Forschungsprojekt Deutlich mehr als gedacht: Vermutlich 7.000 Zwangsarbeiter in Kali-Region an der Werra
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25. Januar 2025, 14:57 Uhr
Ein neues Forschungsprojekt soll Lücken in der regionalen Geschichtsschreibung füllen: Es geht um Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus im hessisch-thüringischen Kalirevier an der Werra. Nach den ersten Ergebnissen wurden deutlich mehr Menschen zur Arbeit in der Kali- und Rüstungsindustrie gezwungen als erwartet. Überall in der Region gab es Lager, in denen Zwangsarbeiter untergebracht waren. Entstehen soll eine Wanderausstellung, die Leid und Ausbeutung dokumentieren soll.
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Abteroda - ein kleiner abgelegener Ort im Wartburgkreis an der Landesgrenze zu Hessen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dort Kali gefördert. Später nutzte die Wehrmacht den stillgelegten Schacht als Munitionsdepot. 1944 verlagerte BMW die Produktion von Flugzeugmotoren aus Eisenach dorthin.
Die Arbeitskräfte waren Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge aus Buchenwald. Reste ihrer Baracken sind noch zu erkennen, ein Mahnmal erinnert seit dem Jahr 2020 an das KZ-Außenlager Abteroda.
Wir sind überrollt worden.
An diesem Ort sind am Freitag die ersten Ergebnisse eines neuen Forschungsprojekts des Werra-Kalibergbau-Museums in Heringen (Hessen) zur Zwangsarbeit in der Kaliregion an der Werra vorgestellt worden. Das Team von Historiker Maximilian Kutzner hat bereits acht Archive in Hessen, Thüringen und Berlin nach Quellen durchsucht und fand deutlich mehr als erwartet. "Wir sind überrollt worden", sagt Kutzner. Ob Wehrmacht, Unternehmen, staatliche Stellen: Vieles war noch vorhanden, ob Bauzeichnungen oder Wirtschaftskorrespondenz.
Vermutlich rund 7.000 Zwangsarbeiter
Das Material wurde digitalisiert und gesammelt. Vollständig ausgewertet ist es noch nicht. Erste Schneisen seien geschlagen, sagt Kutzner. Nach seinen Schätzungen gab es während des Zweiten Weltkriegs in der Region vermutlich rund 7.000 Zwangsarbeiter und damit deutlich mehr als zuvor angenommen. In Hochzeiten stellten sie in den Kaliwerken die Hälfte der Belegschaft. Im Abbau untertage wurden sie eher selten eingesetzt, meist übertage in den Fabriken.
Außerdem gab es - wie in Abteroda - auch andernorts im Werratal stillgelegte Schächte, die für die Rüstungsproduktion genutzt wurden. Aus Kostengründen sei später mehr Übertage gearbeitet worden, sagt Kutzner, der Transport der Arbeiter nach Untertage sei zeitaufwändig und teuer gewesen. Insgesamt haben die Historiker allein in einem Umkreis von zehn Kilometern um Heringen 30 Lager von Zwangsarbeitern nachweisen können. Keineswegs versteckt im Wald, manche sogar mitten in Ortschaften.
Viele Fluchten und hohe Fluktuation
Die verschiedenen Gruppen von Zwangsarbeitern seien sehr abgestuft behandelt worden, sagt Kutzner. Maßgeblich sei die NS-Rassenideologie gewesen. Es gab Kriegsgefangene, sogenannte zivile Ostarbeiter und KZ-Häftlinge. Für letztere "können die Lebensbedingungen als besonders dramatisch und schlecht bezeichnet werden." Es soll viele Fluchten gegeben haben, eine hohe Fluktuation. Die Unternehmen hätten um die Arbeitskräfte konkurriert.
Die Geschichtsmanufaktur Kutzner hat noch weitere Archive auf ihrer Liste. Außerdem wollen die Historiker In den nächsten Monaten die Orte der ehemaligen Lager aufsuchen und noch auffindbare Spuren, Relikte und Strukturen sichten - beispielsweise mit Hilfe von Drohnen. Anschließend wird das Material ausgewertet und aufbereitet.
Daraus soll eine Ausstellung für das Werra-Kalibergbau-Museum werden, eine Wanderausstellung, sagt Museumsleiter Arndt Macheledt, die auch in Schulen und von Bildungseinrichtungen gezeigt werden soll. Ziel sei, Licht in das dunkle Thema zu bringen, Lücken zu füllen. "Uns ist es auch wichtig, die Erinnerung aufrecht zu erhalten an das Unrecht, was hier geschehen ist, und an das Zwangsarbeitssystem hier im Werratal."
Die Gesellschaft muss wissen, was in der Region passiert ist.
Unternehmen gibt finanziellen Anschub für Forschungsprojekt
Der finanzielle Anschub für das Forschungsprojekt kam von der Wintershall Dea AG, die einst im Werratal Kalibergbau betrieben hat. Das Unternehmen habe 2018 begonnen, seine Geschichte in der NS-Zeit untersuchen zu lassen, erzählt Friedrike Steensen vom Vorstand der Wintershall Dea Stiftung. Das Thema Zwangsarbeit im Werrarevier sei dabei aus zeitlichen Gründen zu kurz gekommen. Weil das Unternehmen verkauft wurde und demnächst abgewickelt wird, unterstützt die Stiftung das Forschungsprojekt des Förderkreises des Museums mit 12.500 Euro. "Die Gesellschaft muss wissen, was in der Region passiert ist, es ist unsere Verantwortung als Unternehmen, uns dem zu stellen", so Steensen.
Unterstützt wird das Vorhaben auch vom Kaliunternehmen K+S, das heute die Bergbau-Standorte in Hessen und Thüringen an der Werra betreibt. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende André Bahn war nach Abteroda gekommen und sagte, das unendliche Leid der Zwangsarbeiter sei ein mahnendes Beispiel dafür, wohin Ausgrenzung führen könne. Als Rechtsnachfolger sei auch das Unternehmen K+S in der Verantwortung.
Rädchen im Holocaust
Das Ausmaß der Zwangsarbeit in Werrarevier sei schon besonders, sagt Historiker Maximilian Kutzner. Er hebt die hohe Dichte der Standorte und Lager hervor, die Besonderheit der Untertageproduktion, auch die zentrale Lage mitten in Deutschland mit einer guten Verkehrsanbindung. All das werde die Ausstellung zeigen, die im Frühjahr 2026 im Museum in Heringen eröffnet werden soll, sagt Kutzner: was Zwangsarbeit war, wie sie funktioniert hat - und "welches Rädchen im Holocaust die Region hier gespielt hat."
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit | 25. Januar 2025 | 18:00 Uhr
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