Waldumbau Die Sorgen der kleinen Waldbesitzer
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30. April 2022, 16:30 Uhr
330 Millionen Bäume wachsen in Thüringen, die Fläche des Freistaats besteht zu 34 Prozent aus Wald. Rund 40 Prozent der Wälder gehören privaten Waldbesitzern. MDR THÜRINGEN hat einen von ihnen getroffen und mit ihm über den Zustand der Wälder, über die Probleme der kleinen Waldbesitzer und über die Zukunft gesprochen.
An diesem Tag Ende April ist strahlend schönes Wetter. Im Wald nahe Mechterstädt bei Gotha duftet es frisch, die Vögel singen, die Insekten summen. Ab und zu klopft ein Specht. Jörg Göring, Präsident des Waldbesitzerverbandes für Thüringen, fährt jeden Tag in diesen Wald. Er ist dort Förster wie schon sein Vater und sein Großvater vor ihm. Die gute Luft, die Ruhe, das fröhliche Gezwitscher scheint er nicht zu bemerken. Man sieht ihm an, dass er Sorgen hat.
Wenn Sie für so etwas verantwortlich sind, schlafen Sie sehr unruhig.
Auch wenn sein Gesicht wettergegerbt ist und seine Statur athletisch, wirkt Jörg Göring erschöpft. Seine Stimme klingt resigniert, als er auf einen Haufen großer umgestürzter Fichten zeigt und sagt: "Wenn Sie für so etwas verantwortlich sind, schlafen Sie sehr unruhig." Für so etwas - damit meint er den Wald und seine Gesundheit. Freilich ist es nicht seine Schuld, dass es dem Wald nicht gut geht. Aber er muss einen Umgang mit dem Problem finden.
Der Förster erzählt, wie 2018 alles mit einem Wintersturm begann. "Dann kamen 2019 und 2020 die Borkenkäfer und die Trockenheit." Und dann - das Borkenkäferproblem war seit November des vorigen Jahres endlich "ziemlich aufgearbeitet", wie Jörg Göring sagt - tobte im Februar der nächste Sturm und brachte den nächsten Baumbruch.
Die Ohnmacht der kleinen Waldbesitzer
"Jetzt haben wir hier neues Holz liegen." Holz, das so schnell wie möglich raus muss aus dem Wald, bevor die Borkenkäfer kommen. "Es gibt eine Ohnmacht bei den kleinen Waldbesitzern", sagt er. "Sie haben nur drei Möglichkeiten. Erstens: Entweder machen sie alles selbst, aber das kann lebensgefährlich sein, oder sie holen sich ein Unternehmen. Das kostet. Zweitens: Sie schließen sich mit anderen zusammen und helfen sich gegenseitig. Drittens: Sie fragen Thüringenforst, ob sie das machen, auf Rechnung des Waldbesitzers."
Jörg Göring ist Vorsitzender einer Waldgemeinschaft mit rund 100 Mitgliedern aus Mechterstädt. Sie kümmern sich um 265 Hektar Waldfläche. "Wir arbeiten mit regionalen Forstbetrieben zusammen. Aber die sind auch an der Leistungsgrenze." Zudem: Die Plätze, auf denen die Stämme abgelegt und gestapelt werden können, seien voll, die Sägewerke ausgelastet. "Das ist eine Endlosschleife, die sich wieder in den Sommer hineinzieht."
Einnahmequelle Holz
"Der Holzverkauf ist die einzige Einnahmequelle, die wir haben. Wenn das Holz nichts wert ist, so wie in den letzten beiden Jahren …" Jörg Göring lässt das Satzende offen. 2020 brachte ein Festmeter Fichte nur 25 Euro ein. 23 Euro koste allein der Schnitt. Und das sei noch das gute Holz gewesen, das Sägeholz. Das kaputte Holz, Industrieholz genannt, hätten sie teilweise für nur 1,50 Euro pro Raummeter verkauft, "damit es wegkam, damit der Wald sauber wird."
Die Kosten bleiben.
Inzwischen hätten sich die Holzpreise etwas stabilisiert, Buchen und Eichen seien gefragt. Aber das betreffe natürlich nur das gute Holz, nicht das Schadholz. Außerdem: "Es gibt in Thüringen Waldbesitzer, die haben nichts mehr. Das waren reine Fichtenbetriebe. Da ist schon alles weg. Aber die Kosten bleiben."
