Wladimir Putin
Immer mehr wirtschaftliche Beziehungen zu Russland werden international auf Eis gelegt. Der Druck auf Wladimir Putin wächst. Bildrechte: imago images / ZUMA Wire

Krieg in der Ukraine Nach Swift-Ausschluss: Verliert Putin Rückhalt der russischen Bevölkerung?

01. März 2022, 18:22 Uhr

Der Westen verhängt immer schärfere Sanktionen, um Putins Krieg gegen die Ukraine zu stoppen. Auch in der russischen Bevölkerung mehren sich kritische Stimmen, sagt Ökonom und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Alexander Libman.

Welche Konsequenz hat der Ausschluss Russlands aus Swift für den Weltmarkt?

Alexander Libman: Das große Problem bei der Abkoppelung von Swift ist: Es führt zur Unterbrechung von Zahlungsverkehr und zu massiven Störungen im internationalen Handel. Ganz einfach: Wenn man keine Transaktionen ins Ausland schicken kann, und wenn man kein Geld aus dem Ausland bekommt, dann werden keine Güter ins Ausland geliefert. Und dann können auch keine eigenen Güter und Dienstleistungen ins Ausland verkauft werden.

Warum bleiben einige russische Banken vom Swift-Ausschluss verschont?

Alexander Libman: Es ist tatsächlich so, dass einige Banken von den Swift-Sanktionen ausgenommen sind. Kleinere Banken, aber auch die, die zum Beispiel für Zahlungen für Erdgas ganz wichtig sind. Aber für andere Banken ist es tatsächlich so, dass die Kunden jetzt unfähig sind – wenn sie Konten bei diesen Banken haben – Güter und Dienstleistungen im Ausland zu bezahlen. Und umgekehrt.

Was aber eine Besonderheit der russischen Situation ist – dass diese Banken gleichzeitig von anderen Sanktionen betroffen sind. Nämlich sind diese Banken auf den ganz harschen Sanktionslisten, ihr Vermögen ist eingefroren und Wirtschaftsbeziehungen zu ihnen sind nicht erlaubt. Oder zumindest ist es diesen Banken verboten, Korrespondenzbeziehungen zu Auslandsbanken zu unterhalten.

Wie sehr ist Russland finanziell durch den Swift-Ausschluss unter Druck?

Alexander Libman: Was in Russland auf jeden Fall funktioniert, das sind die internen Transaktionen. Die werden nicht unterbrochen. Welchen Einfluss das auf den internationalen Zahlungsverkehr haben wird, ist jetzt sehr schwierig zu beantworten. Wir beobachten aber noch etwas anderes, eine Dynamik, die ich persönlich nicht erwartet habe – dass sehr viele private Unternehmen, auch private Akteure unabhängig von den offiziellen Sanktionspaketen, ihre Beziehungen reduzieren oder gar unterbrechen. Von Disney, das jetzt die Filme in Russland nicht mehr zeigen wird, wie wir das heute früh gehört haben, bis zu Autolieferanten.

In solchen Situationen ist es schwer zu verstehen, was genau die Wirkungen sind. Was kommt von den offiziellen Sanktionen, was kommt von Entscheidungen von einzelnen Unternehmen? Wir werden das erst dann sehen, wenn die Situation sich ein bisschen stabilisiert und es klar wird, welche westliche, welche internationalen Unternehmen überhaupt mit Russland Geschäfte machen wollen.

Bringt der Swift-Ausschluss auch Probleme für die Bevölkerung?

Alexander Libman: Die langen Schlangen am Automaten zum Beispiel haben mit Swift zunächst erstmal nichts zu tun. Sie haben eher damit zu tun, dass die Leute besorgt sind über die Zukunft ihrer Anlagen und deswegen versuchen, so schnell wie möglich das Geld abzuheben. Der Rubelabsturz hat deutlich mehr damit zu tun, was die westlichen Sanktionen mit sich bringen. Aber hier würde ich vermuten, dass ein anderes Element des Sanktionspakets ganz wichtig war: die Sanktion gegen die Russische Zentralbank, die jetzt unfähig ist, den Rubelkurs zu stützen. Das hat natürlich zu massiven Senkungen des Kurses geführt.

Welche Folgen haben die Sanktionen insgesamt für den Alltag in Russland?

Alexander Libman: Das macht mir wirklich sehr große Sorgen. Sanktionen, die sogar unmittelbar Teile der russischen Gesellschaft treffen. Die möglicherweise Verbündete der Europäischen Union sind und versuchen, Putins Politik zu ändern. Da geht es eigentlich nicht nur um Wirtschaftssanktionen, da geht es auch um die massiv ausgebauten Sanktionen in anderen Bereichen. Ein kleines Element, in dem, was wir jetzt beobachten, ist, dass der Deutsche Akademische Austauschdienst, eine der zentralen Institutionen in wissenschaftlichen Kooperationen, jetzt Russlandstipendien ausgesetzt hat. Putin wird davor nicht zittern. Aber es wird unmittelbaren Einfluss gerade auf die Leute haben, mit denen man in dieser Situation sprechen will. Wie gesagt: Es kommen jetzt einfach so viele Sanktionen auf einmal, dass es wirklich schwierig ist, irgendwas zu trennen und irgendwas zu identifizieren.

