Interview Hebamme mit Herz – Sophie Vincentz
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28. Februar 2023, 15:52 Uhr
Hebammen auf der ganzen Welt erleben das Wunder der Geburt täglich hautnah mit. Aber auch der Tod kann zur Geburtshilfe dazu gehören, erzählt Sophie Vincentz vom Geburtshaus "Rundfrau" in Leipzig. Seit Oktober 2020 ist sie hier als Hebamme tätig. Im Interview berichtet sie von ihren schönsten und traurigsten Erlebnissen und was sie von der Politik fordert.
Inhalt des Artikels:
- Was war das schönste Erlebnis? Was das schwierigste?
- Wie ist der Betreuungsschlüssel?
- Wie schätzen Sie die Lage und die Situation der Hebammen in Deutschland/in Sachsen ein?
- Was müsste sich verbessern, damit es richtig gut oder optimal wäre?
- Gibt es etwas, dass Sie im Moment besonders betrifft? Politisch, gesellschaftspolitisch, juristisch…
- Hinweise zur außerklinischen Geburtshilfe von Sophie Vincentz
Liebe Sophie, was schätzen Sie, wieviel Kindern Sie schon auf die Welt geholfen haben?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Nicht immer ist man als erste Hebamme bei der Geburt mit dabei. Wir achten darauf, dass wir bei den meisten Geburten zu zweit sind. Deswegen kann ich gar nicht genau sagen, wie viele Geburten, ich bisher begleitet habe. Irgendwann hört man auch auf zu zählen.
Sophie Vincentz Sophie Vincentz ist Hebamme im Geburtshaus "Rundfrau" in Leipzig. Sie liebt es für Menschen da zu sein und sie in einem so bedeutsamen Moment zu begleiten und zu unterstützen.
Warum sind Sie Hebamme geworden?
Ursprünglich wollte ich eigentlich gerne Medizin studieren. Doch ich hatte kein Abiturschnitt, mit dem das möglich gewesen wäre. Ich habe dann nach dem Abitur ein freiwilliges, soziales Jahr in der Klinik auf der Onkologie- und Palliativstation gemacht und so viele Menschen auf dem letzten Abschnitt ihres Weges und im Sterben begleitet.
Da habe ich für mich gelernt, dass "Medizin" und "Helfen und Heilen" nicht ausschließlich die Tablette oder die Operation sind. Für mich bedeutet es, für Menschen da zu sein, sie in einem so bedeutsamen Moment zu begleiten und zu unterstützen, Zeit für sie zu haben, zuzuhören und zu berühren. Eine Freundin hatte mich auf den Beruf der Hebamme aufmerksam gemacht und so nahm alles seinen Lauf. Jetzt könnte ich mir keinen schöneren Beruf vorstellen.
Was war das schönste Erlebnis? Was das schwierigste?
Die meisten Geburten, die wir begleiten, sind beeindruckend. Noch immer bekomme ich bei jeder Geburt Gänsehaut und denke mir "Wow, was für ein Wunder!" Jede Geburt ist individuell und auf ihre Art wunderschön. Aber natürlich gibt es immer wieder Geburten, die vielleicht Komplikationen, Risiken oder Trauer mit sich bringen. Auch als Hebammen fühlen wir in diesen Situationen natürlich besonders mit und es ist manchmal nicht leicht, die Grenze zwischen Beruf und Privatleben zu ziehen.
Ich erinnere mich besonders an eine Situation während meiner Ausbildung, bei der ich ein junges Paar begleitet habe, die ihre Zwillinge bereits in der 22. Schwangerschaftswoche geboren haben. In der Regel können die Kleinen so ab der 24. Schwangerschaftswoche überlebensfähig sein. Deshalb wurde im Voraus alles in der Medizin Mögliche versucht, um die Frühgeburt aufzuhalten und hinauszuzögern.
Ich habe das Paar eine sehr lange Zeit begleiten dürfen. Leider, leider ist die Natur doch mächtiger gewesen und sie und auch wir mussten uns von den kleinen Mädels verabschieden. Ich habe noch immer freundschaftlichen Kontakt zu dieser Familie und weiß, dass sie heute zwei gesunde Mädchen haben. Manchmal können sich sehr schwierige Situationen dann auch zu sehr schönen entwickeln.
