Südlicher Wartburgkreis Die Ruhe vor dem Wolf? Rhön-Schäfer und Tierhalter in Sorge

13. Februar 2021, 12:11 Uhr

Der südliche Wartburgkreis scheint eine gute Gegend für Wildtiere zu sein: Laut Umweltministerium sind im Verlauf des vergangenen Jahres gleich zwei Wölfe dort "standorttreu" geworden, und zwar bei Dermbach und Tiefenort. Bisher hat es in der Region nur wenige Angriffe auf Nutztiere gegeben, doch einige Schafhalter sind beunruhigt. Mehrere Betriebe hatten sich bereits vom Land höhere Zäune fördern lassen. Die typische Weideform in der Rhön macht den Herdenschutz aber nicht ganz einfach.

Autorenbild Ruth Breer
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

Zwei neue Wolfsterritorien in Thüringen - darüber hatte das Umweltministerium in den vergangenen beiden Wochen kurz hintereinander berichtet. Eines davon liegt bei Bad Salzungen (Tiefenort), das andere bei Dermbach (Zella/Rhön). Dort ist jeweils eine Wolfsfähe standorttreu, also sesshaft geworden. Die Tiere konnten über einen Zeitraum von zehn und zwölf Monaten genetisch nachgewiesen werden, zum Beispiel an gerissenem Wild. "Wir freuen uns riesig", sagt der Wolfsfachmann des Naturschutzbundes (Nabu), Silvester Tamás.

Wolf in der Rhön? "Der hat hier nichts zu suchen"

Eher an einen frühen Aprilscherz dachte der Dermbacher Bürgermeister Thomas Hugk (CDU) bei der Nachricht. "Ich konnte das nicht ganz glauben. Dass hier ein Wolf durchstreifen könnte, kann ich mir schon vorstellen. Aber nicht, dass er sesshaft ist." Dann könnte es Probleme geben, fürchtet er. Und die Dermbacher? Die einen sorgen sich. Es müsse etwas unternommen werden, meint eine ältere Dame. "Da kann man sich nicht mehr frei bewegen, man weiß ja nicht, wo er ist."

Eine andere erzählt, ihr Mann stamme aus Bautzen. Dort kämen Wölfe sogar nah an Bushaltestellen heran. Früher sei der Wolf sicher in der Rhön heimisch gewesen. "Aber bei der starken Besiedlung heute hat er hier nichts zu suchen." Andere dagegen freuen sich über die Nachricht. "Mir gefällt’s, wenn er da ist", sagt eine Frau. Und ein älterer Mann meint, das sei doch "normal". Furcht habe er keine, der Wolf sei doch sehr scheu. Allerdings: Die Schäfer hätten jetzt sicher Probleme, sagt er, wenn die Wölfe mal ein Schaf rissen. "Aber ansonsten macht der Wolf nichts kaputt."

Bisher wenige Risse bei Nutztieren

Tatsächlich gibt es im südlichen Wartburgkreis bisher sehr wenige Risse an Nutztieren, die nachweislich auf Wölfe zurückgehen. Im Oktober 2019 tötete ein Wolf bei Deicheroda zwei Schafe. Vor einem Jahr wurden bei Weilar drei Schafe verletzt. Mehr findet sich nicht in der Statistik des Umweltministeriums. Keine Risse, keine Sichtung heißt es auch von mehreren Betrieben in der Region, die Schafe halten. Jäger hätten schon mal ein Tier gesehen. Ansonsten halten sich die beiden Wölfinnen offenbar gut verborgen.

Schäfer Dieter Kästner aus Sünna hat schon mehr wahrgenommen. Um die Zeit des Vorfalls in Deicheroda, meint er, müsse ein Wolf auch um seine Herde herumgeschlichen sein. Die Schafe seien in Panik geraten, einige dabei erdrückt worden. Er ist seit mehr als 40 Jahren Schäfer, stammt aus Wechmar und kennt seine Kollegen in der Region Ohrdruf. Selbstverständlich mache er sich Sorgen, sagt er, "weil ich schon von vielen Schäfern gehört habe, was die Wölfin in Ohrdruf für Unheil anrichtet." Inzwischen hat er häufiger draußen bei der Herde übernachtet. Sicherheitshalber.

