Parteien "Wir werden langsam wachsen": Das Bündnis Sahra Wagenknecht in Thüringen
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26. Januar 2024, 05:00 Uhr
Das Bündnis Sahra Wagenknecht trifft sich am Samstag zum Bundesparteitag. Danach sollen sukzessive die Landesverbände aufgebaut werden. Wie kommt der Aufbau in Thüringen voran und wer ist dabei?
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Dirk Warschkow aus Schmölln ist kurz nach seinem 30. Geburtstag in die SPD eingetreten. Für die Sozialdemokraten hat er, damals noch in Sachsen, sogar für den Bundestag kandidiert. Doch jetzt, mit 55, hat sich Warschkow für eine neue Partei beworben: Er möchte Mitglied im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) werden. Damit ist er, wie Sahra Wagenknecht der "Thüringer Allgemeinen" in einem Interview sagte, einer von Hunderten allein aus Thüringen. Warschkow ist in Aufbruchstimmung und erzählt MDR THÜRINGEN, dass er nun endlich wieder eine Option habe, die er wählen und wo er selbst mittun könne.
Doch noch ist er kein Parteimitglied. Noch gibt es weder einen BSW-Landesverband noch Orts- und Kreisverbände in Thüringen. "Das läuft bei uns von oben nach unten", sagt Warschkow, der Sprecher der Unterstützergruppe Gotha des BSW ist. Zuerst stehe der Bundesverband. Bis zum Gründungsparteitag am 27. Januar sollten laut Sahra Wagenknecht bundesweit etwa 450 Leute aufgenommen werden. Nur etwa 23 von ihnen kommen aus Thüringen.
Landeskoordinatoren in Thüringen
Einer von ihnen ist Thomas Schmid aus Erfurt. Der Unternehmer war unter anderem Sprecher der Krankenkasse Barmer und die letzten zehn Jahre Veranstalter des "Neuen Weimarer Salons". Jetzt ist das ehemalige SPD-Mitglied neben der ehemaligen Linke-Bundestagsabgeordneten Sigrid Hupach aus Leinefelde-Worbis designierter Landeskoordinator des BSW und damit für den Aufbau des Bündnisses in Thüringen zuständig. "Wir kümmern uns um die neuen Mitglieder", sagt er.
Wir werden die Menschen, mit denen wir in Zukunft zusammenarbeiten, kennenlernen, wir werden mit jedem reden, wir werden wirklich darauf achten, dass sie mit uns auf einer Wellenlänge sind.
Dass es trotz der Menge an Anträgen erst 23 Mitglieder der neuen Partei gibt, sei so gewollt. "Das ist ja das, was Sahra Wagenknecht immer gesagt hat, dass wir langsam wachsen werden", sagt Schmid. "Wir werden die Menschen, mit denen wir in Zukunft zusammenarbeiten, kennenlernen, wir werden mit jedem reden, wir werden wirklich darauf achten, dass sie mit uns auf einer Wellenlänge sind."
Langsames Wachsen
Schmid versichert, vor allem werde man aufpassen, dass man keine "Glücksritter und Parteihopper" aufnehme. "Wir werden auch die Extremen nicht wollen und ganz klar natürlich keine Rechten." So bleibt Dirk Warschkow nichts weiter übrig als abzuwarten, ob sein Antrag auf Mitgliedschaft angenommen wird. Immerhin: Das Prozedere habe für ihn eine gewisse Logik, sagt er.
Diese strenge Kontrolle, die fast elitär anmutet, das "Rosinenpicken", stößt nicht überall in der politischen Landschaft auf Verständnis. So sagte etwa Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke): "Die Vorgehensweise der Mitgliederaufnahme finde ich befremdlich."
Kommunalwahl am 26. Mai 2024
Der langsame Aufbau könnte unter anderem die Teilnahme der neuen Partei an den Thüringer Kommunalwahlen erschweren. Immerhin werden schon am 26. Mai die Mitglieder der Kommunalparlamente sowie Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte gewählt. Laut Thomas Schmid wird das BSW aber auf jeden Fall bei den Kommunalwahlen antreten, und zwar dort, "wo es Sinn macht". Zuerst braucht die Partei die Mitglieder und Strukturen dafür. Die Listen für die Kommunalwahlen sollen von Parteimitgliedern angeführt werden. Sie könnten aber um parteilose Kandidaten erweitert werden.
Die wohl prominenteste BSWlerin in Thüringen ist derzeit Katja Wolf, seit 2012 Oberbürgermeisterin von Eisenach. Zwar ist die 47-Jährige noch bei der Linken, bei der sie seit ihrem 16. Lebensjahr Mitglied ist. Der Austritt aus der Partei sei "kein einfacher Schritt", sagte Wolf MDR THÜRINGEN. Im Moment sei sie noch in der Phase des Trennungsschmerzes. "Ich weiß, dass ich natürlich perspektivisch aus der Linken austreten werde." Denn rein formal sei klar, dass sie nicht "auf zwei Hochzeiten" tanzen könne.
Auch der ehemalige Linke-Bürgermeister von Hildburghausen, Tilo Kummer, will zum Bündnis Sahra Wagenknecht wechseln. Kummer sagte am Donnerstag, er habe seiner Partei seinen geplanten Austritt bereits mitgeteilt. Er wolle sich stattdessen in dem neuen Bündnis engagieren und dort auch am Programm mitwirken. Kummer saß von 1999 bis 2019 für die Linke im Thüringer Landtag und war von 2020 bis zu seiner Abwahl 2023 Bürgermeister von Hildburghausen.
