Legalisierungspläne Cannabis in Osteuropa
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14. November 2017, 09:36 Uhr
Cannabis war auch im Osten stets verboten. Mittlerweile haben sich jedoch einige osteuropäische Staaten für eine Liberalisierung der Drogenpolitik oder zumindest für eine medizinische Nutzung von Cannabis entschieden.
Kaum eine Droge bietet mehr Diskussionsstoff als Cannabis: Marihuana und Haschisch seien gefährliche Einstiegsdrogen, warnen überwiegend konservative Politiker. Befürworter einer Entkriminalisierung argumentieren hingegen damit, dass das Suchtpotenzial des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (kurz THC) weit unter dem sogenannter Volksdrogen wie Alkohol und Nikotin liege und weisen auf die Vorteile einer liberalen Drogenpolitik hin, wie sie bereits in einigen Staaten praktiziert wird. Darüber hinaus belegen zahlreiche Studien die Wirksamkeit von Cannabis in der Schmerztherapie, bei multipler Sklerose und der Behandlung verschiedener Krebsleiden sowie im Rahmen psychiatrischer Anwendungsszenarien.
In nahezu allen Ländern der Welt wurden Anbau, Besitz und Konsum von Cannabis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verboten. Dies betraf auch den Osten Europas, wo zum Teil über Jahrhunderte hinweg Nutzhanf angebaut wurde. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft änderte sich daran zunächst einmal kaum etwas. Cannabis war eben nicht nur östlich, sondern auch westlich des sogenannten Eisernen Vorhangs illegal. In den vergangen Jahren haben sich jedoch einige osteuropäische Staaten für eine Liberalisierung der Drogenpolitik oder zumindest für eine Entkriminalisierung der medizinischen Nutzung von Cannabis entschieden.
Polen: Cannabis für Kranke
In Polen ist medizinisches Cannabis seit 1. November 2017 in speziell dafür zertifizierten Apotheken legal erhältlich. Allerdings ist die Gruppe derer, die es bekommen, vom Gesetzgeber klar definiert: Abgegeben werden Cannabis oder Cannabisprodukte auf Rezept eines Arztes ausschließlich an chronisch kranke Menschen, die beispielweise an Multipler Sklerose, behandlungsresistenter Epilespie oder an starken Nebenwirkungen einer Chemotherapie leiden. Die Kosten für medizinisches Cannabis müssen die Patienten offenbar selber tragen. Cannabis zur medizinischen Nutzung privat anzubauen, wie ursprünlich im Gesetzentwurf vorgesehen, bleibt in Polen bis auf weiteres verboten.
Prominenter Fürsprecher einer Entkriminalisierung von Cannabis in Polen war und ist der Ex-Rapper Piotr Liroy-Marzec, Abgeordneter der rechtspopulistischen Partei Kukiz'15, die bei den Parlamentswahlen im Oktober 2015 mit 8,8 Prozent überraschend drittstärkste Kraft wurde und seither mit 36 Sitzen im Sejm vertreten ist. Marzec versteht sich als Sprachrohr der polnischen Jugend und gibt offen zu, über zwei Jahrzehnte hinweg selbst Cannabis konsumiert zu haben.
Dass nun selbst die nationalkonservative Regierungspartei PiS für die Legalsierung von medizinischem Cannabis gestimmt hat, wirkt zunächst befremdlich. Allerdings muss die Regierungspartei für Änderungen der polnischen Verfassung eine Zweidrittelmehrheit organisieren und ist dabei unter anderem auf die Unterstützung der 36 Kukiz'15-Abgeordneten angewiesen.
Diese konnten es sich hingegen nicht erlauben, ihrer überwiegend jungen Wählerschaft allzu lang vorzeigbare Resultate ihres politischen Wirkens schuldig zu bleiben. Sonst hätten Kukiz'15 bei der nächsten Wahl womöglich massive Stimmenverluste, die gegebenenfalls gar den Wiedereinzug der Partei ins polnische Parlament gefährden könnten, gedroht. Mit der symbolträchtigen Entkriminalisierung von Cannabis-Konsum – wenn auch nur zu medizinischen Zwecken – kann die Partei zumindest einen medienwirksamen Teilerfolg für sich verbuchen.