Wie ist der Betreuungsschlüssel?
Der Betreuungsschlüssel ist einer der Hauptgründe, warum ich mich gegen das Arbeiten in der Klinik und für die außerklinische Geburtshilfe entschieden haben. Wir garantieren unseren Frauen eine 1:1-Betreuung. Das bedeutet, dass jedes Paar für die Geburt seine "eigene" Hebamme hat und die Hebamme nur für sie zuständig ist.
Für mich als Hebamme bedeutet das, mehr Sicherheit in der Betreuung. Ich kann mich zu hundert Prozent auf dieses Paar und Kind konzentrieren. Ich bin in der Lage, viel früher Pathologien wahrzunehmen, weil ich die gesamte Zeit über da sein kann. Deswegen kann ich schneller und sicherer handeln, sowie individueller betreuen.
In der Klinik wurden von einer Hebamme manchmal fünf bis acht Paare gleichzeitig betreut – etwas, das meiner Meinung nach fahrlässig und für mich persönlich unvorstellbar ist. Auf diese Weise kann keine angemessene und gute Betreuung gewährleistet werden. Das konnte ich mit meinem fachlichen Wissen und meiner eigenen Vorstellung davon, wie ich als Frau selbst unter Geburt betreut werden wollen würde, nicht vereinbaren.
Wie schätzen Sie die Lage und die Situation der Hebammen in Deutschland/in Sachsen ein?
Aktuell als sehr schwierig: Schwangere Frauen müssen zum Teil mehr als zehn Hebammen anrufen, um eine betreuende Hebamme zu finden. Viele Frauen haben am Schluss leider keine Hebammenbetreuung. Gerade im außerklinischen Bereich gibt es immer weniger Hebammen, die eine Geburtshaus- oder Hausgeburt begleiten. Der Bedarf kann aktuell nicht abgedeckt werden.
Die Paare melden sich bei uns zum Zeitpunkt des positiven Schwangerschaftstests. Und selbst dann sind wir bereits meistens voll.
Jede Frau muss also schon vor ihrer Schwangerschaft informiert sein, wo sie ihr Kind gebären möchte.
Was müsste sich verbessern, damit es richtig gut oder optimal wäre?
Man müsste an vielen Ecken anfangen, eine Veränderung in Gang zu bringen. Beginnend in der Schwangerenvorsorge: Dort gibt es häufig Berufskonflikte zwischen Ärztinnen und Ärzten und Hebamme. Frauen, die gerne eine hebammengeleitete Vorsorge oder außerklinische Geburt haben möchten und sich bewusst gegen ständige Ultraschalluntersuchungen und Überkontrollen entscheiden, wird dieser Weg oft sehr schwer gemacht.
Es gibt eine Mutterschaftsrichtlinie, die ganz klar empfiehlt, wann welche Untersuchung stattfinden soll und notwendig ist. Trotzdem richten sich einige Ärztinnen und Ärzte nicht danach. Es ist die alleinige Entscheidung der werdenden Eltern, wie und wo sie die Schwangerschaftsvorsorgen machen möchten.
Mehr Eigenverantwortlichkeit für Frauen und Hebammen
Von ärztlicher Seite (natürlich nicht von allen) wird so nicht nur den Frauen ihre Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit abgesprochen, sondern auch uns Hebammen. Unsere Kompetenzen, die wir im Laufe der Ausbildung und als Resultat von Berufserfahrung erlernen und erweitern, werden so missachtet.
Wir begleiten, stärken und untersuchen die Frauen. Wir nehmen uns Zeit für sie, stärken ihre Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körpergefühl und fördern die Bindung zum Kind. Dies leitet sich auch aus unserem Ansatz ab: Die Entscheidung über die Art und Weise der Betreuung und der Geburt liegt bei den Eltern selbst.
Im Rahmen der Betreuung von Frauen ohne Risiko, leiten wir dazu an und unterstützen den natürlichen Prozess, das Vertrauen in den weiblichen Körper und in die eigene Intuition. Von Anfang an darf das Paar die Verantwortung über Körper und Kind selbst tragen. Dies ist besonders auch schon bereits während der Schwangerschaft wichtig als Vorbereitung auf eine selbstbestimmte Geburt.
