Krieg gegen die Ukraine Korruption und Misswirtschaft zerfressen Russlands Militär

11. April 2022, 18:39 Uhr

In Russland sind die Streitkräfte hoch angesehen. Umfragen zeigen, dass keine Institution ein höheres Vertrauen in der Bevölkerung genießt. Propaganda, Militäreinsätze wie in Syrien und auf der Krim, aber auch teure Umrüstungsprogramme und ausschweifende Paraden haben das Image der russischen Armee gestärkt. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt, dass es um Putins Streitmacht gar nicht so gut bestellt ist. Nach wie vor macht das Militär auch mit Korruptionsskandalen, Misswirtschaft und technischen Problemen von sich Reden.

Fotomontage Mann vor Fahne
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die russischen Truppen in der Ukraine agieren immer brutaler, kommen jedoch ihrem militärischen Ziel, den Widerstand der Regierung in Kiew zu brechen, nicht näher. Neben der ukrainischen Gegenwehr, bremsten taktische Fehler und Probleme bei der Versorgung Putins Armee seit den ersten Wochen des Krieges. Mit einem Teilabzug aus den nördlichen Gebieten des Landes will die russische Militärführung diesen Problemen nun begegnen und seine Truppen für einen neuen Angriff im Osten der Ukraine neuformieren. Ein Problem dürfte sich allerdings auch mit einer Neupositionierung kaum lösen lassen.

Große Teile des Budgets für das russische Militär wurden gestohlen

Eines der größten Probleme, das Russlands Militär seit Jahren systematisch schwächt, ist die Korruption. So auch in diesem Krieg. "Korruption auf Ausführungsebene hat die russische Logistik behindert, was dazu führt, dass die Soldaten schlecht versorgt und ausgerüstet waren", schreibt etwa Polina Beljafowa, Forscherin am Zentrum für Strategische Studien an der Tufts Universität in Boston. Drastischer formuliert den Vorwurf Andrej Kozyrew, von 1990 bis 1996 russischer Außenminister. "Russland hat 20 Jahre lang versucht, sein Militär zu modernisieren. Große Teile des Budgets wurden jedoch gestohlen", schrieb der Ex-Politiker auf seinem Twitter-Account. 

Iskander-M-Raketenwerfer rollen über den Roten Platz in Moskau während einer Militärparade zum Tag des Sieges.
Die russische Armee hat ihr Image in den vergangenen Jahren aufpoliert, doch hinter den Kulissen blüht die Korruption. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Abgelaufene Essenrationen für russische Soldaten

Tatsächlich haben Handyaufnahmen ukrainischer Soldaten und Zivilsten immer wieder Belege dafür geliefert, dass russische Soldaten beispielsweise mit seit Jahren abgelaufenen Essenrationen versorgt werden. Russische Militärangehörige haben sich deshalb in den von ihnen besetzten Gebieten mit Lebensmitteln versorgt. Das belegen Aufnahmen, die russische Soldaten zeigen, wie sie in ukrainischen Läden einkaufen oder dort einbrechen und sie plündern. Von solchen Aktionen berichten auch Augenzeugen aus okkupierten ukrainischen Städten. In den ersten Kriegstagen kursierten darüber hinaus Bilder und Videos im Netz von liegengebliebenen russischen Einheiten, die vergeblich auf Diesel-Nachschub warten. Die Echtheit solcher Aufnahmen wurde von unabhängigen Beobachtern, wie dem russischen Militärexperten Ruslan Lewiew vom Recherche-Kollektiv Conflict Intelligence Team, bestätigt. 

Dass verantwortliche russische Militärs deshalb bereits ihre Ämter niederlegen mussten, zeigt etwa der Fall Roman Gawrilow, dem Vize-Direktor der russischen Nationalgarde. Truppen der Nationalgarde waren insbesondere in den ersten Tagen des Krieges im Norden der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Vormarsch beteiligt. Am 17. März dann hat Gawrilow sein Amt niederlegen müssen, was nach anfänglichen Dementis von der Pressestelle der Nationalgarde bestätigt wurde. Der 45-Jährige nannte keine Gründe für sein Ausscheiden. Bekannt ist jedoch, dass Gawrilow unter anderem auch für die Spezialeinheiten der Nationalgarde und ihre Versorgung verantwortlich gewesen ist. Westliche Militärexperten wie Alex Werschinin vom Modern War Institute, bezeichneten es bereits Anfang März als "überraschend", dass die Nationalgarde nicht die Versorgung der vorrückenden Truppen sichergestellt hat.