Können die Sanktionen Putin dazu bewegen, die Invasion zu beenden?

Alexander Libman: Die Sanktionen stören ihn auf jeden Fall. Die Frage aber ist, ob die Kosten der Sanktionen ausreichend sind, um Putins Politik wirklich zu ändern. Das beobachten wir tatsächlich nicht. Es ist nicht ganz so simpel, wie es manchmal präsentiert wird. Dass man sozusagen eine Art Kriegskasse hat und wenn diese Kriegskasse vorhanden ist, kann Russland den Krieg führen, und wenn morgen Geld völlig verschwindet, kann Russland keinen Krieg führen. Die russischen Staatsreserven sind insbesondere wichtig, um den Rubelkurs zu stützen. Der Rubelkurs ist wichtig, um die Importgüter zu kaufen. Das alles hat aber mit der kurzfristigen Realität des Krieges nichts zu tun. Die kurzfristige Realität des Krieges passiert mit den Waffen, mit der Technik, mit den Menschen, die bereits vor Ort sind. Putins Kriegsmaschine, ist davon nicht gestört. Zumindest kurzfristig, wenn es eine Frage der Kurzfristigkeit ist.

Wie stehen die Wirtschaftsmächtigen nun zu Putin?

Alexander Libman: Eine Option, über die auch natürlich jetzt sehr viel gesprochen wird, ist, dass es in Russland zu einer Art Spaltung in den Eliten kommt. Und dass die Eliten, die von den Sanktionen stark betroffen sind, versuchen werden, Druck auf Putin auszuüben und die Situation zu verbessern. Es gibt vereinzelt Aussagen der Vertreter der russischen Eliten und der russischen Großunternehmer, die darauf hindeuten, dass das möglich ist. Das sind extrem wenige Aussagen. Das russische Regime ist so zentralisiert, dass ich da nicht sicher bin, ob es zu dieser Spaltung kommt.

Man muss aber auch verstehen, dass es das umgekehrte Szenario gibt, nämlich: Sanktionen führen zumindest in einigen historischen Fällen zu einer Art Konsolidierung der Eliten, um Putin herum. Und wenn das passiert, dann weiß ich gar nicht, wo der große Hebel liegt.

Wie sieht Putins Rückhalt in der Bevölkerung aus?

Alexander Libman: Das ist eine gute Frage. Erstens haben wir keine zuverlässigen Daten, wie die russische Bevölkerung den Krieg jetzt überhaupt sieht. Einzelne Interviews, insbesondere in den westlichen Medien, die wir jetzt im Fernsehen sehen, würde ich nicht für repräsentativ halten. Weil da kann es sein, dass die Menschen tatsächlich verängstigt sind, oder ihre Meinung gar nicht äußern wollen, weil sie Angst vor den Folgen haben.

Zweitens: Es gibt wirklich eine Menge von Zwischenoptionen. Es ist nicht so, dass man entweder Putin vollständig unterstützt und sagt, alles, was er macht, ist richtig – oder man geht auf die Straße und fordert, dass Putin weg ist.

Eine Zwischenoption kann zum Beispiel sein, und ich schließe nicht aus, dass das der Weg ist, den sehr viele Russinnen und Russen wählen werden: eine Art Verständnis, dass der Krieg Russland sehr viel kostet, dass es ein Fehler ist. Aber verbunden gleichzeitig mit der fatalistischen Einstellung "Wir können sowieso nichts ändern". Oder die Vorstellung, die jetzt in Russland sehr verbreitet ist: Der Krieg hat Russland in die schwierige Lage versetzt, aber es ist nur ein Teil des langen Wettbewerbs mit dem Westen. Da geht es gar nicht um die Ukraine, sondern darum, was die westlichen Nationen gegen Russland anrichten wollen. Wenn das die dominierende Haltung ist, wird die russische Bevölkerung nicht so viel Druck gegen Putin ausüben.

Es kann aber auch anders gehen. Eigentlich sehen wir in Russland eine extreme zivilgesellschaftliche Aktivität. Es gibt sehr viele Bevölkerungsgruppen, Fachverbände, die sich jetzt gegen den Krieg geäußert haben, zum Teil mit sehr hohen persönlichen Risiken. Es geht hier nicht nur um Entlassungen, die auf jeden Fall möglich sind, es geht auch um russische Intellektuelle, die von der Polizei bei den Friedensdemonstrationen verprügelt wurden. Diese Aktivität ist enorm. Es gibt mittlerweile keine Berufsgruppe in Russland, die keinen Protestbrief veröffentlicht hat. Das zeigt, dass die russische Bevölkerung es doch nicht so stumm wahrnimmt. Aber die Situation ist so dynamisch, und ändert sich so schnell, dass es wirklich sehr schwierig ist, da eine klare Aussage zu machen.

Es gibt mittlerweile keine Berufsgruppe in Russland, die keinen Protestbrief veröffentlicht hat.

Das Gespräch führte Dirk Heinemann.

Quelle: MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 01. März 2022 | 20:15 Uhr

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