Mehr Aufwand für den Schäfer

Auch seine Chefin Diana Sell, Geschäftsführerin der Landschaftspflege Sünna GmbH, ist beunruhigt. 600 Mutterschafe hat der Betrieb. Bisher hat sie keine höheren Schutzzäune beantragt. Die seien recht schwer, das Gelände mitunter steil, sagt sie. Da der Schäfer mit der Herde von Ort zu Ort zieht und viele Splitterflächen abweiden lässt, muss der Pferch für die Nacht immer wieder neu aufgebaut werden. Für den Schäfer wären die höheren Zäune eine zusätzliche körperliche Belastung, sagt Diana Sell. Aber wenn es Risse geben sollte, werde sie die Zäune beantragen. Auch von Herdenschutzhunden, die das Land fördert, hat der Betrieb vorerst Abstand genommen. Anders als auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf lägen die Weiden in der Rhön sehr ortsnah, sagt die Geschäftsführerin. Spaziergänger, Radfahrer, Hundebesitzer direkt an der Weide mit den scharfen Hunden - das sei nicht ungefährlich.

Schlaflose Nächte aus Angst um die Schafherde

Auch wenn derzeit offenbar vor allem Wildtiere auf dem Speiseplan der Wölfe stehen: die Sorge der Schafhalter gilt der möglichen Familiengründung. Gibt es erst Jungtiere, könnte die Fähe versuchen, mit möglichst wenig Aufwand an viel Nahrung zu kommen. Dann wären vielleicht Nutztiere die erste Wahl. Das befürchtet auch Thomas Lückert aus Pferdsdorf. Er ist wie Kästner schon mehr als 40 Jahren Schäfer, hält mehr als 700 Tiere in seinem Betrieb. Das Bild, dass seine Schafe gerissen werden könnten, habe ihm schon schlaflose Nächte bereitet, erzählt er. Allein die Nähe des Wolfs versetze die Tiere in Panik, mache sie "psychisch krank".

Jagd auf mögliche "Problemwölfe" gefordert

Regelrecht wütend wird Lückert, wenn es um die vom Land angebotenen Schutzmaßnahmen geht. Zäune und Schutzhunde? Höhere Netze würden die Wölfin nicht interessieren, wenn sie Hunger oder Nachwuchs habe, das habe man ja in Ohrdruf gesehen, sagt der Schäfer. Und Herdenschutzhunde würden sich nicht mit seinen Hütehunden vertragen. Solche Hilfe brauche er nicht, er fühle sich verschaukelt. Aber gerne dürften "Gutmenschen nachts um den Schafpferch patrouillieren", um den Wolf fern zu halten, sagt Lückert. Und meint: "Wer an Nutztiere geht, muss bejagt werden." Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Auch Diana Sell und Dieter Kästner finden: Problemwölfe sollten entnommen werden.

Schafbestand verringern - zum Nachteil der Landschaftspflege?

Wenn das nicht passiert, sehen sie den Bestand der Schafhaltung in der Rhön gefährdet. Wirtschaftlich sei es ohnehin schwierig. Kommen große Schäden und höherer Aufwand durch den Wolf dazu, dann überlegten Kollegen schon, ihre Schafe komplett abzuschaffen, berichtet Dieter Kästner. Auch Thomas Lückert meint, in dem Fall er würde seinen Bestand rapide verringern. "Vielleicht hält dann der Wolf die Flächen sauber", sagt er sarkastisch. Denn für die Landschaftspflege in der Rhön braucht es die Schafe.

Schlechte wirtschaftliche Lage wichtiger als der Wolf

Für Thomas Fischer von der Agrargenossenschaft Rhönperle in Bremen bei Geisa ist derzeit die schlechte wirtschaftliche Situation das deutlich wichtigere Thema als der Wolf. Der sei nicht akut - anders als die katastrophalen Preise für die Landwirtschaft. Seine vier Herden mit jeweils 400 Muttertieren will der Betrieb ohnehin verringern. Die Landschaftspflege würden sie auch mit zwei Herden schaffen, sagt Fischer. Und der Wolf? "Erstmal abwarten."

Ähnlich sieht das auch Mario Funke von der Rhönland e.G. in Dermbach. Man habe "offene Ohren, aber keine Panik". Für die 350 Mutterschaft hat das Unternehmen bereits aufgerüstet und die höheren Zäune mit größerer Stromstärke angeschafft, zu 100 Prozent vom Land gefördert.

Nach Angaben des Umweltministeriums haben das auch schon Unternehmen und Nebenerwerbslandwirte in einigen anderen Orten getan: in Vacha, Buttlar, Geisa, Bad Salzungen, Leimbach, Urnshausen und Pferdsdorf. Förderung gab es in den vergangenen drei Jahren für 16 Betriebe und neun weitere Personen im Wartburgkreis. Präventionsmaßnahmen, heißt das in Behördendeutsch. Vorbeugen für den Ernstfall.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 13. Februar 2021 | 18:10 Uhr

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