Wiederaufforstung
Die Kosten, das sind: Die Grundsteuer, die Ausgaben für die Berufsgenossenschaft und vor allem die Wiederaufforstung. "Per Gesetz sind Waldbesitzer verpflichtet, auf leeren Flächen wieder Wald zu pflanzen." Ein Hektar Wiederbewaldung koste 14.000 Euro. "Sie müssen die Pflanzen kaufen, Sie müssen die Zäune bauen, Pfähle setzen und Sie brauchen Leute, die pflanzen. In den nächsten Jahren ist da nichts zu holen, gar nichts. Wie soll ein Waldbesitzer, der nichts mehr hat, die Kosten stemmen?"
Aus dem Thüringer Waldgesetz: § 23 Wiederaufforstung
(1) Kahlgeschlagene oder infolge Schadenseintritt unbestockte Waldflächen oder stark verlichtete Waldbestände (mit weniger als 40 vom Hundert des standörtlich möglichen Holzvorrats bestockte Waldflächen) sind innerhalb von sechs Jahren wieder aufzuforsten. Die Wiederaufforstung ist mit standortgerechten Baumarten, die die Erreichung der für die betreffende Fläche vorgeschriebenen Bestandeszieltypen gewährleisten, vorzunehmen. Bei Naturverjüngung mit einer standort- und klimafolgengerechten Baumartenzusammensetzung ist innerhalb der sechs Jahre keine Wiederaufforstung nötig. Schalenwild im Umfeld von Kalamitätsflächen ist wirksam zu reduzieren.
(2) Die Pflicht zur Wiederaufforstung beinhaltet auch, Verjüngungen innerhalb von sechs Jahren flächendeckend mit der für eine künstlich anzulegende Kultur geforderten baumartenbezogenen Pflanzenzahl zu ergänzen.
(3) Die Kulturen und Verjüngungen sind rechtzeitig und sachgemäß nachzubessern oder zu ergänzen, zu schützen und zu pflegen.
(4) In besonderen Fällen ist auf Antrag des Waldbesitzers eine Verlängerung der in Absatz 1 genannten Frist durch die untere Forstbehörde möglich, soweit waldbauliche Erwägungen dies rechtfertigen.
Deshalb fordern die Waldbesitzer von der Politik eine Flächenprämie wie in der Landwirtschaft. "Wir drängen darauf, dass das System geändert wird." Es gebe zwar ein Fördersystem in Thüringen, doch das sei "schwierig". "Bis diese behördliche Schleife durch ist, kriegt man keine Pflanzen mehr, da braucht man nicht mehr anzufangen." Maßnahmen müssten vorfinanziert werden und wenn der Geldtopf leer sei, erhalte man keine Förderung.
Landesförderprogramm eingestellt
Tatsächlich sagte Forstministerin Susanna Karawanskij (Linke) auf der Mitgliederversammlung der privaten Waldbesitzer vergangenen Herbst in Ohrdruf, im Haushalt für 2022 sei ein Klimaschutzprogramm für den Wald nicht mehr eingeplant. Allerdings wolle der Bund noch in diesem Jahr ein Förderprogramm zur "Honorierung von Ökosystemleistungen der Wälder" auf den Weg bringen, wie es in einer Pressemitteilung des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft heißt.
Bei uns ist alles wichtig. Nur der Wald spielt keine Rolle.
"Der Wald ist offen für alle, aber keiner will etwas geben. Deshalb ist die Politik dafür verantwortlich, das zu organisieren." Jörg Göring geht ein paar Schritte, dann sagt er: "Bei uns ist alles wichtig. Nur der Wald spielt keine Rolle." Er spricht ruhig, da ist kein Zorn, keine Wut. Nur Resignation.
Löcher im Wald
Heute fährt der Waldbesitzer mehrere Stellen ab, er will das Ausmaß der Schäden zeigen. "Das ist ein riesiger ökologischer und ökonomischer Schaden." Überall liegen Bäume und Äste, die der Sturm umgerissen hat. "Es gibt keine Stelle im Wald ohne Schaden." Allerorts gibt es Kahlflächen. "So sieht es aus, wenn wir da waren. Da ist nichts mehr." Die Löcher im Wald seien durch die Käfer entstanden und böten dem Wind Angriffsfläche. Die Bäume, die den Wind nicht gewohnt seien, knickten einfach um. "Das muss jetzt alles aufgeforstet werden." Es so zu lassen, wie es ist, gehe nicht. Schon allein, weil Waldbesitzer dazu verpflichtet sind, neuen Wald zu pflanzen. Zudem: "Wir haben eine Wirtschaft", sagt Göring.
