Irina Scherbakowa, Germanistin, Publizistin, Historikerin, Kulturwissenschaftlerin
Die Historikerin Irina Scherbakowa arbeitet für die Menschenrechtsorganisation "Memorial". Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

Russland Memorial-Mitarbeiter fühlen sich gebrandmarkt

Interview mit der russischen Historikerin Irina Scherbakowa

18. April 2018, 11:14 Uhr

Immer mehr russische NGOs landen auf der Liste angeblicher "ausländischer Agenten". Die Historikerin Irina Scherbakowa meint, die russische Regierung wolle damit das ganze unabhängige Spektrum liquidieren.

Was halten Sie davon, dass "Memorial" jetzt auch auf dieser Liste steht? Haben Sie damit gerechnet?

Einerseits war es zu erwarten, weil fünf Organisationen in unserem internationalen Netzwerk schon zu "ausländischen Agenten" erklärt worden sind. Andererseits ist die Entscheidung doch ein Schlag für uns, weil das russische Verfassungsgericht schon vor zwei Jahren erklärt hatte, dass internationale Organisationen nicht als ausländische Agenten eingestuft werden können.

Das Gesetz über "ausländische Agenten" gibt es seit 2012. Warum wurden Sie jetzt auf die Liste gesetzt?

Die bürokratische Maschine wurde in Gang gesetzt. Nach und nach werden NGOs zu Agenten erklärt. Es sind jetzt schon mehr als 130 Organisationen. Dahinter steckt die Idee, das ganze unabhängige Spektrum zu liquidieren. "Memorial" wurde wahrscheinlich so lange geschont, weil sie die älteste und  bekannteste jener Organisationen in Russland ist. Wahrscheinlich hat es einer speziellen Entscheidung bedurft.                                          

Wie wird sich der "Agentenstatus" auf Ihre Arbeit auswirken?

Unsere Arbeit wird dadurch sehr viel schwieriger. Denn nun können wir sicher kaum noch mit staatlichen Organisationen wie Schulen, Archiven u.s.w.  arbeiten. Sie werden Angst haben, den Kontakt zu uns zu suchen oder aufrecht zu halten. Wir sind Gebrandmarkte.                                           

Woher erhalten Sie Ihre Fördermittel?

Die Fördermittel bekommen wir von mehreren Stiftungen. Seit Jahren werden unserer Projekte von der Heinrich-Böll-Stiftung, der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" sowie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt. Einige gemeinsame Ausstellungen wurden zusammen mit der Stiftung Buchenwald und dem Literaturhaus in Berlin organisiert. Wir legen erst ein Projekt vor und suchen dann Geld dafür. Die Machthaber in Russland glauben jedoch, dass man Geld aus Ausland für irgendwelche Dienstleistungen bekommt.

Zuerst veröffentlicht am 06.10.2016.


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 22.07.2016 | 17:45 Uhr

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