Ausschreitungen Bulgarien: Erneut Konfrontationen zwischen Demonstranten und Polizei
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23. September 2020, 12:21 Uhr
Bei Protesten in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ist es erneut zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Seit Wochen gehen Tausende Menschen auf die Straße. Sie prangern Korruption und Vetternwirtschaft im ärmste Land der EU an und fordern den Rücktritt von Ministerpräsident Borissow.
Bei Protesten in der bulgarischen Hauptstadt Sofia ist es erneut zu gewalttätigen Konfrontationen zwischen regierungskritischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Dabei wurden am Dienstagabend drei Beamte verletzt, wie die Polizeidirektion mitteilte. Protestierende schleuderten Knallkörper, Steine und Flaschen auf die Einsatzkräfte, die mit Gummiknüppeln und Schutzschilden ausgerüstet waren.
Die Polizisten drängten die Menge mehrfach zurück. An der Demonstration in Sofia nahmen nach Schätzung von anwesenden Journalisten der Nachrichtenagentur AFP rund 10.000 Menschen teil. Die Demonstration fand am Tag der bulgarischen Unabhängigkeit statt.
Proteste auch in anderen Städten
Auch in anderen Städte des Landes gab es Proteste gegen die Regierung von Ministerpräsident Boris Borissow, dem die Demonstranten Korruption und Nähe zu Oligarchen vorwerfen. Die Demonstrationen finden bereits seit Monaten statt. Die Teilnehmer fordern den Rücktritt der Regierung. Immer wieder kam es zu schweren Zusammenstößen mit zahlreichen Verletzten und Festnahmen. Die Proteste werden durch Regierungspläne für eine Verfassungsänderung angeheizt.
Kritiker beanstanden, dass die Reform keine stärkeren Rechenschaftspflichten für den Chef der bulgarischen Staatsanwaltschaft vorsieht. Der aktuelle Chefankläger Iwan Geschew sieht sich wegen mutmaßlicher Verbindungen zu mächtigen Oligarchen ebenfalls mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Die Reform soll auch die Rechte des Präsidenten beschneiden. Der aktuelle Staatschef Rumen Radew steht der Borissow-Regierung sehr kritisch gegenüber. Er unterstützt die Forderungen der Demonstranten.
Borissow ist seit zehn Jahren fast ununterbrochen an der Macht. 2013 und 2016 trat er jeweils zurück, kehrte aber wenige Monate später wieder an die Regierungsspitze zurück. Bisher weigert er sich allerdings, vor Ablauf seiner dritten Amtszeit im kommenden März zurückzutreten. Bulgarien gilt als das EU-Land, in dem Korruption am weitesten verbreitet ist. Das Land ist vergleichsweise arm. Wenige Oligarchen kontrollieren weite Teile der Wirtschaft.
Viele Bulgaren verlassen das Land
Bulgarien gilt als das ärmste Land in der EU, auch das spiele eine Rolle für die Demonstrationen, sagt Stefan Troebst, Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig. "Das eigentliche Problem Bulgariens ist der dramatische Rückgang der Bevölkerung. Alle, die jung und gut ausgebildet sind, versuchen so schnell wie möglich, das Land zu verlassen."
Der Bevölkerungsrückgang in Bulgarien ist dramatisch und das führe laut Troebst dazu, dass jegliches Vertrauen in den Staat verloren gegangen sei. "Ein Staat, den junge, gut ausgebildete Bürger massenhaft verlassen, der taugt nichts", so Troebst.
(afp/adg)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. September 2020 | 03:30 Uhr