Ungarn: Werden Schüler zum Drogentest gezwungen?
In Ungarn scheint eine Entkriminalisierung von Cannabis unter Ministerpräsident Viktor Orbán noch undenkbar. Anbau, Besitz und Konsum von Marihuana und Haschisch werden unnachgiebig verfolgt und hart bestraft. Das ungarische Gesetz kennt zudem keine Differenzierung zwischen leichten und harten Drogen. Der Unterschied zwischen Cannabis und Heroin findet dementsprechend keinerlei Berücksichtigung im Strafmaß. Wer in Ungarn zum wiederholten Male mit einer kleinen Menge Cannabis aufgegriffen wird, muss im ungünstigsten Fall mit einer zweijährigen Gefängnisstrafe rechnen.
Angesichts der Law-and-Order-Politik der Regierungspartei Fidesz verwundert es kaum, dass einige Hardliner gelegentlich über das Ziel hinaus schießen. So forderten beispielsweise Abgeordnete um den damaligen Fraktionsvorsitzenden Antal Rogán im Dezember 2014 erfolglos flächendeckende Drogentests an Schulen. Fachleute wiesen den Vorstoß als ungerechtfertigt zurück und kritisierten die Forderung als realitätsfremd und populistisch. Ungarische Nutzer des sozialen Netzwerks Facebook reagierten auf den Vorschlag, indem sie eine Seite ins Leben riefen, die ironisch zur Sammlung von einer Million Urinspenden für Fidesz aufruft.
Tschechien: Die "Niederlandisierung" blieb aus
Im Nachbarland Tschechien ist die medizinische Anwendung von Cannabis schon seit April 2013 erlaubt. Darüber hinaus fand bereits 2010 eine weitgehende Entkriminalisierung der Droge statt. Innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen werden Besitz und Anbau von Cannabis schlimmstenfalls als Ordnungswidrigkeit geahndet: Bis zu 10 Gramm Marihuana oder 5 Gramm Haschisch können die Tschechen zum Eigenbedarf mit sich führen oder bis zu 5 Cannabis-Pflanzen anbauen ohne ernsthafte strafrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die von vielen Konsumenten erhoffte "Niederlandisierung" der Tschechischen Republik ist allerdings bislang nicht eingetreten. Auch die Hauptstadt Prag hat sich entgegen der Prophezeiungen internationaler Medien nicht zum "Amsterdam des Ostens" entwickelt. Stattdessen gibt es auch in Tschechien Bestrebungen, zu einer restriktiveren Drogenpolitik zurückzukehren. Ein nicht zu vernachlässigendes Argument ist dabei der Jugendschutz.
Laut aktuellem Jahresbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) konsumieren 42 Prozent der jungen Tschechen im Alter von 15 und 16 Jahren mindestens einmal im Jahr Cannabis. Zum Vergleich: In Spanien und den Niederlanden – beide Länder sind für ihre liberale Drogenpolitik bekannt – trifft das nur auf 27 Prozent der Jugendlichen in dieser Altersgruppe zu. In der benachbarten Slowakei gaben 21 Prozent der Befragten im Alter von 15 und 16 Jahren an, bereits entsprechende Erfahrungen mit Cannabis gemacht zu haben.
Russland: Keine Liberalisierung der Drogenpolitik in Aussicht
Russland setzt auf eine repressive Drogenpolitik: Besitz, Konsum und Anbau von Cannabis sind illegal. Wer mit einer geringen Menge aufgegriffen wird, muss zwar nicht mit ernsthaften strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Allerdings wird eine saftige Geldstrafe fällig, die häufig an Ort und Stelle kassiert wird. Wer sich mit mehr als sechs Gramm Cannabis erwischen lässt, entgeht der obligatorischen Gefängnisstrafe in der Regel nur aufgrund der offenkundigen Überfüllung der russischen Haftanstalten.
