Korruption und Dauerdemos Zweites Ungarn? EU streitet über Umgang mit Bulgarien
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09. Oktober 2020, 10:46 Uhr
Korruption und Einschränkung der Pressefreiheit: Seit Wochen demonstrieren die Menschen in Bulgarien gegen ihre Regierung. Viele warnen vor politischen Verhältnissen Ungarn. Die EU tut sich jedoch schwer mit einer Reaktion.
Seit Wochen gehen die Menschen in Bulgarien gegen die Regierung auf die Straße – und das täglich. Sie prangern Korruption und Vetternwirtschaft im ärmsten Land der EU an und fordern den Rücktritt von Ministerpräsident Bojko Borissow. Sie sehen ihr Land auf dem Weg, ein zweites Ungarn zu werden und fordern ein Eingreifen der Europäischen Union. Doch bislang fühlen sich die Demonstranten vom Rest Europas allein gelassen.
Uneinigkeit im EU-Parlament
Vergangene Woche beschäftigte sich die EU dann mit der Causa Bulgarien und legte einen Bericht vor. Der lässt kein gutes Haar an der Regierung in Sofia. So gäbe es Korruption in der Regierung, sie schränke Medienfreiheit ein und behindere die Justiz. Diese Woche wurde der Bericht im EU-Parlament diskutiert, eine mögliche Resolution könnte noch heute verabschiedet werden.
Doch die scheitert bislang an der Europäischen Volkspartei EVP. Borissows GERB-Partei ist Mitglied der EVP-Fraktion im Europaparlament, ebenso wie Orbans Fidesz und die die CDU/CSU. Die größte Fraktion des EU-Parlaments wolle keines ihrer Mitglieder offiziell für korrupt erklären und blockiere daher eine Resolution, kritisiert die Opposition.
Die Konservativen weisen den Vorwurf zurück. “Bulgarien lässt sich überhaupt nicht mit Ungarn und Polen vergleichen. Dort gibt es jeweils nur ein Machtzentrum, das den Kurs vorgibt. In Bulgarien gibt es dagegen mindestens drei Machtzentren”, sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Abgeordneten im Europarlament Daniel Caspary dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Proteste seit fast drei Monaten
In Bulgarien wird das Verhalten der Konservativen mit Unverständnis aufgenommen, doch die Proteste gehen weiter. Mal sind es hunderte, mal tausende, die allabendlich gegen die Regierung demonstrieren. Bislang ohne Erfolg.
"Wir erwarten, dass das passiert, was wir seit über 80 Tagen fordern: den sofortigen Rücktritt vom Premierminister Borissow und des Generalstaatsanwalts, sowie der gesamten Regierung. Und Neuwahlen, die fair ablaufen, ohne den Kauf von Stimmen, ohne gefälschte und ungültige Stimmzettel“, sagt der Bildhauer Velislav Minekov, der die Proteste organisiert.
Ministerpräsident Boijko Borissow und Generalstaatsanwalt Iwan Geshev sind für die Demonstranten die Spitze eines korrupten Staatssystems, in dem sich Politiker und Oligarchen öffentliche Gelder und Aufträge gegenseitig zuspielen, gedeckt von der Justiz. Ein System, in dem Kritiker unterdrückt werden.
Justiz fühlt sich vom Generalstaatsanwalt unterdrückt
Wie zum Beispiel Losan Panow, einer der obersten Richter Bulgariens, der immer wieder bedroht wird. Seit Jahren kritisiert er das Justizsystem. Seiner Meinung nach gibt es zu wenig Kontrolle, zu viel politischen Einfluss und einen übermächtigen Generalstaatsanwalt: „Er allein bestimmt, wer strafrechtlich verfolgt wird und wer nicht. Das gibt ihm grenzenlose Macht, politisch und wirtschaftlich. Für Bulgarien heißt das: Hier schützt der Generalstaatsanwalt nicht die Menschen vor Verbrechen, im Gegenteil, er schützt seine politischen und wirtschaftlichen Freunde und verfolgt die, die ihm nicht passen.“
Inzwischen fordert auch der Verband der höchsten Richter die Absetzung des Generalstaatsanwalts Iwan Geshev. Der zeigt sich bislang unbeeindruckt. Dass die Debatte im EU-Parlament etwas daran ändert, bezweifeln die Demonstranten, hoffen aber dennoch auf zunehmenden Druck aus der EU. Die Aktivisten in Sofia werden in jedem Fall weiter täglich demonstrieren. Aufhören wollen sie erst, wenn die Regierung Borissow endgültig zurücktritt.
(ahe)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL FERNSEHEN | 09. Oktober 2020 | 17:45 Uhr