Soldaten befinden sich in der Kantine des Militärausbildungszentrums Sertolowo, Gebiet Leningrad.
So wie hier im Bild werden russische Soldaten in der Ukraine oftmals nicht verpflegt. Sie müssen sich mit bereits abgelaufenen Essenerationen zufriedengegen. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Geplünderte Treibstoffdepots

Angesichts der weitreichenden Zensur in russischen Medien und der Informationsblockade seitens der russischen Streitkräfte, lassen sich die Probleme beim russischen Militär kaum genau abschätzen. Skandale in der jüngsten Vergangenheit liefern jedoch wichtige Anhaltspunkte darüber, wie es um die russische Armee bestellt sein muss. 

Ein Korruptionsskandal, der unmittelbar mit der Versorgung der russischen Streitkräfte mit Rationen zu tun hat, liegt erst ein paar Jahre zurück. So deckte die Staatsanwaltschaft vor drei Jahren auf, wie ranghohe Militärs einer Militärbasis unweit der Millionenstadt Samara ein Nebengeschäft mit Armeerationen betrieben hatten. In einem Zeitraum von zwei Jahren wurden aus einem Militärlager insgesamt 11.000 Essenrationen entwendet und an Dritte verkauft. Die Militärstaatsanwaltschaft bezifferte den Schaden damals auf rund 100.000 Euro. Wohin genau das Essen verkauft wurde, ist unbekannt.

Deutlich verbreiteter ist der Diebstahl von Treibstoff durch Militärs und Angestellte von Öllagern der Armee. So deckte der russische Inlandsgeheimdienst FSB vor einigen Jahren auf, dass zwei Mitarbeiter eines Treibstoff-Depots der Armee von 2013 bis 2015 Diesel im Wert von umgerechnet rund 400.000 Euro aus Eisenbahn-Zisternen gestohlen und an Tankstellen in der Region Wolgograd verkauft hatten. Das Treibstofflager gehörte zu einem Luftlandebataillon in Südrussland. Ein ähnlicher Fall ist im russischen Gebiet Twer, nördlich von Moskau dokumentiert. Dort hatte der Chef eines Lagers für Flugzeugtreibstoff Kerosin im Wert von mehr als einer halben Million Euro erst abgeschrieben und später verkauft. Für den Schmuggel habe der Beschuldigte Behälter in seinem privaten Fahrzeug verwendet, heißt es in einer Polizeimitteilung. Der Mann wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. 

Verteidigungstruppen der russischen Armee im Dorf Bolschoje Bunkowo.
Der Schmuggel mit Treibstoff hat offenbar Tradition in der russischen Armee. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Gehalt für nichtexistierende Soldaten

Ein weiteres Korruptions-Schema, das die russische Armee seit Jahren plagt, sind falsche Angaben über die tatsächliche Anzahl der Vertragssoldaten in bestimmten Truppenteilen. Belegen lässt sich dies ebenfalls durch zahlreiche Korruptionsfälle aus den vergangenen Jahren. So flog 2016 etwa Oberstleutnant Vadim Kazarjan auf, der zwei Rekruten nach ihrem Armeedienst als Vertragssoldaten registrieren ließ, obwohl sie die Armee verlassen haben. Die Justizbehörden bezifferten den Schaden damals auf 20.000 Euro. Ein ähnlicher Fall in weit größerem Ausmaß ereignete sich einige Jahre zuvor im südrussischen Budjenowsk, als Mitarbeiter der Finanzabteilung der örtlichen Armee-Formation mindestens 55 Vertragssoldaten fälschlicherweise auf eine Gehaltsliste setzten und ihren Sold illegal in die eigene Tasche steckten. Das Problem dabei ist nicht so sehr der finanzielle Schaden. Vielmehr werden dadurch Kommandeure über die genaue Anzahl der Soldaten in einer bestimmten Abteilung in die Irre geführt. Dies könnte wiederum dazu führen, dass Kommandeure etwaige Lücken im Falle eines Krieges wie jetzt mit Wehrpflichtigen zu stopfen versuchen. Russlands Verteidigungsministerium und auch Präsident Wladimir Putin hatten bereits nach wenigen Kriegstagen den Einsatz Wehrpflichtiger bestätigt, dies jedoch auf "Fehler" zurückgeführt, die künftig "ausgeschlossen werden sollen". 

Ein Soldat einer Motorgewehr-Einheit des Russischen Militärbezirks Süd nimmt an einer Schießübung teil.
Ein russischer Soldat während eines Manövers. Manche Soldaten gibt es dagegen nur auf dem Papier. Bildrechte: imago images/ITAR-TASS

Inwieweit solche Probleme sich im weiteren Verlauf der russischen Invasion als kriegsentscheidend herausstellen werden, lässt sich im Moment noch kaum abschätzen. Putin persönlich, so sein Sprecher, soll den Abzug der Truppen aus dem Norden der Ukraine als eine Geste guten Willens angeordnet haben. Tatsächlich jedoch bewegen sich russische Truppen bereits wieder zur ukrainischen Grenze in der Nähe von Charkiw. Nach einer Pause sollen diese neu formiert wieder in den Kampf ziehen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 09. April 2022 | 07:15 Uhr

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