Wer ist noch beim BSW Thüringen?
Wagenknecht selbst sagte der "Thüringer Allgemeinen", es gebe in Thüringen "ein überzeugendes Team" für die Partei. Dazu gehörten neben Wolf auch der Medien-Unternehmer Steffen Schütz aus Eisenach und Matthias Herzog, der in Erfurt die Geschäfte des dortigen Profi-Basketballclubs führt.
Inzwischen sind weitere Namen bekannt: Die ehemaligen Linkenpolitikerinnen und -politiker Anke Wirsing aus Bad Salzungen, Anja Tischendorf aus Zeulenroda, Mario Forchhammer aus dem Landkreis Greiz, Vera Fitzke aus Gotha und Stefan Wogawa aus Blankenhain sind dem Bündnis beigetreten. Auch Rüdiger Schmidt-Grépály, der ehemalige Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar, und der selbstständige Tischlermeister Jens Zöllner aus Gebesee sind dabei.
Noch kein Termin für die Gründung des Landesverbandes
Wann der BSW-Landesverband Thüringen gegründet wird, steht noch nicht fest. Nach Auskunft der Zentrale in Berlin ist als Termin der Februar oder März angepeilt. Thomas Schmid nennt als Zeitpunkt der Gründung vage das Frühjahr.
Unterstützertreffen Anfang Februar
Zum jetzigen Zeitpunkt lebt das BSW in Thüringen vor allem in regionalen Unterstützergruppen und Vereinen. Am 3. Februar, eine Woche nach dem Bundesparteitag des BSW, treffen sie sich in Gotha. Das habe aber mit der Partei erstmal nichts zu tun, betont Dirk Warschkow.
Immerhin kenne man bis dahin "Ansprechpartner mit Namen, Anschrift und Telefonnummer, die für den Aufbau in Thüringen zuständig sind". Auf diesem Treffen stehe das Thema Kommunalwahl ganz oben. Denn anders als für den Landtag kann man bei den Kommunalwahlen auch als Verein kandidieren.
Solch eine Kandidatur hat zum Beispiel der Sonneberger Jürgen Reiche vor. Der ehemalige Linke ist Vorsitzender des im November vergangenen Jahres gegründeten Bündnisvereins für Gerechtigkeit und Vernunft im Landkreis Sonneberg. Sein Bewerbungsschreiben für die Partei liegt längst in Berlin. Doch Reiche rechnet damit, dass die Bearbeitung dauern kann. "Das geht bewusst sehr langsam und mit Augenmaß vor sich", sagt er. Deshalb wird sein Verein bei den Kommunalwahlen im Landkreis Sonneberg antreten.
Für die Landtagswahl in Thüringen, die am 1. September ansteht, sieht Dirk Warschkow viel Potenzial. "Ich bin davon überzeugt, dass wir genügend Menschen haben, die honorig genug sind, die Mandate auch anzunehmen", sagt er. Auch er selbst könne sich vorstellen, für das BSW zu kandidieren. Wie hoch die Chancen des Bündnisses Sahra Wagenknecht stehen, in den Landtag einzuziehen, weiß allerdings niemand.
Unterschiedliche Umfragewerte
Umfragen haben zuletzt sehr unterschiedliche Werte für BSW ergeben. Der Sachsentrend von Infratest Dimap für den MDR sieht die Partei bei acht Prozent und damit als drittstärkste Kraft hinter AfD und CDU. Eine Insa-Umfrage für die Thüringer Funke-Zeitungen kommt auf 17 Prozent für BSW in Thüringen. Eine Forsa-Umfrage für RTL/ntv sah das BSW zuletzt unter drei Prozent bundesweit, eine vorherige zur Landtagswahl in Thüringen nur bei vier Prozent.
Bei vielen habe ich das Gefühl, sie haben regelrecht darauf gewartet, dass sich endlich eine neue Partei bildet, die dieses Politikangebot macht.
Vier Prozent - damit würde BSW den Einzug in den Thüringer Landtag verfehlen. Doch damit rechnet eher keiner der Unterstützer und Mitglieder in Thüringen. Im Gegenteil: Die Resonanz, die er bisher bekommen habe, sei durchweg positiv, erzählt etwa Thomas Schmid. "Bei vielen habe ich das Gefühl, sie haben regelrecht darauf gewartet, dass sich endlich eine neue Partei bildet, die dieses Politikangebot macht." Ob und wie sich das in den Wählerstimmen niederschlägt, bleibt abzuwarten.
Bundesparteitag am Samstag in Berlin
Am Bundesparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht am Samstag im "Kosmos" auf der Karl-Marx-Allee in Berlin werden alle Mitglieder, die in diesem Text genannt wurden, teilnehmen. Bis auf Katja Wolf. Sie kann aufgrund eines privaten Termins nicht dabei sein. Laut Thomas Schmid wird auf diesem Parteitag kein Thüringer Parteimitglied für den Bundesvorstand kandidieren. "Wir konzentrieren uns auf den Aufbau in Thüringen", sagte der designierte Landeskoordinator des BSW MDR THÜRINGEN.
Programmtipp: Um Straßenproteste und ihren Einfluss auf die Gesellschaft geht es am Montag bei Fakt ist! aus Erfurt.
MDR (caf)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 27. Januar 2024 | 19:30 Uhr
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