Weihnachtsserie Weihnachten auf Russisch: abgekupfert und wiederentdeckt
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31. Dezember 2021, 05:00 Uhr
Wie feiert man eigentlich Weihnachten in Russland? Immer wenn ich diese Frage in Deutschland hörte, wusste ich kaum etwas zu antworten. Denn das russische Weihnachtsfest stand selbst in meiner Kindheit, den frühen 1990er-Jahren, im Schatten der Neujahrsfeier.
Fast während der gesamten Sowjetzeit, zwischen 1929 und 1991, waren die Weihnachtstage keine gesonderten Feiertage und tauchten nicht einmal im Kalender auf. Und so wurde der Weihnachtsbaum in Russland zum Neujahrsbaum, der Weihnachtsmann zu Väterchen Frost. Alles Religiöse sollte nach dem Wunsch der Machthaber aus dem öffentlichen Leben verschwinden.
Weil die Sowjets die althergebrachten Bräuche aber nicht komplett abschaffen konnten, wurden sie umgedeutet auf ein Fest, das keine religiöse Bedeutung hat. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Weihnachten weder von Familien noch von den Einzelhändlern ernst genommen. In den Innenstädten suchte man vergeblich nach Weihnachtsmärkten und aufwändigen Dekorationen. Und Geschenke lagen schon am 31. Dezember unterm Baum.
Seit 2000 entdecken die Russen das westliche Weihnachten
Doch spätestens mit der Reisewelle in den 2000er-Jahren, als der galoppierende Ölpreis für viele Russen den Winterurlaub in Europa erschwinglich machte, schwappten auch westliche Weihnachtsgewohnheiten nach Russland, die man hierzulande bis dahin nur aus Hollywoodfilmen kannte.
Einkaufszentren und Prachtmeilen in den Innenstädten legen schon Anfang Dezember üppigen Girlandenschmuck aus leuchtenden LED-Lampen an. Buden mit zuckersüßem Glühwein und Souvenirs locken die kaufwütige Kundschaft. Zumindest die Menüs wurden jedoch an den russischen Geschmack angepasst. Statt Bratwurst und Kartoffelpuffer gibt es meist Blini mit Kaviar oder Lachs. Dem allgegenwertigen Glühwein, der es als "Glintwejn" sogar in die russische Sprache geschafft hat, macht der russische "Sbiten" Konkurrenz, ein Getränk aus Wasser, Honig, Gewürzen und nach Wunsch auch einem Schuss Schnaps.
Neuer Weihnachtstrend: Eislaufen in der Stadt
Im Kopieren des (west-)europäischen Dekowahns haben sich die Russen als Musterschüler erwiesen, aber auch neue Weihnachtsvergnügen entwickelt, die seit einigen Jahren kaum noch aus Russlands größeren Städten wegzudenken sind. So wissen selbst die meisten Moskauer nicht mehr, dass etwa der Eisring auf dem Roten Platz, der jedes Jahr pünktlich zur Weihnachtszeit zum Schlittschuhlaufen einlädt, erst im Jahr 2006 zum ersten Mal aufgebaut wurde.
Sankt Petersburg flutet Wege auf "Neuholland"
Seitdem hat Russlands prestigeträchtigste Eisfläche vor dem Kreml viele Nachahmer in anderen Städten gefunden. In Sankt Petersburg etwa wird seit 2016 der Park der Neuholland-Insel zu einer Eisbahn umfunktioniert. Wo im Sommer Burgerläden, Straßencafés und ein Open-Air-Theater ein eher hippes Publikum anziehen, lockt im Winter das Eis Familien zum Schlittschuhlaufen und Blini-Essen.
Europas größte Eisfläche, wie es die Organisatoren stolz behaupten, soll jedoch im Moskauer WDNKh-Park liegen, dort, wo sich zu sowjetischen Zeiten die "Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft" und später das Allrussisches Ausstellungszentrum befand. Noch immer erkennen Besucher auf dem Gelände die sozialistische Vergangenheit an den zahlreichen Skulpturen oder den im Zuckerbäckerstil erbauten Pavillons, die einst die 16 Sowjetrepubliken repräsentierten. Seit einigen Jahren ist es nun Tradition, dass im Winter die Parkwege geflutet werden, sodass eine Fläche von 20.000 Quadratmeter entsteht. Die Moskauer Stadtverwaltung hat ausgerechnet, dass hier etwa 5.000 Menschen gleichzeitig Schlittschuhlaufen könnten.
Ebenfalls neu: Eisstädtchen
Doch das Eis ist längst nicht nur dazu da, um darauf zu gleiten und Pirouetten zu drehen.
Eine andere Tradition, die vor allem in Sibirien gepflegt wird, hält auch im europäischen Teil Russlands zunehmend Einzug. Kurz vor Neujahr öffnen auf den zentralen Plätzen "Eisstädtchen", wie die Russen sie nennen. Das Zentrum bildet meist eine große Eisrutsche, um die herum Künstler ihre Eisskulpturen präsentieren. Auch hier sind die Russen stolz darauf, Vorreiter bei diesem Trend zu sein. Nicht umsonst hat die Petersburger Stadtregierung erklärt, dass in ihrer Stadt in diesem Jahr mit zehn Metern Höhe die größte Eisrutsche des Landes pünktlich eine Woche vor dem orthodoxe Weihnachtsfest eröffnen wird.
Zu viel des Guten?
Doch nicht alle begrüßen den Eifer der Offiziellen, die Städte zu Weihnachten und vor allem zum Jahreswechsel auf Vordermann zu bringen. Viele kritisieren das als Geldverschwendung. So hat allein Moskau im Jahr 2016 für die Neujahrsbeleuchtung etwa 45 Millionen Euro ausgegeben. Damit die Dekorationen mit den europäische Vorbildern mithalten können, wurde eigens eine französische Firma beauftragt, die auch die Prachtmeile Champs Elysees in Paris mit Girlanden ausstattet.
Neujahr bleibt das wichtigste Fest
So gesehen hat sich in den vergangenen Jahren ein eigenwilliger Mix aus abgekupferten und wiederentdeckten Traditionen durchgesetzt. Um seinen Platz als wichtigstes Winterfest muss sich der Silvesterabend allerdings noch keine Sorgen machen. Der Jahreswechsel bleibt für die meisten Russen nach wie vor das wichtigere Fest.
(zuerst veröffentlicht am 21.12.2017)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 13. Dezember 2019 | 16:00 Uhr