Landwirtschaft in Rumänien Selbstversorger statt Global Player
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04. Januar 2016, 18:02 Uhr
Rumänien gehört zu den größten Agrarstaaten der EU und muss dennoch den Großteil seiner Lebensmittel importieren. Und das, obwohl Rumänien einst als Kornkammer Europas galt.
Maria Manolescu* hat sich für die Deutschlandreise die Fingernägel ihrer rissigen Hände mit knallrotem Nagellack angemalt. Die Haare sind zerzaust nach der fast anderthalbtägigen Busfahrt aus Rumänien - die billigste Art, die Tochter zu besuchen, die im thüringischen Sömmerda als Ärztin arbeitet. "Sie verdient jetzt zehnmal mehr als in einem Bukarester Krankenhaus", erzählt die 48-Jährige. Sie war zur Wirtschaftskrise 2008 in der Verwaltung eines Transportunternehmens im südwestrumänischen Targu Jiu beschäftigt. Nun verdingt sie sich als Bäuerin in ihrem rund 20 Kilometer entfernten Heimatdorf. Besser gesagt: Sie betreibt dort Selbstversorgung mit dem Stückchen Land, das sie hinter dem Haus besitzt.
Rumänische Produkte schaffen es selten in den Westen
Millionen anderen Menschen geht es in Rumänien ähnlich. Das südosteuropäische Land kommt mit seinem Landwirtschaftssektor auf viele Superlative: Rumänien gehört zu den größten Agrarstaaten der EU, es besitzt europaweit eine der fruchtbarsten Böden und fast jeder dritte Arbeitnehmer betreibt Landwirtschaft - in Deutschland ist es nur jeder fünfzigste. Und dennoch: In Westeuropa sind die wohlschmeckenden, sonnengereiften Tomaten aus der Walachei oder der würzige Schafskäse von der siebenbürgischen Alm nur wenigen ein Begriff, weil die Lebensmittel es selten in den Export schaffen. Denn ein Großteil der Agrarwirtschaft ist noch lange nicht im 21. Jahrhundert angekommen.
Rund vier Millionen Bauernhöfe zählt Rumänien, kein anderes EU-Land hat eine solch zersplitterte Landwirtschaft. Der kleinste Teil - rund 12.000 Firmen - sind frühere Mammutbetriebe, die noch heute staatliche Flächen von bis zu 500 Hektar bewirtschaften und ihre Abnehmer im In- und Ausland haben, vor allem für nicht veredelte Primärprodukte wie Getreide, Ölsaaten und Lebendvieh. Wenngleich diese Firmen wirtschaftlich gut aufgestellt sind, bekommen sie die meisten EU-Direktzahlungen, weil sie die größte Lobby in der einheimischen Politik haben. Der große Rest der Höfe aber kämpft in Rumänien ums Überleben.
Dass die Landwirtschaft kleinteilig und ineffizient ist, kommt nicht von ungefähr: Nach der Wende und der Pleitewelle zahlreicher Staatsunternehmen sind viele dahin zurückgekehrt, wo sie ursprünglich herkamen - aufs Dorf und in die Landwirtschaft. Postkommunistische Regierungen hatten den Prozess vorangetrieben und großzügig kleinteilige Grundstücke zurückgegeben, auch an jene, die vorher gar nichts besaßen. Es war der Puffer gegen die Arbeitslosigkeit, das soziale Trostpflaster für viele, die nach der Wende in den Städten vor dem Nichts standen. Die Folge: Die rumänische Landwirtschaft ist im 21. Jahrhundert ein Fleckenteppich aus kleinen Parzellen. Damit verwundert nicht, dass zwei Drittel aller Landwirtschaftshöfe - rund 2,7 Millionen Bauern - erst gar nicht für den Markt produzieren, sondern nur für den eigenen Magen. In den kleinen Ortschaften grunzen vielerorts Hausschweine, schnattern die Dorfgänse, ziehen noch Pferde den Pflug und die Ernte kommt auf den Ochsenkarren in die Scheune. Von heiler, unberührter Welt, sprechen Sozialromantiker. In Wirklichkeit ist es die pure Armut, das fehlende Kapital für eine technische Ausstattung, dass die Bauern so am Existenzminimum wirtschaften lässt. Die Mehrheit besitzt weniger als einen Hektar Land. In Rumänien kommen diese Millionen Bauern nicht einmal in den Genuss von EU-Direktzahlungen, weil der bürokratische Aufwand zu hoch wäre. Auch Maria Manolescu bekommt keine Unterstützung, doch immerhin hat sie im eigenen Dorf ein paar Gemüse-Abnehmer: "Leute, die in der Stadt noch Arbeit haben und damit nicht die Zeit, um den Garten und das Feld zu bestellen. Die kaufen bei mir, weil sie wissen, dass sie Biogemüse bekommen. Alles bewirtschaftet mit Schaufel und Harke und ohne Pestizide."
