Alexej Graschdankin, Stellvertretender Direktor des Lewada-Zentrums in Moskau, einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut in Russland
Der stellvertretende Leiter des Lewada-Institutes in Moskau: Alexej Graschdankin. Bildrechte: Lewada-Institut/MDR

Lewada-Institut in Moskau "Unter Agent verstehen viele Spion"

15. November 2017, 11:09 Uhr

Das Lewada-Zentrum, Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut, ist Anfang September vom russischen Justizministerium als "ausländischer Agent" registriert worden, weil es Auftraggeber aus aller Welt hat. Der staatliche Druck erschwert die Arbeit des Lewada-Instituts nun erheblich. Ein Interview mit dem stellvertretenden Institutsdirektor Alexej Graschdankin.

Was bedeutet die Entscheidung des Justizministeriums für Ihre Arbeit?

Den Begriff "ausländischer Agent" begreifen viele - sowohl die Bevölkerung als auch Entscheidungsträger - als Synonym für "ausländischer Spion". Das schränkt unsere Kontakte stark ein, sowohl zu unseren potenziellen Auftraggebern, als auch zu unseren potenziellen Umfragepartnern.

Sie werden die Einstufung juristisch anfechten - das kann Jahre dauern. Wollen Sie auch auf andere Weise wieder von der Liste kommen?

Ja, indem wir auf ausländische Auftraggeber verzichten. Das machen wir bereits seit dem Sommer schon. Aber das fügt uns einen spürbaren finanziellen Schaden zu, wenngleich der nicht existenziell ist. Wir haben weniger Mittel, um unsere Forschungen durchzuführen. Was noch schwieriger ist: All unsere internationalen Forschungsverbindungen werden abreißen und wir können nicht mehr an internationalen Projekten teilnehmen.

Konnten Sie noch Wählerumfragen vor der am Sonntag anstehenden Duma-Wahl führen?

Bis zu den Wahlen sind es nur noch wenige Tage. Am Wochenanfang dürfen noch Umfragen zur bevorstehenden Wahl veröffentlicht werden. Danach aber sehen die russischen Gesetze eine tagelange "Pause" für Soziologen vor den Wahlen vor. Das heißt, selbst wenn wir jetzt noch Umfragen durchgeführt hätten, ist es Instituten wie uns gar nicht mehr möglich, noch Einfluss auf diese Wahlkampfphase zu nehmen.

Meinungsforschungsinstitut Lewada in Moskau Es gilt als Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut. Bereits 1987 wurde das Zentrum unter dem Kürzel WZIOM gegründet. Nach staatlichem Druck - 2003 - verließ ein Teil der Soziologen das Institut und benannte die Neugründung nach dem bekannten russischen Soziologen Juri Lewada. Ende August - drei Wochen vor der Duma-Wahl - bescheinigte das Institut der Putin-treuen Partei "Einiges Russland" Umfrageverluste: Laut Lewada sanken die Umfragewerte von 39 auf 31 Prozent.

Wie finanziert sich Ihr Institut?

Ich würde nicht von Finanzierung sprechen, das klingt so, als gebe es irgendwelche Stiftungen oder Organisationen, die uns generell Geld für unsere Arbeit geben. Wir bekommen die Mittel für die Durchführung konkreter Forschungen, für die Sammlung und Analyse von Daten. Zu unseren Auftraggebern gehören unter anderem die Meinungsforschungsinstitute Gallup oder TNS, ebenso Universitäten, die über Russland forschen.

Lassen Sie uns über konkrete Summen sprechen. Wie viel Geld erhalten Sie für Ihre Aufträge von russischer Seite und von westlicher Seite?

Seit wir seit 2003 als Lewada-Institut existieren, ist der Anteil der ausländischen Auftraggeber und Mittel über die Jahre von 40 Prozent auf 15 Prozent geschrumpft. Wir haben Aufträge aus zahlreichen Ländern: Schweden, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Korea und natürlich aus den USA. Im vorigen Jahr lag der Anteil bei 28 Prozent, nicht weil wir wieder mehr ausländische Auftraggeber hatten, sondern weil der Rubel im Vergleich zu anderen Währungen einen Wertverlust hinnehmen musste. Jetzt, wo wir keine neuen Verträge mehr mit dem Ausland abschließen, könnte der Anteil in diesem Jahr auf zwölf Prozent schrumpfen.

Wie viele der Aufträge erhalten Sie bislang aus den USA?

Das wechselt von Jahr zu Jahr. Sie machen derzeit ungefähr fünf Prozent bis sechs Prozent unseres gesamten Auftragsvolumens aus.

Vielen Dank für das Gespräch.

(Zuerst veröffentlicht am 12.09.2016)

Liste "ausländischer Agenten" Seit 2012 werden politisch aktive Organisationen, die Einkünfte aus anderen Ländern haben, per Gesetz gezwungen, sich als "ausländischen Agenten" registrieren zu lassen. Am 5. September entschied das russische Justizministerium, auch das renommierte Lewada-Institut auf die Liste zu setzen. Zur Begründung hieß es, das Lewada-Zentrum habe ausländische Auftraggeber. Auch könnten die sozialen Umfragen als "politische Tätigkeit" eingestuft werden. Die Kreml-treue Organisation Antimaidan hatte die Überprüfung des Instituts in Gang gesetzt.


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: MDR | 02.09.2016 | 17:45 Uhr