problematischer Pestizide in Länder in Asien und Afrika freigegeben wurden.
Lieferungen für umstrittene Pestizide freigegeben
Genehmigungen gab es nicht nur für Insektizide, die auch in Notfällen – zum Beispiel bei Heuschreckenplagen – eingesetzt werden, sondern unter anderem auch für sogenannte Herbizide und Fungizide. Diese werden gegen Unkraut und Pilzbefall eingesetzt. Viele der von der FAO zur Lieferung freigegebenen Pestizide beinhalten Wirkstoffe, die in der EU wegen ihrer Toxizität nicht mehr zugelassen sind. Die FAO schrieb auf Anfrage allgemein, man liefere keine Pestizide, die die Kriterien für hochgefährliche Pestizide erfüllen, außerdem nur solche, die im Empfängerland zugelassen seien. Fragen nach konkreten Pestizidfreigaben ließ die FAO unbeantwortet.
Der ehemalige hochrangige FAO-Mitarbeiter Hans Dreyer zeigte sich über die Freigabe einer solchen Vielfalt umstrittener Pestizide "schockiert". Dreyer ist der ehemalige Leiter der zuständigen FAO-Abteilung für Pflanzenschutz, diese umfasst auch den Bereich Pestizide. Dreyer sagte: "Also, ich kann nur über meine Zeit sprechen. Aber das war sicher so, dass man absolut versuchte, solche Substanzen nicht einzusetzen, beziehungsweise die Risiken einfach möglichst klein zu halten. Und wenn ich das so sehe, entspricht das eigentlich einer Erhöhung des Risikos, wenn man diese Substanzen jetzt einzusetzen beginnt."
Chinesische "Officer" in der FAO
Ein Insider, der seit vielen Jahren in der FAO arbeitet, erhebt zudem schwerwiegende Vorwürfe gegen die chinesische Führung: Diese instrumentalisiere die UN-Organisation für geopolitische Zwecke. Die Recherche zeigt außerdem den Einsatz chinesischer "Officer" in der FAO auf. Chinesen, die als Mitarbeiter in der FAO sitzen, deren Gehälter aber von China bezahlt werden. Auch andere Staaten bezahlen Officer aus ihren Heimatländern. Das Regime in Peking allerdings überprüft diese Officer "streng" auf ihre "politische Ideologie". Das geht aus chinesischen Ausschreibungsdokumenten hervor. Demnach müssen die Officer regelmäßig über ihre Arbeit in der FAO Bericht an die chinesische Botschaft in Rom erstatten. FAO-Mitarbeiter bezeichneten die chinesischen Officer als "Spione", sagt der Insider aus der FAO. Die FAO ließ einen umfassenden Fragenkatalog inhaltlich unbeantwortet.
Nach vier Jahren Amtszeit steht in den kommenden Tagen die Neuwahl des FAO-Generaldirektors an – wählen dürfen die Vertreter der Mitgliedsstaaten. Zwei mögliche Gegenkandidaten aus dem Irak und Tadschikistan haben ihre Kandidatur inzwischen zurückgezogen. Qu Dongyu wird also aller Voraussicht nach als Generaldirektor wiedergewählt werden.
Landwirtschaftsministerium sieht gemischtes Bild
Bei der Bundesregierung zeigt man sich öffentlich dennoch nur mäßig interessiert. Zwar ist Deutschland einer der größten Geldgeber der FAO. Ein Interview dazu wollte der Grünen-Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir trotzdem nicht geben. Aus dem Landwirtschaftsministerium hieß es, jede Instrumentalisierung der FAO für unilaterale Interessen sei nicht tolerabel. Mit Blick auf die Arbeit der FAO in den letzten vier Jahren ergebe sich ein gemischtes Bild.
Mehr zu diesem Thema am Dienstag, den 4. Juli, um 21.45 Uhr in FAKT im Ersten.
Die Dokumentation "China. Macht. Essen" finden Sie in der ARD Mediathek. Hören Sie außerdem den tagesschau-Podcast 11km vom 30. Juni 2023 in der ARD Audiothek. #ChinaMachtEssen
Hören Sie außerdem den ARD-Podcast "Welt.Macht.China" vom 30. Juni 2023 in der ARD Audiothek.
Rechercheteam: "China.Macht.Essen" ist eine gemeinsame Recherche von Eva Achinger (BR), Sascha Adamek (rbb), Nadja Armbrust (BR), Florian Barth (SWR), Judith Brosel (SWR), Katharina Brunner (BR), Lucas Grothe (MDR), Arne Meyer-Fünffinger (BR), Nadja Malak (MDR), Anja Miller (ARD Studio Rom), Alexander Nabert (BR), Andreas Rummel (MDR), Verena Schälter (BR), Ahmed Senyurt (SWR), Lennart Söhngen (SWR) und Josef Streule (BR).
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 04. Juli 2023 | 21:45 Uhr