Wie inklusiv ist Demokratie? Vor welchen Herausforderungen Menschen mit Behinderungen im Superwahljahr stehen
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08. Mai 2024, 19:10 Uhr
Im Ilm-Kreis können sich nun auch Menschen mit Behinderung über die anstehenden Wahlen informieren. Beschäftigte der Arnstädter Werkstatt am Kesselbrunn haben eine digitale Broschüre in einfacher Sprache mit Informationen dazu herausgebracht. Der Grund: oftmals sind Wahlprogramme nicht vereinfacht dargestellt. Doch das sind nicht die einzigen Hürden, die es für Menschen mit Behinderung im Superwahljahr gibt.
Der Wahlkampf auf der Straße und im digitalen Raum hat im Superwahljahr 2024 volle Fahrt aufgenommen. Doch was oftmals noch fehlt, sind Informationen und Wahlprogramme in einfacher Sprache für Menschen mit Behinderung. Beschäftigte der Arnstädter Werkstatt am Kesselbrunn im Ilm-Kreis haben deshalb im Rahmen des Projektes "Demokratie inklusiv" eine eigene digitale Broschüre erstellt.
Doch das ist beim Wählen nicht die einzige Hürde für Menschen mit Behinderung: etwa 40 Prozent der Wahllokale in Thüringen sind nicht barrierefrei. Zur Kommunalwahl gibt es zudem keine Wahlschablonen für blinde und sehbehinderte Wählerinnen und Wähler.
Es gibt zwar viele Informationen in einfacher oder leichter Sprache zum Wählen gehen an sich, also wie eine Wahl funktioniert. Aber es gibt wenige Informationen darüber, was die einzelnen Parteien konkret machen und was sie auszeichnet.
Sich selbstbestimmt politisch bilden. Für Menschen, die auf einfache oder leichte Sprache angewiesen sind, ist das im Vorfeld der Kommunal-, Landtags- und Europawahl gar nicht mal so einfach. Das war auch ein Grund, warum das Projekt "Demokratie inklusiv" überhaupt entstanden ist, berichtet Thea Jacob vom Verein "Inklusive Werkstatt für Kultur und Geschichte" (kurz kult-werk inklusiv).
"Es gibt zwar viele Informationen in einfacher oder leichter Sprache zum Wählen gehen an sich, also wie eine Wahl funktioniert. Aber es gibt wenige Informationen darüber, was die einzelnen Parteien konkret machen und was sie auszeichnet. Und auch der Wahl-O-Mat, der existiert nicht in leichter Sprache", sagt die Mitgründerin des Vereins. Die Idee: Ein inklusives Team aus Menschen mit und ohne Behinderung geht selbst auf die Suche nach Antworten im Superwahljahr und verbreitet die Ergebnisse in einfacher Sprache.
Sechs Politiker, neun Fragen und eine Stoppuhr
Mehr als zehn Beschäftigte der Werkstatt am Kesselbrunnen haben an dem Projekt teilgenommen - so wurde ein buntes Team fast jeden Alters und mit unterschiedlichen Behinderungen zusammengewürfelt. In den vergangenen drei Monaten haben sie sich mit insgesamt sechs Politikerinnen und Politikern aus der Region getroffen. Immer mit den folgenden Fragen im Gepäck: Was halten Sie von Inklusion? Was tun Sie für die Barrierefreiheit? Was tun Sie dafür, dass wir in den Werkstätten fair bezahlt werden? Neun Fragen gab es insgesamt, für die es jeweils fünf Minuten Antwortzeit gab. Jede Frage war gleichzeitig auch eine Forderung.
Martin, der seit fast acht Jahren in der Werkstatt am Kesselbrunnen arbeitet, fühlte sich dadurch gehört: "Es waren sehr offene Gespräche, sie sind auf alles eingegangen, was uns betroffen hat oder was wir wissen wollten." Für das Team war es nicht nur eine Möglichkeit, sich selbst die Antworten einzuholen und sich mit Politik zu beschäftigten, sondern sich auch Gehör zu verschaffen. "Wir fühlen uns oft ausgegrenzt und hier haben wir uns zeigen können", zieht eine andere Teilnehmerin als Fazit.
Die Antworten der Politikerinnen und Politiker wurden in den Kernaussagen und in einfacher Sprache in eine digitale Broschüre gepackt - mit vielen Bildern und Audios zum Anhören. Gleichzeitig ruft das Team mit der Broschüre aber auch Menschen mit Behinderung zum Wählen auf und informiert, wo es weitere barrierefreie Inhalte rund um das Thema Wahlen gibt.
60 Prozent der Wahllokale sind barrierefrei
Knapp 60 Prozent der Wahllokale in Thüringen sind zu den anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen barrierefrei zugänglich. Laut dem Landeswahlleiter sind derzeit etwa 1.800 barrierefreie Wahllokale gemeldet. Zur Europawahl 2019 waren es noch rund 52 Prozent.
Da muss ich meinen blinden Kollegen und Mitstreitern empfehlen: macht Briefwahl.
Für Joachim Leibiger, dem Thüringer Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung (TLMB), ist das immer noch nicht ausreichend. Der Ausbau der Barrierefreiheit gehe nur schleppend voran und hinsichtlich der Wahllokale gebe es kaum eine Verbesserung. Es fehlt demnach vor allem an stufenlos befahr- oder begehbaren Räumen, Rampen oder Markierungen an den Treppenstufen.
Kommunalwahl ist nicht inklusiv
Leibiger merkt zudem an, dass es für blinde und sehbehinderte Wählerinnen und Wähler bei den Kommunalwahlen keine Stimmzettelschablonen gibt. "Das ist für mich halbherzig, für die Europawahl gibt es eine Schablone. Da muss ich meinen blinden Kollegen und Mitstreitern empfehlen: macht Briefwahl", sagt Leibiger.
Zudem gibt es die Möglichkeit, einen Menschen seines Vertrauens mit in die Wahlkabine zu nehmen. Doch sei es auch schon in der Vergangenheit vorgekommen, dass es Probleme mit dem Zugang für Assistenzpersonen und Assistenzhunde gab.
MDR (wdy/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 07. Mai 2024 | 19:00 Uhr
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