Russland Nawalny und Putin: Showdown in Moskau
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02. Februar 2021, 00:01 Uhr
Die Rückkehr von Alexej Nawalny nach Russland hat Wladimir Putin in Zugzwang versetzt. Heute könnte der Oppositionelle für mehrere Jahre hinter Gitter kommen. Das "Problem" Nawalny wird der Kreml dadurch aber nicht los.
Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Schlagabtauschs, den Russland in dieser Form noch nicht erlebt hat. Heute entscheidet ein Moskauer Gericht, ob der Oppositionelle Alexej Nawalny für dreieinhalb Jahre hinter Gitter muss – wahrscheinlich ja. Nawalny soll gegen Bewährungsauflagen aus einem vorherigen Verfahren verstoßen haben, so die offizielle Version. Tatsächlich geht ein Machtkampf in die entscheidende Phase: Putin gegen Nawalny. Nur einer kann gewinnen.
Lange Haft wahrscheinlich
Und die Staatsmacht fährt offenbar schwere Geschütze auf. Zuletzt mehrten sich die Anzeichen, dass Alexej Nawalny eine mehrjährige Haftstrafe bevorsteht. Die Entscheidung sei längst gefallen, berichtete etwa die Nachrichtenagentur Bloomberg jüngst mit Verweis auf zwei Quellen aus Putins Präsidialadministration. Demnach werde Nawalny mindestens für dreieinhalb Jahre hinter Gitter kommen. Weiteres Ungemach droht dem 44-jährigen Politiker wegen neuer Vorwürfe: Er soll Spenden für seine Antikorruptionsstiftung "FBK" angeblich für private Zwecke entfremdet haben. Auch hier könnte es laut der Bloomberg-Quellen zu einem späterem Zeitpunkt eine mehrjährige Haftstrafe geben. Ähnliches berichtete auch die Agentur Reuters mit Verweis auf ebenfalls zwei anonyme Quellen aus Kremlkreisen. Nawalnys Rückkehr nach Russland, habe seine Popularität steigen lassen, gerade weil klar war, dass ihm eine Verhaftung drohte, so eine der Quellen.
Richtungsweisende Richterentscheidung
Von der heutigen Entscheidung des Gerichts hängt in weiten Teilen ab, wie die politische Konstellation in Russland für die kommenden Monate, vielleicht sogar Jahre aussehen wird. Im Herbst stehen in Russland Parlamentswahlen an. Die Umfragewerte der Partei der Macht, "Einiges Russland", sind im Keller. Nach Zahlen des unabhängigen "Levada-Institut" würden derzeit nur noch 43 Prozent der Russen für die Kremlpartei stimmen, rund zehn Prozentpunkte weniger als bei der Wahl 2016. Schon bei Regionalwahlen in Moskau 2019 und in Sibirien 2020 haben von Nawalny unterstütze Politiker etliche Kandidaten von "Einiges Russland" im Kampf um Direktmandate schlagen oder zumindest in Bedrängnis bringen können.
Neue Härte des Kreml
Diese Gesamtlage erklärt wohl die neue kompromisslose Härte des Kreml. Bereits 2013 hatte ein russisches Gericht Nawalny kurz vor der Bürgermeisterwahl in Moskau zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nawalny war von einem breiten Oppositionsbündnis ins Rennen um das Amt geschickt worden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft und des Gerichts damals: Nawalny, der von Beruf Anwalt ist, soll als Berater eines als liberal geltenden Gouverneurs der Region Kirow an der Veruntreuung von Geldern eines staatlichen Holzhandelsunternehmens beteiligt gewesen sein. Nach der Verurteilung protestierten mehrere Tausend Nawalny-Unterstützer im ganzen Land, auch mitten in Moskau vor der Duma, dem russischen Parlament vis-à-vis dem Kreml.
Die Staatsmacht lenkte ein: Nawalny wurde einen Tag später auf Bewährung freigelassen. Bei der Bürgermeisterwahl unterlag Nawalny dann zwar dem Kreml-Kandiaten Sergeij Sobjanin. Doch immerhin: Der Kremlgegner holte aus dem Stand 27 Prozent der Stimmen. Das Vorgehen der Staatsführung wurde von vielen Beobachtern damals als geschicktes Krisenmanagement des Kremls betrachtetet. Auch diesmal hatte Nawalnys Team offenbar auf ein ähnliches Einlenken gehofft. "Wir haben damit gerechnet, dass Putin klüger agieren und sich weniger Probleme und mehr Pluspunkte einhandeln wird", sagte Nawalnys enger Mitstreiter Leonid Wolkow in einem Interview vor wenigen Tagen.
Die Herausfroderung "Nawalny" bleibt
Aus Sicht des Kremls hat die Haft-Option offensichtliche Nachteile. Zum einen stünde Moskau international am Pranger. Noch nie wurde in Russland ein wichtiger Oppositionspolitiker für Jahre hinter Gitter gesperrt. Gleichzeitig würde Nawalny zumindest für einen Teil der Russen, vor allem in der jüngeren Generation, zu einem Helden. Schließlich hätte Nawalny auch im Ausland bleiben können. Stattdessen forderte er mit seiner Rückkehr den Kreml heraus.
Schon jetzt ist offensichtlich, dass Nawalny sich von anderen politischen Ex-Häftlingen, wie etwa vom Milliardär Mikhail Chodorkowskij, unterscheidet. Dieser hatte weder ein politisches Amt beansprucht, noch erfreute er sich nennenswerter Unterstützung in der Bevölkerung. Sein Status als Oligarch entfremdete ihn vom Rest der Gesellschaft. Nawalnys Umfragewerte dagegen liegen derzeit knapp unter 20 Prozent und sind zuletzt stetig gestiegen. Eine Freilassung Nawalnys könnte bei allen künftigen Protesten zu einer Dauerforderung werden und zusätzliche Menschen mobilisieren.
"Der Kreml hat keine perfekte Strategie für die Situation", meint der Moskauer Politikberater und Publizist Abbas Galljamow. Einerseits könne ein Nawalny hinter Gittern zu einer Art Märtyrer der Opposition werden. Dies sei eher auf lange Sicht ein Problem. Kurzfristig müsse der Kreml das andere anstehende Probleme lösen. "Für den Moment will der Kreml möglichst konfliktlose Paralmentswahlen im Herbst und eine loyale Duma. Dafür ist es besser, Nawalny einzusperren".
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 20. Januar 2021 | 15:22 Uhr