Geflüchtete aus der Ukraine Kampf aus dem Exil: Die "kleinen Fronten" des Miroslaw Z.
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29. März 2022, 14:43 Uhr
Der Krieg in der Ukraine zwingt immer mehr Menschen zur Flucht. Manche von ihnen kämpfen aus dem Exil für ihr Land. Mit ungewöhnlichen Methoden. So wie Miroslaw Z.
Der gelernte Arzt und Psychotherapeut führte vor dem Krieg ein ruhiges Leben im ukrainischen Tarnopol, wo er als Geschäftsmann in der Gartenbranche tätig war. Aus dieser Zeit stammen seine Kontakte zu polnischen Geschäftsleuten und seine Polnischkenntnisse. Gleich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine packte er seine Frau und vier Kinder ins Auto und brachte sie in Sicherheit, zu Freunden bei Lodz. Er selbst wollte möglichst schnell wieder zurückfahren, um seine Heimat zu verteidigen, doch das war nicht mehr möglich. "Ich bin fast 60 Jahre alt und militärisch ungeschult, so dachte ich, es bringt mehr Nutzen, wenn ich in Polen bleibe und von hier aus etwas für mein Land tue" - sagt Miroslaw Z.
Erste "Aufklärungsaktionen" auf Parkplätzen...
Kurz darauf ließ er auf eigene Kosten 700 Flugblätter drucken und begab sich auf einen Parkplatz auf der Autobahn A1, um russische und belarusische Fernfahrer darüber aufzuklären, wie der Krieg in der Ukraine wirklich aussieht. Darüber, dass die russischen Soldaten, anders als in der Kreml-Propaganda behauptet, dort nicht mit Blumen begrüßt werden und dass sie ukrainische Zivilisten töten. Und darüber, dass ihre Transporte der weiteren Kriegsführung dienen: "Ich fing an, mit Kraftfahrern zu sprechen, hauptsächlich mit Russen und Belarussen. Es stellte sich heraus, dass sie nach Deutschland, in die Niederlande, nach Österreich, Frankreich, Italien fahren - mit Holz, Kautschuk, Recycling-Produkten zur Reifenherstellung und so weiter. In umgekehrter Richtung bringen sie wiederum Lebens- und Arzneimittel nach Russland, die unter anderem an die russische Armee gehen. In dem Moment habe ich es begriffen: der Handel läuft einfach weiter, während unsere Kinder von Russen ausgebombt werden! Das ist Doppelmoral!"
... und "die kleine Sabotage"
Diese Feststellung zwang ihn nach eigener Aussage dazu, kleine Sabotage-Aktionen zu veranstalten. Etwa, die KFZ-Kennzeichen von russischen und belarussischen Lkw auf Parkplätzen abzuschrauben, denn ohne sie können sie die Grenze nicht passieren. Zudem organisierte er Protestaktionen an Grenzübergängen zwischen Polen und Belarus, um die Warentransporte nach Russland zu stoppen. Denn das Motto "Wandel durch Handel" hat seine Rechtfertigung endgültig verloren, seit durch diesen Handel Zivilisten getötet werden - meint er.
Seine Aktivitäten haben in Polen großes Aufsehen erregt und werden nun von anderen fortgeführt: Immer wieder blockieren Flüchtlinge aus der Ukraine gemeinsam mit polnischen Aktivisten den Grenzübergang zu Belarus in Kukuryki. Sie fordern auch, dass Tankstellen polnischer und internationaler Ölkonzerne den Verkauf von Diesel an Fahrer verweigern, die Waren nach Russland transportieren.
"Autoschilder abschrauben kann jedes Kind, das dauert 10-15 Sekunden" - sagt Miroslaw. "Ich habe diese Technik nicht entwickelt, ich habe lediglich einen Präzedenzfall geschaffen, mit meinen Kindern und Freunden, damit andere das sehen, daraus lernen und diesem Warenhandel entgegenwirken."
Auf der anderen Seite versteht Miroslaw die Komplexität des Problems und die schwierige Lage der Fahrer, die oft für westeuropäische, aber auch polnische oder litauische Transportfirmen arbeiten: "Es ist dumm, ich sehe es ein. Schliesslich ernähren sie damit ihre Familien. Aber gleichzeitig unterstützen sie wirtschaftlich Putins Regime, das ukrainische Bürger tötet. Im Krieg kann man nicht im Spagat bleiben, man muss eine klare moralische Linie vertreten".
Geländewagen aus dem Westen für ukrainische Armee
Später organisierte Miroslaw Transporte von Hilfsgütern in zerstörte ukrainischen Städte - und nahm sich auch einer in seinen Augen noch wichtigeren Aufgabe an. Im Auftrag der ukrainischen Armee führt er gebrauchte Geländewagen aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern in die Ukraine ein. Dort gehen die Fahrzeuge an die Front oder werden für Sondereinsätze gebraucht. Der umtriebige Endfünfziger organisiert Spenden, um die Autos zu kaufen oder bemüht sich darum, sie kostenlos zu bekommen. Er besorgt auch Kevlarhelme, kugelsichere Westen und andere Militärausrüstung für seine Landsleute. Doch das ist nicht einfach, da sie weltweit zu einer knappen Ware geworden sind. Aber davon lässt sich Miroslaw nicht aufhalten.
Und wieder auf der Flucht
Doch seine Arbeit blieb nicht ohne Konsequenzen für ihn selbst. Seit Miroslaw mit seinen Aktionen in den Fokus der Öffentlichkeit geriet, bekam er unzählige anonyme Anrufe mit Drohungen, die immer aggressiver wurden, bis hin zu Morddrohungen – mutmaßlich von russischen Trollen. Die polnische Polizei ermittelt, dennoch musste er mit seiner Familie wieder abtauchen. Nun sind sie in Westeuropa und fangen ein neues Kapitel ihres Lebens an. Miroslaw ist auch hier gut vernetzt und will nun seine Freunde zu weiteren Hilfsaktionen mobilisieren, denn seine Botschaft bleibt nach wie vor gleich: "Ich bin kein Politiker und verhalte mich auch nicht so. Ich habe nur Anderen ein Beispiel gegeben, damit sie begreifen, dass jeder seine eigene Front aufmachen kann, um das Putin-Regime nicht weiter zu füttern. Es gibt schließlich andere Werte als Geld, allen voran das Leben unserer Kinder."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL Fernsehen | 27. März 2022 | 17:45 Uhr