Polen Wie Polens Landwirtschaft vom EU-Beitritt profitiert
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05. Januar 2016, 09:32 Uhr
Wider Erwarten profitierte vor allem der ländlichen Raum vom Beitritt Polens zur Europäischen Union. Viele landwirtschaftliche Betriebe setzen inzwischen auf im Westen stark nachgefragte Öko-Produkte.
Die beliebten Fotomotive gibt es nicht mehr: Die mit Heu beladenen Wagen sind von den Straßen verschwunden und die Bestellung der Felder übernehmen längst keine Pferdepflüge mehr, sondern nur noch moderne Landmaschinen. Polens Landwirtschaft befindet sich im Wandel. Das alte polnische Sprichwort "Chłop się nie pożegna, dopóki piorunu nie usłyszy", zu Deutsch: "Der Bauer verabschiedet sich nicht, bevor er den Donner hört" gilt aber weiterhin. Weniger im Hinblick auf die Beharrlichkeit von Landwirten, auch bei Wind und Regen das Feld zu bestellen, als vielmehr auf die Beständigkeit der polnischen Bauern auch im 21. Jahrhundert.
Agrarland Polen
"Die Landwirtschaft ist für Polen sehr wichtig, nicht nur ökonomisch, sondern auch gesellschaftlich und kulturell", sagt Walenty Poczta, Professor an der Landwirtschaftlichen-Universität in Posen. "Und das flächendeckend." Denn noch immer leben vier von zehn Polen auf dem Land und die Bauernpartei PSL ist bereits die zweite Amtszeit mit in der Regierungsverantwortung.
Zwar geht die Beschäftigung in der Landwirtschaft - von einst fast 50 Prozent in der Nachkriegszeit - zurück, doch noch immer arbeitet mehr als jeder zehnte Pole im landwirtschaftlichen Sektor. Aber nur drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden zwischen Oder und Bug mit landwirtschaftlichen Produkten erwirtschaftet. "Eine sehr niedrige Arbeitseffizienz", kommentiert Poczta.
Große Ländereien wurden aufgeteilt
Der große Stellenwert der Agrarwirtschaft auch nach der Transformation lässt sich historisch erklären. Mit einer Aufteilung von großen Ländereien in der Zwischenkriegs- und der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden eine Million kleinbäuerlicher Betriebe. Noch heute kann von mindestens 1,35 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben ausgegangen werden, denn so viele stellten 2013 einen Antrag auf EU-Direktzahlungen.
Bäuerliche Kleinbetriebe auch in kommunistischer Zeit
Während der Kollektivierungsphase bis 1956 wurden zusätzlich rund 10.000 Kolchosen, in Polen PGR genannt, gebildet. Die meisten von ihnen befanden sich in den ehemals deutschen Ostgebieten. Das Ende des Kommunismus 1989 bedeutete die Einführung der Marktwirtschaft, die Streichung von staatlichen Subventionen und damit die Auflösung der ohnehin unrentablen Kolchosen. Ungenutzte Wirtschaftsgebäude und riesige, leerstehende Scheunen sind in manch einem Dorf auch mehr als 20 Jahre danach stumme Zeugen der Planwirtschaft.
Die bäuerlichen Wendeverlierer
Zugleich stürzte der Niedergang des Sozialismus, der die meisten Kleinsthofbesitzer auch in anderen Wirtschaftsbereichen beschäftigte, viele ländliche Regionen Polens in eine Krise. Wie sich herausstellte, verloren gerade jene häufig schlecht ausgebildeten "Bauern-Arbeiter" als erste ihre Arbeit.
Als ein "Reservoir" für verdeckte Arbeitslosigkeit wurden das Dorf und die Landwirtschaft in den 1990er-Jahren zum Synonym der polnischen Wendeverlierer. Denn auch Sozialtransfers konnten die im Vergleich zur Stadt kleineren Einkünfte der Bauern nicht ausgleichen.
Düstere Szenarien blieben aus
Das änderte sich 2004 mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union. Die Proteste kanalisierte vor allem die Bauernpartei "Samoobrona" (Selbstverteidigung), die u.a. mit Trecker-Sternfahrten nach Warschau und Straßenblockaden die Ängste der Landwirte vor einer Schwemme von Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus der EU zum Ausdruck brachten. Ein Jahr später saßen die EU-Skeptiker sogar zwei Jahre lang am Kabinettstisch. Am Wiedereinzug ins Parlament scheiterte die Partei 2007 aber. Grund dürfte auch das Ausbleiben der düsteren Szenarien sein, die der EU-Beitritt für die Landwirte bringen sollte.
Landwirtschaft profitiert vom EU-Beitritt
Stattdessen profitierte der Sektor von der Liberalisierung des Handels, der eine Exportsteigerung mit sich brachte, und den EU-Mitteln, die dem ländlichen Raum von 2007 bis 2013 über 13 Milliarden Euro brachten und Polen damit zum größten Empfänger dieser Politik machte. "Die polnischen Bauern haben stark von dem EU-Beitritt profitiert", glaubt auch Landwirtschafts-Professor Poczta. Zudem spezialisieren sich viele Betriebe zunehmend auf die im Westen stark nachgefragte Produktion von Öko-Produkten. Noch eine "Nische", sagt Poczta. Doch gerade, weil dieser Zweig eine arbeitsintensive Produktionsweise erfordert sei das eine Zukunft für den ländlichen Raum mit seinen vielen Arbeitskräften in Polen.
Der Genuss von Brüsseler Subventionen
Stark profitieren polnische Bauern seit dem Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum vor allem aber von den Direktzahlungen aus Brüssel. Auch wenn sie erst 2013 das Niveau der alten EU-Länder erreicht haben, sind auch sie ein Grund für die hohe Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zwischen Oder und Bug. Denn viele "Bauern" produzieren nur nebenbei für den eigenen Bedarf und lassen sich als Landwirte führen, um in den Genuss von der Brüsseler Subventionen zu kommen. Viele betreiben die Landwirtschaft, da sie keinen Arbeitsplatz finden, sagt Universitätsdozent Poczta. "Die versteckte Arbeitslosigkeit auf dem Land ist hoch."
Landwirtschafliche Sozialversicherung
Eine weitere Subventionsart, die den Stellenwert der Landwirtschaft zementiert, ist die landwirtschaftliche Sozialversicherung KRUS. Ihr Budget wird hauptsächlich aus Steuermittel getragen. Für viele Polen gerade in der Provinz Grund genug, um sich ein paar Hektar Agrarfläche zuzukaufen, und in den Genuss der günstigen Beiträge zu kommen. Eine Reform der KRUS wird seit langem zwar von weiten Teilen der Gesellschaft gefordert, doch mit einer Bauernpartei an der Regierung ist sie nicht denkbar. "Erst wenn genug Arbeitsplätze geschaffen werden, verschwinden auch die Kleinstbetriebe", glaubt Poczta. "Wir reden hier von mehreren Millionen Arbeitsplätzen." Und so wird die Landwirtschaft – auch trotz vieler Donnerschläge wie einer EU-Milchquote oder Kürzungen der Subventionen – noch immer wichtig bleiben.
Über Markus Nowak Jahrgang 1982, Studium der Neueren/Neusten Geschichte in Berlin, Warschau und Mailand, Redakteursausbildung am Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses (München) und in der Katholischen Nachrichten-Agentur (Bonn), Autor für Osteuropa, lebt in Berlin