Dragan Đilas bei einer Demnstration. 2019
Der Politiker und Unternehmer Dragan Djilas gilt als erbitterter Gegner des Staatspräsidenten Aleksandar Vučić und wird von den serbischen Medien zum Staatsfeind Nr. 1 stilisiert. Bildrechte: imago images / Pixsell

Opposition Serbiens Staatsfeind Nr. 1

20. August 2020, 14:40 Uhr

Serbiens Staatsfeind Nr. 1 heißt Dragan Djilas. Die gleichgeschalteten serbischen Medien machen den Politiker und Geschäftsmann für alles verantwortlich, was in dem Land schief läuft: Von der sozialen Misere bis hin zum Verlust des Kosovo. Die Hetzkampagne wirkt bizarr, folgt jedoch durchaus einem Kalkül.

Fotomontage Mann vor Fahne
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Wenn in der serbischen Öffentlichkeit die Frage nach der Rolle des Vaters des Innenministers im umstrittenen internationalen Waffenhandel gestellt wird, bekommt man etwas über den "Tycoon Djilas" zu hören. Wenn enorme Verluste, fragwürdige Geschäfte und geheim gehaltene Verträge des staatlichen Telekommunikationsunternehmens Telekom Srbija oder der staatlichen Fluggesellschaft Air Serbia auffliegen, serviert das Regime die Geschichte von "Dragan Djilas, dem größten Kriminellen im Land". Wenn die Universitätskommission die Dissertation des Finanzministers als ein Plagiat qualifiziert, heißt es, "Djilas hat die Kommission bestochen". Wenn über 3.000 Ärzte den Rücktritt des Coronavirus-Krisenstabs in Serbien fordern, soll der "Dieb" Djilas dahinter stecken. Wenn Bürger auf der Straße gegen die Regierung demonstrieren, ist von den "Aktivisten von Djilas" die Rede, "der wieder mit Gewalt an die Macht kommen will, nur um Serbien wie früher ausplündern zu können".

Wann immer Staatspräsident Aleksandar Vučić und seine Regierung wegen einer weiteren Affäre in Bedrängnis geraten, ziehen sie den zum serbischen Staatsfeind Nr. 1 stilisierten Politiker und Geschäftsmann Dragan Djilas aus dem Ärmel und geben ihm irgendwie die Schuld für alles.

Projiziertes Feindbild

Der ehemalige Bürgermeister Belgrads, Djilas, scheint die Antwort auf alle unangenehmen Fragen zu sein, quasi die Verkörperung des Bösen, gegen das Präsident Vučić Tag und Nacht kämpfen muss, damit Serbien nicht ruiniert und von finsteren Mächten zerstückelt wird. Dieses Feindbild wird nun schon seit Jahren von Medien unter der Kontrolle von Vučićs Serbischer Fortschrittspartei (SNS) gepflegt. Selbst für Hitzewellen oder Überschwemmungen würde man schon irgendwie Dragan Djilas verantwortlich machen können, wenn es sein müsste.

Obwohl die Dauerkampagne "Gib dem Tycoon Djilas die Schuld" von Vučićs mächtiger Propagandamaschinerie von außen betrachtet mittlerweile lächerlich und bizarr wirkt, profitieren der Präsident und seine SNS offenbar nach wie vor davon: Die am Boden liegende Opposition, zu der Djilas und seine Partei der Freiheit und Gerechtigkeit (SSP) gehören, boykottierte größtenteils die aus ihrer Sicht "unfairen und undemokratischen" Parlamentswahlen Ende Juni. Dabei gewann die SNS 188 von 250 Parlamentssitzen. Ihr Koalitionspartner Sozialistische Partei Serbiens (SPS) kam auf 32 Sitze. Die restlichen 30 Sitze verteilen sich auf kleine Parteien, die Vučić mehr oder minder nahe stehen. Die Opposition ist im serbischen Parlament jedoch nicht mehr vertreten.