An den Stellen, auf denen schon neue Bäume wachsen, ragen gelbe Stäbe und mit blaugrünem Kunststoff umhüllte Pfähle aus der Erde. "Ich denke, wir werden in den nächsten fünf bis sechs Jahren noch aufforsten." Das hieße auch: Weg von der Fichte, hin zu anderen Baumarten. "Eiche, Tanne, Lärche, Douglasie. Wir probieren aus." Welche Baumarten sich als tatsächlich resistent gegen die Trockenheit erwiesen, könne man noch nicht sagen.
Es sind deprimierende Aussichten.
"Wir haben bei allen Baumarten, die wir in Deutschland haben, Probleme. Für jede Baumart gibt es ein Schadinsekt." Bei den Eichen sei es der Eichenprozessionsspinner, bei den Eschen ein Pilz, der die Eschentriebe absterben lasse. Zudem gebe es ein Wildproblem. Durch die neue Bewachsung hätte vor allem das Rehwild "wunderbare Lebensräume. Sie können auf Teufel komm raus nicht alles einzäunen." Dass die Jagd da helfe, bezweifelt Göring, der selbst auch Jäger ist. "Es sind deprimierende Aussichten. Wie soll ich da Optimismus verkünden?"
Anfeindungen aus der Bevölkerung
Und da ist noch ein anderes Problem. Eines, das verletzt. "Es gibt aus der Bevölkerung massive Anfeindungen gegen uns und die Forstarbeiter." Jörg Göring zeigt auf Wege, in die die großen Holzvollernter, die Harvester, tiefe Furchen gefahren haben. "Das bringt die Menschen auf die Palme. Sie ärgern sich darüber, wie es hier aussieht. Wir sehen das Drama auch, aber wir können es nicht ändern. Ich muss mich selber jeden Tag motivieren, wenn ich hier rausgehe." Seine Beziehung zum Wald sei "eine tief emotionale Geschichte", sagt Göring. "Kein Waldbesitzer hätte jemals so einen Kahlschlag gemacht wie wir ihn jetzt sehen. Das tut sehr weh."
Wenn er sich für die nächsten Monate etwas wünschen könnte, dann wäre das Regen. "Von mir aus kann es auch zwei, drei Tage schön sein, aber wir brauchen Regen." Und im Mai könnten die Temperaturen so bleiben wie jetzt, sagt Göring. "Nicht über 15 Grad, das ist gut gegen die Käfer."
Jetzt ist genug.
Von der Politik scheint er nichts mehr zu erwarten. "Ich habe so viele Landes- und Bundesregierungen kommen und gehen sehen. Es hat sich nichts geändert." Seit 32 Jahren bewirtschaftet Jörg Göring den Wald, seit 22 Jahren ist er Chef des Waldbesitzerverbandes. "Jetzt ist genug", sagt der 62-Jährige. "Der Betrieb muss sich weiterbewegen, die Kosten sind immens, die Menpower ist immens." Das sei eine Aufgabe für einen 30-Jährigen.
Was sind denn 40 Jahre im Wald? Nichts.
Der Wald hat seinen eigenen Rhythmus. Bäume wachsen langsam. Was jetzt gepflanzt wird, braucht Jahrzehnte, um richtig groß zu werden. "Was sind denn 40 Jahre im Wald? Nichts", sagt der Förster. "Ob das, was wir heute machen, richtig ist, beweist sich in 100 Jahren. Wir sehen es nicht mehr und die Nachfolgenden werden uns richten."
Er findet es unfair, die früheren Generationen dafür zu kritisieren, wie sie mit dem Wald umgegangen seien. Die Zeiten, das Wissen, waren anders. 1842 sei hier Laubholz "in großem Stil weggekommen und Nadelbäume gepflanzt worden, weil das Holz gebraucht wurde". Und nun "machen wir eine Rolle rückwärts", sagt Göring. "Wir machen jetzt das weg, was mein Vater und mein Großvater aufgebaut haben."
Ein anderer Wald als jetzt
Am Ende bleibt nur, darauf zu vertrauen, dass die neuen Bäume anwachsen, gesund bleiben und ein neuer Wald entsteht. "Es wird Wald werden, aber ein anderer Wald als jetzt", sagt der Förster. Und dann zitiert er seinen Großvater: "Derjenige, der einen Baum pflanzt, obwohl er weiß, dass er nicht in seinem Schatten sitzen wird, hat das Leben begriffen." Jörg Göring aus Mechterstädt hat sehr viele Bäume gepflanzt.
MDR (caf)
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