Opposition in Russland Alexej Nawalny: Russlands letzter großer Oppositioneller
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11. September 2020, 13:03 Uhr
Nawalny polarisiert in Russland und darüber hinaus. Er wird als Anti-Korruptions-Kämpfer, als Internet-Star aber auch als Nationalist oder Populist bezeichnet. Doch in einem sind sich Kritiker wie Anhänger einig - aktuell ist Nawalny einer der schärfsten Kritiker des Systems Putin.
Ein unbequemer Kritiker
Im Augenblick gehört Alexej Nawalny zu den schärfsten Kritikern des Systems Putin, der keine Gelegenheit auslässt, sich zu gesellschaftspolitisch brennenden Themen zu äußern. Zuletzt unterstützte er in sozialen Medien die Protestbewegung in Belarus, die seit dem 10. August auf die Straßen geht und gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl demonstriert. Das scheint auch dem angeschlagenen belarussischen Präsidenten Lukaschenko aufgefallen zu sein, der Nawalny auf einer Sitzung des Sicherheitsrates am 14. August namentlich erwähnte und als einen der Strippenzieher der Proteste bezeichnete.
Als Politiker wird Nawalny in Russland stets an den Rand gedrängt und durch Verhaftungen oder inszenierte Gerichtsprozesse von Wahlen ausgeschlossen. Auch 2018 ist er nicht als Kandidat zu den Präsidentschaftswahlen zugelassen worden. Dennoch schafft er es durch seine ständigen Einmischungen in den politischen Prozess, dem Staatsapparat und der Partei "Einiges Russland" immer wieder unangenehme Stiche zu versetzen. Bei den Wahlen zum Moskauer Stadtparlament im September 2019 etablierte er über sein Netzwerk das sogenannte System der "smarten Wahl". Da die meisten oppositionellen Kandidaten nicht zugelassen waren, rief er die Wähler dazu auf, stets gegen den Kandidaten von "Einiges Russland", der Partei Putins, zu stimmen. Viele folgten dem Aufruf und konnten so einige System-Kandidaten verhindern.
Mit der "smarten Wahl" möchte Nawalny auch bei den Wahlen im kommenden September Punkten. Dann sollen in elf Regionen des Landes neue Regionalparlamente und in 22 Großstädten Stadtparlamente gewähllt werden. Das zentralsibirische Tomsk, vier Flugstunden von Moskau entfernt, gehört mit seinen 500.000 Einwohnern auch dazu. Hier wurden zwei Kandidaten aus Nawalnys Umfeld zur Wahl zugelassen. Er befand sich gerade auf dem Rückweg nach Moskau nach einem Besuch bei seinem Wahlkampfteam in Tomsk, als er an Bord seiner Maschine zusammenbrach.
Die Macht des Internets
Bekannt wurde er im In- und Ausland erlangte Nawalny mit der Gründung des "Fonds zur Korruptionsbekämpfung" im Jahr 2011. Die Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe von Recherchen korruptes Verhalten von Politikern und Staatsbeamten aufzudecken und öffentlich zu machen. Die spendenfinanzierte Struktur ist mittlerweile so erfolgreich, dass sie in punkto Reichweite den staatlich kontrollierten Medien im Land Konkurrenz machen kann. Allein der persönliche Youtube-Kanal des Oppositionellen hat aktuell 3,95 Millionen Abonnenten, seine Videos werden innerhalb kürzester Zeit millionenfach geklickt.
Die bislang erfolgreichste Korruptionsrecherche des Fonds wurde im März 2017 veröffentlicht und betraf den damaligen Premierminister Dmitrij Medwedew und sein politisches und geschäftliches Umfeld. Der Film "Nennt ihn nicht Dimon" wurde mittlerweile fast 36 Millionen Mal gesehen. Damit hat Nawalny die damals totgesagten Oppositionsproteste in Russland nicht nur wiederbelebt, sondern regelrecht neu erfunden. Schließlich gingen noch nie so viele junge Leute auf die Straßen der russischen Hauptstadt wie zur Anti-Korruptions-Demo in Moskau am 12. Juni 2017.
Einer, der polarisiert
Dabei ist der Politiker weder in Russland selbst, noch im Ausland unumstritten. Seine Gegner, auch in der liberalen russischen Opposition, werfen ihm immer wieder einen autoritären Führungsstil vor und bezeichnen seine Anhänger als Sektierer, die neben der Meinung ihres Anführers nichts gelten lassen.
Kritiker werfen Nawalny außerdem vor, immer wieder nationalistische Töne anzuschlagen. Der ukrainisch stämmige und heute in Berlin lebende Journalist, Nikolai Klimeniouk, bezeichnete Nawalny im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2018 als jemanden, der offene Fremdenfeindlichkeit hoffähig macht". Im Gespräch mit dem MDR sagte Klimeniouk damals: "Migranten sind für ihn vor allem "illegale Einwanderer". Er spricht zwar nicht von Rassentheorie, aber von Überfremdung und natürlicher Unfähigkeit der Nichteuropäer, sich zu integrieren. Einwanderer und russische Bürger aus dem Nordkaukasus (Tschetschenien und Dagestan, Anmerkung der Redaktion) werden von ihm als Barbaren, organisierte Kriminelle, Drogendealer, Schläger und Sexualtäter dargestellt. Mit dieser manipulativen Sprache ruft er offen zu Ausgrenzung auf."
Auch Sarah Pagung, Politikwissenschaftlerin am Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, stellt Nawalny aus europäischer Sicht kein gutes Zeugnis aus: "In der Summe seiner Aussagen ist ihm letztlich ein mehr als fragwürdiges Gesellschaftsverständnis zu attestieren, das insbesondere hinsichtlich von Werten wie Toleranz oder Gleichberechtigung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen schwer mit europäischen Standards vereinbar ist." Dies zeige das Dilemma Europas auf: Der einzig mögliche Konkurrent zu Putin, der zudem wirkliche demokratische Wahlen einfordert, würde fundamentale Teile der europäischen Werte nicht teilen, so die Wissenschaftlerin.
Doch worin sich Kritiker wie Anhänger einig sind, ist, dass Nawalny heute die einzige Oppositionsfigur ist, die Putin gefährlich werden könnte.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im Radio: MDR | 20.08.2020 | 13:00 Uhr