Meiningen Ukrainische Theatermacherin fängt in Thüringen ganz neu an
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03. Januar 2023, 15:05 Uhr
"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." Diese Einstellung hat Yuliya Ryzhkova. Im März ist die 42-Jährige mit ihren zwei Kindern aus der Ukraine nach Thüringen geflüchtet. Eigentlich Theatermacherin, arbeitet sie heute als Pflegehelferin in einem Demenzzentrum. In ihrer Freizeit hat die Ukrainerin außerdem einen Weg gefunden, sich wieder ihrer eigentlichen Profession zu widmen.
Yuliya Ryzhkova sitzt gemeinsam mit Jutta und Marcus Höhn im Geschäftszimmer des Demenzzentrums in Meiningen. Die 42-jährige Yuliya arbeitet heute in der Spätschicht. Sie wollte gleich loslegen, erzählt Jutta Höhn: "Yuliya kam an und einen Tag später hat sie gefragt: Wann kann ich arbeiten?" Sie habe dann geantwortet, "Moment - das ist Deutschland, das dauert." Alle drei lachen. Jutta Höhn leitet das Demenzzentrum in Meiningen gemeinsam mit ihrem Sohn Marcus.
Vertrauen ist schnell gewachsen
Als der russische Angriffskrieg Millionen Menschen zur Flucht zwang, wollten die Höhns helfen. Sie schalteten eine Anzeige auf einer Internetseite, die helfen soll, ukrainische Flüchtlinge mit Arbeitgebern in Kontakt zu bringen und schrieben, dass sie eine Familie aufnehmen könnten und auch einen Job zu vergeben hätten. "Das war für uns auch sehr abenteuerlich", erinnert sich Marcus Höhn.
Da war sofort ein Vertrauensverhältnis am Telefon.
Mit Yuliyas Tochter Nastja, die Englisch spricht, hätten sie einmal vorab telefoniert, als die Ryzhkovas noch in der Ukraine waren. Die Familie kommt aus der Großstadt Czernowitz im Westen des Landes. "Da war dann sofort ein Vertrauensverhältnis am Telefon. Ich glaube, beide Seiten wussten: Das wird gut", erinnert sich Marcus Höhn.
Arbeiten und sich einbringen - für die Ukrainerin eine Lebenseinstellung
Eines Abends im März stand Yuliya dann gemeinsam mit ihren elf und 17 Jahre alten Töchtern Olena und Nastja vor der Tür der Familie Höhn. Mit Hilfe privater Initiativen hatten es die drei über Slowenien, Italien, Österreich und die Schweiz nach Deutschland geschafft.
Vom Vater ihrer Töchter lebt Yuliya seit acht Jahren getrennt. Schnell wieder eine Arbeit aufzunehmen, das war der 42-Jährigen sehr wichtig: "Ich bin einfach so daran gewöhnt zu arbeiten", erzählt sie auf Ukrainisch. Eine App hilft beim Übersetzen. Stillstand vermeiden, das sei für sie eine Lebenseinstellung.
In ihrer Heimatstadt Czernowitz hat Yuliya ein Theater mitgeleitet. Die 42-Jährige hat außerdem Kindern Schauspielunterricht gegeben und auch selbst als Schauspielerin auf der Bühne gestanden.
Theaterprojekte mit ukrainischen Kindern
Nach einem Praktikum in dem Demenzzentrum haben die Höhns Yuliya als Pflegehelferin eingestellt. Auch ihr Unternehmen muss um jede Fachkraft kämpfen, weshalb sie sich über Yuliyas Offenheit, einen Quereinstieg zu wagen, sehr gefreut haben. Für sie sei es spannend, mal in einem ganz anderen Bereich zu arbeiten, erzählt die 42-Jährige. Außerdem interessiere sich sich für Psychologie.
