Spekulationen Baut Russland Nord Stream 2 alleine zu Ende?

23. Juli 2020, 08:36 Uhr

Dänemark hatte Russland Anfang Juli grünes Licht für den Einsatz eines Verlege-Schiffes gegeben. Nachdem die Baustelle der Pipeline wegen drohender US-Sanktionen Monate lang still stand, war schon im Mai Bewegung in das Projekt gekommen. Damals ging ein russisches Spezialschiff bei Rügen vor Anker.
(Zuerst veröffentlicht am 27.05.2020)

Fotomontage Mann vor Fahne
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Das russische Schiff Akademik Tscherskij
Das russische Verlegeschiff Akademik Tscherskij im Hafen von Mukran Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Russlands Hoffnung ist 150 Meter lang, gut 40 Meter breit und liegt seit Anfang Mai im Hafen von Mukran bei Sassnitz auf Rügen: die Akademik Tscherskij. Das Rohrverlegeschiff war wochenlang scheinbar auf den Ozeanen umher geirrt. Im Februar war das Schiff vom russischen Nakhodka aus im Japanischen Meer in See gestochen. Immer wieder gab die Crew neue Ziele in das Meldesystem ein. Erst Singapur, dann der Suez Kanal gefolgt von einem Kurswechsel nach Südafrika, bevor das Schiff dann schließlich nach einem Zwischenstopp in Kaliningrad die deutsche Ostseeküste erreichte. Je weiter sich die Akademik Tscherskij der Ostsee näherte, desto stärker brodelten in der russischen Energiebranche Gerüchte, dass Schiffseigentümer Gazprom das Schiff schickt, um die umstrittene Leitung Nord Stream 2 mit eigenen Mitteln fertig zu bauen.

Das Projekt Nord Stream 2 wurde einst auf den Weg gebracht, um die Kapazität der Gasleitungen, die Russland und Deutschland über den Boden der Ostsee direkt verbinden, von 55 auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich zu verdoppeln. Doch seit die USA im vergangenen Dezember das Projekt mit Sanktionen belegten, hat die zuvor beauftrage Schweizer Baufirma Allseas ihre Röhrenverleger aus der Ostsee abgezogen. Der Bau der Leitung sorgte für Streit zwischen Russland, Europa und den USA. Washington kritisierte, das Projekt mache Europa abhängiger von Russland. Zugleich könne Moskau seinen Nachbarn bei Konflikten einfacher das Gas abstellen, wenn es nicht mehr auf ihre Transitkapazitäten angewiesen wäre. Berlin kritisierte seinerseits die US- Sanktionen als Einmischung in europäische Angelegenheiten.

USA drohen Gazprom mit Sanktionen

Seit die Corona-Pandemie die Weltöffentlichkeit beschäftigt, schien der Streit etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Zumal sich auch Washington in Sicherheit wiegte. Noch im Februar sagte US-Energieminister Dan Brouilette auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Russland sei nicht in der Lage, Nord Stream 2 ohne ausländische Subunternehmer zu stemmen. Seit die Akademik Tscherskij vor Rügen halt gemacht hat, ist ein russischer Alleingang bei der Fertigstellung jedoch wieder im Gespräch. Der Hafen Mukran bei Sassnitz auf Rügen, wo das russische Schiff vor Anker liegt, gilt als eines der Logistikzentren für den Nord-Stream-Bau. Dort lagern die für die restlichen 150 km der Stecke benötigten Stahlröhren. Zudem liegt dort auch die russische Bauplattform Fortuna, die in Küstennähe eingesetzt werden könnte.

Das russische Verlegeschiff Fortuna
Die russische Bauplattform Fortuna im Hafen von Mukran auf Rügen. Bildrechte: imago images/Jens Koehler

Tatsächlich gilt die Akademik Tscherskij als das einzige Schiff in russischem Besitz, das den Bau theoretisch fortführen könnte. Es verfügt über ein dynamisches Positionierungssystem, das die dänischen Behörden für die Verlegeschiffe vorschreiben. Auch die Nord-Stream-Kritiker in den USA nehmen das Schiff nun offenbar ernst. Der einflussreiche Senator und Trumps Parteigenosse Ted Kruz drohte unlängst, dass die Sanktionen der USA auch Gazprom selbst treffen würden, sollte der russische Gasmonopolist sein eigenes Schiff für die Fertigstellung der Pipeline einsetzten. Gazprom würde in dem Fall etwa keine Geschäfte mehr in den USA machen können und Zugriff auf Eigentum in Amerika verlieren.

Nord Stream 2 ist für Russland eine prinzipielle Sache

Offiziell kommentiert Gazprom seine Pläne nicht. Alexej Grivach, Vizechef des Instituts für Nationale Energiesicherheit, das in Fachkreisen als Gazproms Sprachrohr bezeichnet wird, glaubt nicht, dass der Energiekonzern sich von Sanktionen abschrecken lässt. "Das Projekt ist für Russland eine prinzipielle Sache", erklärt Grivach. Dass die Akademik Tscherskij für den Weiterbau eingesetzt wird, hält er für ausgemacht. Zumal das Schiff genaugenommen einer Gazprom-Tochter gehört, die ohnehin schon auf einer früheren Sanktionsliste der USA steht.

Ohne Nachrüstung nicht einsatzfähig

Ob die Ankunft der Akademik Tscherskij auf Rügen tatsächlich den Endspurt bei Nord--Stream-2 einleitet, bleibt jedoch fraglich. Unabhängige Experten, wie etwa Mikhail Krutikhin, Partner der Beratung Rusenergy, verweisen darauf, dass das Schiff erst noch mit neuen Schweißvorrichtungen nachgerüstet werden müsse. Das hatte im Dezember auch der russische Energieminister Alexander Novak zugegeben. Bereits im Januar hatte Gazprom die Nachrüstung seines Schiffes mit neuer Technik ausgeschrieben. Doch eine Recherche auf dem staatlichen Ausschreibungsportal zeigt, dass Gazprom bisher noch immer kein Unternehmen gefunden hat, dass bereit ist, diese Nachrüstungsarbeiten zu versichern. Wo und wann die Arbeiten stattfinden sollen, bleibt ebenfalls unklar. Mögliche Sanktionen der USA schrecken Versicherer ab.

Wirtschaftliche Eile hat Gazprom derzeit allerdings nicht. Der milde Winter, volle Gaslager und die Lockdown-Maßnahmen während der Corona-Pandemie haben die Nachfrage nach russischem Gas deutlich sinken lassen. Bereits im März exportierte der Energiekonzern ein Viertel weniger Gas als im vergangenen Jahr. Im laufenden Jahr haben die Russen ihre Exportpläne auf 166 Milliarden Kubikmeter nach unten revidiert. 2019 lag der Export noch bei rund 200 Milliarden Kubikmetern.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 22. Dezember 2019 | 08:00 Uhr

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