Eine weitere Veränderung, die dringend notwendig wäre, ist die finanzielle Unterstützung seitens der Krankenkassen. Diese Forderung bezieht sich sowohl auf die Unterstützung von Familien bezüglich der Rufbereitschaftspauschale, als auch auf die Bezahlung der Hebammen.
Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Hebammenvergütung so gut wie nicht angepasst - und das, obwohl als Folge der Inflation Vieles teurer wird.
Aktuell bekommen wir zum Beispiel für einen Wochenbettbesuch eine Pauschale von 38,46€. Dafür ist es unbedeutend, wie lange der Wochenbettbesuch wirklich dauert. Die Krankenkasse orientiert sich an 20 Minuten pro Besuch. Ein Besuch beinhaltet aber zum Beispiel: Kind baden und wiegen, Fragen beantworten, Stillunterstützung sowie Rückbildungsübungen, Vitalzeichenkontrolle und vieles mehr. Die angesetzten 20 Minuten sind – wie unschwer zu erkennen – oftmals bei Weitem nicht ausreichend.
Der Pauschale abzuziehen sind zusätzlich Kosten für Steuer, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Haftpflichtversicherung, Materialkosten und Sprit. Dann bleibt vom ursprünglichen Betrag nicht viel mehr als die Hälfte übrig, für einen Besuch, der oft länger als eine Stunde dauert.
Was müsste sich also ändern:
Es würden dringend mehr Frauen in entscheidenden Positionen im politischen Kontext benötigt.
Es braucht Frauen, die einen realistischen Blick auf das Berufsbild Hebamme haben und entsprechende Veränderungen der Rahmenbedingungen einleiten können.
Zum Beispiel, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sodass eine 1:1- Betreuung gewährleistet werden könnte und eine gute Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen stattfinden könnte. Letztlich würde auch eine bessere Bezahlung helfen, dem steigenden Hebammenmangel entgegenzuwirken.
Gibt es etwas, dass Sie im Moment besonders betrifft? Politisch, gesellschaftspolitisch, juristisch…
Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind Themen die in unserer Gesellschaft als Tabuthemen gelten, mitunter auch als "eklig" oder "zu intim".
Überforderung bei der Geburt und im Wochenbett sind keine Seltenheit: Oftmals trifft es Paare überraschend, was tatsächlich geschieht und sich verändert, wenn ein Kind geboren wird und welch intensive, bedürfnisorientierte Begleitung ein Kind braucht.
In anderen Kulturen ist es normal, dass Frauen bei den Geburten anderer Frauen mit dabei sind und bereits vor einer eigenen Geburt Kontakt dazu haben. Eine Geburt bringt eine große Veränderung mit sich, auf die sich frischgebackene Eltern einlassen: Neben alltäglichen Dingen wie Einkaufen, Kochen, Waschen, Putzen und Arbeiten muss nun zusätzlich ein kleines, neugeborenes Wesen gewickelt, gehalten, getragen und gestillt werden.
Ich wünsche mir mehr Achtsamkeit für diese kleinen Familien und mehr gegenseitige Unterstützung.
Außerdem sollte uns bewusst werden, dass trotz guter und fortschrittlicher Medizin natürliche Prozesse nicht vollständig kontrolliert werden können und müssen. Ich wünsche mir mehr Ruhe und Geduld, weniger Interventionen im Geburtsverlauf.
Im Gegenzug muss ein gewisser Schutz vor Gericht bestehen, denn wenn alle Angst davor haben, einen Beruf auszuführen und sich als Konsequenz "juristisch" absichern, werden Kaiserschnittraten exorbitant und ungerechtfertigt steigen und wird die natürliche Geburt zur Ausnahme werden.
Hinweise zur außerklinischen Geburtshilfe von Sophie Vincentz
Wer sich gerne mehr über die außerklinische Geburtshilfe informieren möchte, der kann auf der Homepage von QUAG (Qualitätsmanagement der außerklinischen Geburtshilfe) vorbeischauen. Als freiberufliche Hebamme geben wir jede außerklinisch begonnene Geburt in die Statistik ein. Die Zahlen sprechen für sich: Auch außerhalb der Klinik ist es sicher ein Kind zu gebären.
Links für weitere Informationen
MDR (jba)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 13. Dezember 2022 | 17:00 Uhr