"Kornkammer Europas" - Das war einmal
Die Konkurrenz ist groß. In jeder Stadt in Rumänien bieten Bauern ihre Ware feil. Aus Dacia-Kofferräumen heraus wird am Fiskus vorbei frisches Gemüse verkauft. Polizeikontrollen kann man auf diese Weise schnell entkommen. Auf den Bauernmärkten wird in ausgewaschenen Fanta-Flaschen nahrhafte Kuhmilch angeboten, die frischen Hühnereier gibt es übereinander gestapelt in Plastiktüten - improvisieren ist alles. In die rumänischen Supermärkte schaffen es diese Produkte nur selten. Die Handelsketten klagen vielmehr darüber, dass die Bauern die vereinbarten Mengen nicht beständig liefern können und oder den Käse in Plastikeimern vorbeibringen. So könne man ihn schließlich nicht ins Regal stellen. Dort liegt stattdessen importierter Käse aus Belgien, Frankreich und Deutschland. Rumänien, das vor dem Ersten Weltkrieg noch als "Kornkammer Europas" bezeichnet wurde und am Ufer der Donau die größten Getreidebörsen besaß, ist seit der Wende zum Nettoimporteur für Agrargüter und Lebensmitteln geworden, weil die eigene Landwirtschaft EU-weit nicht mithalten kann.
An eine Neuauflage der alten Zeiten zu glauben, wäre reine Illusion. Doch klar ist auch: Die Zukunft der rumänischen Agrarwirtschaft liegt weniger in den Händen von Leuten wie Maria Manolescu sondern von familiengeführten Klein- und mittleren Betrieben. Sie betreiben Felder ab einem bis zu 100 Hektar. Rund eine Million solcher Höfe gibt es in Rumänien - ihnen fehlt oft das nötige Kapital und die technische Ausstattung, um effizient zu arbeiten. In Polen, wo es massive Direktinvestitionen gab, sind die mittelständischen Bauern längst das Rückgrat der heimischen Landwirtschaft. In Rumänien sind nur zögerlich Kooperativen entstanden, weil das vom Staat zurückgegebene Land zunächst nicht verpachtet, verkauft oder gekauft werden konnte. Noch heute fehlt den Einzelbauern oft die Einsicht zum Zusammenschluss. Warum sollten sich "zwei Arme zusammentun", heißt es vielerorts, da käme doch nur wieder Armut heraus.
Pope predigt über Landwirtschaft
Doch die rumänische Regierung drängt seit Anfang 2013 darauf, aus den zersplitterten Höfen lebensfähige Genossenschaften zu machen. Bei der Ausführung ist man ein wenig eigenwillig. Im Mai unterzeichnete das Agrarministerium mit der Rumänisch-Orthodoxen Kirche ein Abkommen, wonach Dorfpriester nach ihrem Gottesdienst über die Landwirtschaft predigen sollen: Der Geistliche soll die Bauern über EU-Fördermittel und staatliche Zuschüsse aufklären oder über die Vorteile, sich kleinen landwirtschaftlichen Kooperationen anzuschließen. Vorteil: Dem Dorfpriester hört man- im Gegensatz zu den Politikern - noch zu. Doch will man den Popen nicht allein das Schicksal der Landwirtschaft überlassen. So plant das Agrarministerium, zinsgünstige Kredite für Kleinbetriebe einzuführen. Viele Bauern hätten damit erstmals die Möglichkeit, in eine moderne Ausstattung zu investieren.
Für Maria Manolescu ist ein zinsgünstiger Kredit oder eine Kooperation aber keine Alternative. Sie ist Bäuerin aus Verlegenheit. Lediglich 50 Euro verdient sie monatlich mit ihrer Landwirtschaft. Die Kosten für das tägliche Leben kann sie nur zahlen, weil der Ehemann noch einen Job als Fahrer hat. Doch jetzt ist Manolescu erst einmal auf Deutschlandbesuch. Im Gepäck hat sie eingewecktes Gemüse, das sie ihrer Tochter zustecken will statt eines Euroscheins. Wie lange sie bleiben wird, weiß sie noch nicht. Vielleicht findet sie in Deutschland ja einen Job als Pflegekraft oder Putzkraft. Damit würde sie allemal mehr verdienen als zu Hause auf dem Feld. Manolescu ist nicht die einzige, die so denkt. Aus ihrem Dorf ist schon eine Menge Leute weggegangen.
(* Name geändert. Anm. d. Redaktion)
Die Autorin Annett Müller
geboren 1971 in Hildburghausen (Thüringen)
Studium der Journalistik und Psychologie in Leipzig und Edinburgh (Schottland), freiberufliche Journalistin für MDR, DeutschlandRadio und eurotopics, lebt in Bukarest und Leipzig