Alte Frontlinien

"Sag den Menschen nicht, wie sie denken, sondern wie sie fühlen sollen", lautete die Devise des Gründers des amerikanischen TV-Senders Fox News, Roger Ailes. Mit anderen Worten: Gib den Wählern jemanden, den sie hassen können und sie werden dich lieben.

Der sportliche, reiche, rothaarige und erfolgsverwöhnte Maschineningenieur Dragan Djilas (53) eignete sich perfekt dafür, den Hass der verarmten Bürger Serbiens auf sich zu ziehen. Er ist das genaue Gegenteil vom fülligen Staatspräsidenten, der sich als bescheidener Volksmensch gibt, dem jedes Outfit schlecht zu sitzen scheint und dessen rasanter politischer Aufstieg erst vor acht Jahren begann.

Djilas dagegen wurde schon als Student Anfang der 1990er-Jahre bekannt, als er sich mit dem damaligen Präsidenten Serbiens, Slobodan Milošević, anlegte. Er war Nachrichtenredakteur des damals bekanntesten serbischen oppositionellen Radiosenders B-92, der für den Kampf für Demokratie und Bürgerfreiheiten sowie gegen Nationalismus und Krieg stand. Djilas führte Studentenproteste gegen das Regime Milošević an und stand somit schon damals in Opposition zu Aleksandar Vučić (50), der zu jener Zeit wiederum Mitglied der ultranationalistischen, kriegshetzerischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) war. Beide sind gebürtige Belgrader.

Persönliche Feindschaft

Im Gegensatz zu Vučić zog es Djilas jedoch in die Wirtschaft. Er gründete die Firma Multicom Group, die Werbeflächen in Medien verkaufte. Er verdiente ein Vermögen mit zahlreichen regionalen Tochterfirmen sowie mit der Lizenz für die TV-Realityshow "Big Brother". "Ich bin nicht dank der Politik reich geworden, sondern als vermögender Mensch in die Politik eingestiegen", sagt der Vater von vier Kindern. Zahlreiche Untersuchungen zu seinen Firmen, die von politischen Gegnern initiiert worden waren, konnten keine gesetzeswidrigen Geschäftspraktiken zutage fördern.

Bozidar Djelic, Eric Saintrond und Dragan Đilas bei Eröffnung der Universitätssiedlung Belville als Sportlerunterkunft der Universiade 2009 in Belgrad
Als Belgrads Bürgermeister eröffnete Dragan Djilas (rechts) 2009 die Sportlerunterkünfte der Universiade in Serbien. Zwei Mal schlug er bei den Bürgermeisterwahlen in der serbischen Hauptstadt seinen alten Rivalen Aleksandar Vučić. Bildrechte: imago images / Aleksandar Djorovic

Als Mitglied und späterer Vorsitzender der Demokratischen Partei (DS) war Djilas kurzzeitig serbischer Minister für Investitionen und von 2008 bis 2013 Bürgermeister in Belgrad. Zwei Mal schlug er Aleksandar Vučić im Rennen für das Spitzenamt in der serbischen Hauptstadt. Das waren Vučićs letzte politische Niederlagen. Und Djilas ist der einzige der ihn im direkten politischen Duell schlagen konnte. Das wird Vučić wohl nicht vergessen haben.

Obwohl Vučić im Moment unschlagbar scheint und die Angriffe auf Djilas kein Ende nehmen, lässt sich dieser nicht einschüchtern. Er bezeichnet den Staatspräsidenten als einen "Autokraten", der staatliche Institutionen kontrolliert und für persönliche Zwecke missbraucht. Dessen Partei nennt Djilas eine "Interessensgemeinschaft", die auf systematischer Korruption gründet und spricht von ihrem baldigen Ende. Der ungleiche Kampf ist längst persönlich geworden - von beiden Seiten.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 19. Juni 2020 | 17:45 Uhr

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