Trotzdem hat sie auch einen Weg gesucht, sich neben der Arbeit wieder mit ihrer eigentlichen Profession, der Schauspielerei zu beschäftigen. Mit Unterstützung der örtlichen Kirche, dem Meininger Integrations-Café Cabrini und der Grünen-Partei hat Yuliya Zugang zu Räumlichkeiten bekommen, in denen sie mit ukrainischen Kindern Theater spielen kann: "Ich wollte etwas für die ukrainischen Kinder hier in Deutschland tun, weil sie es natürlich besonders schwer haben. Sie sind weit weg von zuhause, können die Sprache nicht, viele sind traumatisiert."
Ein von Yuliya mit den Kindern einstudiertes Märchen hat die Gruppe im August, am ukrainischen Nationalfeiertag, in Meiningen vorgeführt. Und das nächste Projekt steht auch schon in den Startlöchern. Yuliya zeigt einen ausgefüllten Förderantrag für ein neues Projekt mit geflüchteten Kindern aus der Ukraine. Die Höhns waren erstaunt, wie schnell Yuliya sich in Meiningen zurechtgefunden und Kontakte geknüpft hat.
Warten auf einen Sprachkurs
Mittlerweile wohnt Yuliya mit ihrer jüngeren Tochter, die in Meiningen zur Schule geht, in einer eigenen Wohnung. Nastja, die ältere Tochter ist zum Studium in die Slowakei gezogen. Beim Einrichten der Wohnung haben die Höhns geholfen. Auch für Behördengänge und jeglichen Papierkram stehen Mutter und Sohn der Ukrainerin zur Seite. Marcus Höhn holt einen dicken Ordner aus dem Regal: "Wir nennen ihn Yuliya-Ordner." Yuliya lacht: "Es tut mir leid." Jutta Höhn findet, Yuliya muss nichts leid tun: "Wir sind ja total froh, dass wir sie haben!"
Mit dem 24. Februar hat sich das Leben von Yuliya unfreiwillig auf den Kopf gestellt. Sich von den Gefühlen aus Wut, Verzweiflung und Trauer um den Verlust ihres bisherigen Lebens aufhalten zu lassen, kommt für die 42-jährige Ukrainerin aber nicht in Frage.
Dass es die Ukraine auch in der Zukunft noch geben wird.
Nur über eine Sache ärgert sie sich. Ihr Integrations- und Sprachkurs hat immer noch nicht begonnen, weil Lehrpersonal fehlt: "Ich brauche Hilfe. Integration bitte!", sagt Yuliya auf Deutsch und lacht. Sie möchte unbedingt besser Deutsch sprechen lernen, auch, weil ihr das die Arbeit als Pflegehelferin erleichtern würde.
Jutta Höhn sieht das auch so: "Wir schätzen sie wirklich sehr. Sie geht auch sehr gut mit den alten Menschen um, das hat sie sich hervorragend angeeignet." Besser kommunizieren zu können, würde Yuliya mehr eigenständiges Arbeiten ermöglichen. "Verstehen kann sie ja schon viel", so Jutta Höhn.
In Gedanken immer auch in ihrer Heimat
Bevor die 42-Jährige ihre Heimat gezwungenermaßen verlassen musste, kannte sie Deutschland kaum, Thüringen überhaupt nicht. Fuß fassen in einer fremden Umgebung, ohne Sprachkenntnisse, das war die Herausforderung der letzten Monate. Und währenddessen: die ständige Ungewissheit - wann wird der Krieg vorbei sein? Was bringt die Zukunft?
Bei der Frage, was sie sich wünscht, steigen Yuliya Tränen in die Augen: "Dass es die Ukraine auch in der Zukunft noch geben wird." Jutta Höhn legt einen Arm um sie. Die vergangenen Monate haben sie zusammengeschweißt. "Wenn sie will, kann sie bleiben. Aber das ist natürlich ganz alleine ihre Entscheidung."
Wie ihr Leben weitergeht, weiß Yuliya noch nicht. Feststeht aber: Solange der Krieg andauert, will sie sich weiter in ihrem Gastland einbringen, Deutsch lernen und den geflüchteten Kindern in Meiningen das Leben ein kleines bisschen leichter machen.
MDR (dr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 03. Januar 2023 | 18:00 Uhr
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