Dass es sich hierbei nicht um erste Anzeichen einer schleichenden Liberalisierung der russischen Drogenpolitik handelt, verdeutlicht die offensive Anti-Drogen-Rhetorik staatlicher Institutionen und regierungsnaher Medien. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadzor nahm beispielsweise im August 2015 einen Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia zum Anlass, die gesamte Seite russlandweit sperren zu lassen. Der beanstandete Artikel verstoße gegen russisches Recht, weil darin eine Anleitung zur Herstellung von handgerolltem Haschisch enthalten sei. Die Sperrung der Seite wurde erst nach einer entsprechenden Überarbeitung des Artikels aufgehoben.
In verschiedenen russischen Städten haben sich in den vergangenen Jahren sogar gewaltbereite Gruppen zusammengefunden, die der regierungsnahen Jugendorganisation "Junges Russland" nahe stehen und den staatlich propagierten Kampf gegen den Drogenhandel in die eigene Hand nehmen. Medienwirksam üben sie Selbstjustiz, überfallen, verprügeln oder demütigen Dealer, um diese anschließend der Polizei zu übergeben. Dabei handelt es sich häufig um Kleinkriminelle nicht-slawischer Herkunft, die mit der Designerdroge Spice handeln.
Dem äußeren Anschein und der Wirkung nach ist die neuartige Droge Cannabis nicht unähnlich. Tatsächlich enthält die Kräutermischung jedoch synthetische Cannabinoide. Ein effektives Verbot der Substanz ist allerdings kaum möglich, da sich die Zusammensetzung der Inhaltsstoffe ständig ändert. Die daraus resultierende Rat- und Tatenlosigkeit des russischen Staats befeuert wiederum den fragwürdigen Aktionismus der selbsternannten jungen Antidrogen-Einheiten.
Slowenien: Soziales Engagement treibt Entkriminalisierung von Cannabis voran
In Slowenien ist die fortschreitende Entkriminalisierung von Cannabis nicht zuletzt dem Engagement des Slovenski Konopljin Socialni Klub (kurz SKSK) zu verdanken. Die Aktivisten um den Vereinsvorsitzenden Jaka Bitenc hatten bereits 2014 Unterschriften für eine Gesetzesänderung gesammelt und entsprechende Gesetzesentwürfe vorbereitet. Nachdem diese zunächst vom parlamentarischen Gesundheitsausschuss abgelehnt worden waren, genehmigte die slowenische Regierung 2014 die regulierte Abgabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken. In einem Interview mit dem Online-Magazin "medijuana" schildert Jaka Bitenc die bizarre Situation vor der Gesetzesänderung: "Unsere Tätigkeiten spielten sich an einem öffentlichen Ort in der Hauptstadt Ljubljana ab – da trafen wir uns regelmäßig und gaben beispielsweise Kranken Informationen. Gleichzeitig saß mir die Polizei gegenüber, mein Telefon wurde abgehört. Damit ist jetzt wenigstens Schluss."
Aktuell agiert der erste slowenische Cannabis Social Club, der 2010 in der Hauptstadt Ljubljana gegründet wurde, noch in einer rechtlichen Grauzone. Der Verein darf seinen Mitgliedern Cannabis zu therapeutischen, jedoch nicht zu rekreativen Zwecken wie Erholung und Entspannung zur Verfügung stellen. Die Aktivisten um Jaka Bitenc wollen sich damit allerdings noch nicht zufrieden geben: "Am liebsten wäre es mir, wenn es für solche Klubs überhaupt keinen Grund gäbe, wenn das Gesetz es ermöglichen würde, dass die Leute für sich selbst anbauen, egal ob aus therapeutischen oder rekreativen Gründen." Doch sein Wunsch wird sich wohl sobald nicht erfüllen. Im März 2017 hat die slowenische Regierung neue Regeln zum Anbau verbotener Substanzen verabschiedet. Danach ist nach Angaben von Dean Herenda, einem prominenten Befürworter der Legalisierung von Cannabis in Slowenien, der Anbau und die Herstellung von Hanf und Hanfprodukten wie Hanföl, Hanftee und Hanfsamen, de facto verboten.
(as,gw,leafly.com,voq)
(zuerst veröffentlicht am 07.12.2016)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV:
MDR Aktuell | 22.03.2017 | 17:45 Uhr
MDR Aktuell | 03.03.2017 | 21:45 Uhr
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