Russland Warum Russland ein mögliches Aus für Nord Stream 2 gelassen sieht
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12. September 2020, 04:00 Uhr
Die Diskussion um einen Baustopp für Nord Stream 2 sorgt in Russland kaum für Schlagzeilen. Weder Präsident Putin noch dem Energiekonzern Gazprom dürfte ein mögliches Ende des Projekts schlaflose Nächte bereiten.
Noch nie wurde in Deutschland so heftig über den Bau der Nordsee-Pipeline gestritten wie in den letzten Wochen. Doch während sich früher die Bundesregierung trotz Kritik immer wieder hinter das Projekt stellte, sorgt der Fall Alexej Nawalny nun auch in Berlin für ein Umdenken. Die Vergiftung des russischen Oppositionellen mit einem chemischen Kampfstoff könnte die fast fertige Pipeline endgültig zur Bauruine werden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ die Zukunft des Projekts zuletzt offen. Sie habe sich noch keine abschließende Meinung gebildet, hieß es. Auf der anderen Seite sorgen die neuen Sanktionsforderungen bei Skeptikern für manch weitreichende Schlussfolgerung. So mutmaßte etwa Linke-Politiker Gregor Gysi, hinter Nawalnys Vergiftung könnten Gegner der Pipeline stehen. Ein Argument, das in Russland gerne von kremlnahen Publizisten und Kommentatoren vorgebracht wird.
Baustopp juristisch schwierig
Tatsächlich könnte ein Baustopp juristisch gesehen kein einfaches Unterfangen werden. Dem Projekt liegt kein zwischenstaatlicher Vertrag zu Grunde, sondern eine Übereinkunft von Unternehmen unterschiedlicher Länder. Die Nord Stream 2 AG, eine Tochter von Gazprom, hat die Genehmigungsverfahren nach allgemein geltenden Regeln durchlaufen. Eine rechtliche Lösung wäre jedoch wohl nur eine Frage der Zeit, zumal das Außenwirtschaftsgesetz Einschränkungen des internationalen Handels vorsieht - mit Verweis auf "Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik" oder um Sanktionsmaßnahmen des Rats der Europäischen Union umzusetzen.
Sollten Sanktionen gegen Nord Stream 2 kommen, halten vor allem russische Branchenkenner einen formellen Baustopp für das Projekt heute für einen Schritt, der Wladimir Putin wenig schmerzen dürfte. Der Gasanalyst und Branchenkenner Michail Krutichin verweist darauf, dass der Bau ohnehin seit vergangenem Dezember keinen Meter Richtung deutsche Küste vorgerückt ist. Grund dafür sind US-Sanktionen, die etwa Reedereien mit hohen Strafen drohen, sollten sie ihre Schiffe für den Weiterbau der Pipeline zur Verfügung stellen. Ob Russland jedoch mit eigenen Schiffen in der Lage ist, die beiden Rohre nach aktuellem Stand der Dinge fertig zu bauen, bleibt weiterhin unklar. "Die Pipeline ist schon längst tot, sie wurde beerdigt durch US-Sanktionen und den neuen Transitvertrag zwischen Russland und der Ukraine", analysiert Krutikhin.
Pipeline als Prestige-Projekt
Gewiss blieb die Pipeline für Russland noch immer ein wichtiges Prestige-Projekt. Auch um zu zeigen, dass man sich von US-Sanktionen nichts vorschreiben lässt. Gazprom sammelte eine kleine Flotte von Schiffen in der Ostsee an. Dazu gehören die Akademik Tschersky, Russlands größter Röhrenverleger. Zuletzt wurde das Schiff offenbar an eine russische Briefkasten-Firma übertragen, damit Gazprom selbst im Fall des Weiterbaus nicht zur Zielscheibe von Sanktionen wird. Hinzu kommen zwei nagelneue Versorgungsschiffe und zwei Wohnschiffe für Arbeiter, die derzeit in Sassnitz vor Anker liegen. Doch von verbindlichen Fristen und Terminen waren zuletzt aus Russland nichts mehr zu hören. Ebenfalls unklar blieb, ob die Tschersky über ausreichende Ausrüstung verfügt, um die Röhren im für Nord Stream 2 notwendigen Durchmesser zu verlegen.
Russlands Offizielle und Gazprom kommentieren den Stand der Bauarbeiten nicht. Kremlnahe Experten, wie etwa Andrej Griwatsch, Vizechef der Moskauer Stiftung für nationale Energiesicherheit, die gewöhnlich gazpromnahe Positionen vertritt, halten die Zeitfrage ohnehin nicht mehr für besonders kritisch. Die aktuelle Konjunktur verlange keine Erhöhung der Gaslieferungen. Stattdessen werde der Weiterbau unter Geheimhaltung vorbereitet. "Eine der Hauptaufgaben ist es, den Weiterbau mit minimalen Risiken für alle Beteiligten abzuwickeln. Das braucht Zeit und Vorbereitung auch bei juristischen Aspekten", sagte der Experte in einem Radio-Interview.
Keinen Einfluss auf Exporte
Dass sich Gazprom zuletzt immer mehr Zeit ließ, hängt jedoch nicht nur mit den möglicherweise mangelnden technischen Möglichkeiten der russischen Flotte zusammen, sondern auch mit wirtschaftlichen Problemen. Durch die Corona-Krise und weil der Konzern 2019 Europas Gaslager auf Vorrat befüllte, rechnet Russland in diesem Jahr mit Ausfuhren in Höhe von nur 166 Milliarden Kubikmeter Gas gegenüber 200 Milliarden im Jahr 2019. Zuletzt gab es Probleme mit der Türkei, einem der wichtigsten Abnehmer von russischem Gas. Weil dort die Nachfrage weggebrochen ist, steht seit Monaten die Pipeline Bluestream leer. TurkStream, erst Ende 2019 fertig gestellt, wurde im Sommer zwei Mal innerhalb weniger Wochen stillgelegt.
Eine neue Pipeline wäre für Gazprom derzeit alles andere als eine Lösung der Probleme. Zumal auch eine mögliche Fertigstellung von Nord Stream 2 zumindest kurzfristig kaum Kosten sparen würde. Als sich ein Baustopp für Nord Stream 2 durch US-Sanktionen im vergangenen Dezember abzeichnete, unterschrieb Gazprom einen Transitvertrag mit der Ukraine, der bis 2025 gilt. Der Gaskonzern musste dafür in Russland reichlich Kritik einstecken, hat sich das Unternehmen doch verpflichtet, bis 2025 die gebuchte ukrainische Kapazität im vollem Umfang zu bezahlen, ob nun russisches Gas tatsächlich fließt oder nicht.
Unterm Strich würden weder ein endgültiger Baustopp von Nord Stream 2 noch eine baldige Fertigstellung wenig an den russischen Gasexporten nach Europa ändern.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 09. September 2020 | 14:00 Uhr