Unternehmen in der Krise Pandemie, Krieg, Inflation: "Ich wünsche mir wirklich, dass ein bisschen Ruhe einkehrt"

23. Februar 2023, 18:00 Uhr

Vor gut einem Jahr begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Auswirkungen bekommen auch die Menschen in Thüringen nach wie vor zu spüren. Lebensmittel werden teurer, Strom und Gas kosten mehr, an der Tankstelle sind die Preise in die Höhe geschnellt. Erst kam Corona, dann der Krieg, dann die Inflation. Eine Unternehmerin erzählt, wie sie die Krisen erlebt hat.

Im März vergangenen Jahres bekam Sabine Weiß erstmals zu spüren, dass der Krieg eben nicht nur in der Ukraine tobt, sondern auch direkte Auswirkungen auf ihr Unternehmen hat. Seit fast 20 Jahren ist die Mutter von drei Kindern Geschäftsführerin der SZM Spannwerkzeuge GmbH in Zella-Mehlis. Der Betrieb mit 60 Mitarbeitern stellt Spannwerkzeuge her, spezielle Werkzeuge in Einzelfertigungen für Kunden in ganz Deutschland.

Das Unternehmen verbraucht Strom, viel Strom. Bis zu 100.000 Kilowattstunden fließen pro Jahr durch die Leitungen. Die Gaskosten belaufen sich auf 300.000 Euro monatlich. Das war vor dem Krieg. Dann, im März 2022, beginnen die Preise für Energie zu steigen. Und auch Material, das sonst pünktlich zur Weiterverarbeitung in die Firma geliefert wird, bleibt aus. Kleine Schrauben und Stifte, einfache Cent-Artikel - nicht mehr lieferbar.

Stahl aus der Ukraine kann nicht mehr geliefert werden

Anfangs half sich das Unternehmen noch aus, stellte kurzerhand das fehlende Material selbst her. Doch der große Bruch kam, als das wichtigste Zubehör für die Firma ausblieb: Stahl.

Der Krieg hat ganz deutlich reingespielt.

Sabine Weiß Geschäftsführerin SZM Spannwerkzeuge GmbH, Zella-Mehlis

"Das große Material kam aus der Ukraine. Da wurde ja ganz oft darüber berichtet, dass dieses Stahlwerk besetzt war, und das hat eben auch unseren Stahl hergestellt. Die Idee unseres Stahllieferanten war dann, in China zuzukaufen. Da war aber die Qualität nicht gut. Dann haben wir versucht, teilweise Stahl in Deutschland zu bekommen, aber auch hier wurden erste Werke aufgrund der Energiepreise geschlossen. Also, da hat der Krieg schon ganz deutlich reingespielt", erinnert sich die Geschäftsführerin ein Jahr nach Ausbruch des Kriegs in der ganzen Ukraine zurück.

Krisen belasten Mitarbeiter

Erst kam Corona, dann der Krieg, dann die Inflation. So wie Sabine Weiß kämpfen viele Thüringerinnen und Thüringer mit den Krisen der vergangenen drei Jahre. Für nicht wenige sind sie existenzgefährdend. Bereits zu Beginn des Jahres 2021 zieht die monatliche Inflationsrate in Deutschland deutlich an. Von nahe null auf über fünf Prozent. Im Oktober 2022 - der bisherige Höhepunkt - liegt sie bei 10,4 Prozent. Jeder sechste in Deutschland ist armutsgefährdet. Die Sorgen wachsen weiter, auch im Freistaat.

"Viele Mitarbeiter belastet dieser Krieg, dieses Gefühl, hier so nah in Europa Krieg zu haben. Und diese psychische Beanspruchung bei den Mitarbeitern, die merken wir auch", erzählt Sabine Weiß von den Gesprächen mit ihren Angestellten. Die Geschäftsführerin leitet inzwischen gemeinsam mit ihrem Mann Thomas das Familienunternehmen. Auch bei ihnen drehen sich am Abend zu Hause die Gespräche oft um neue Herausforderungen im Unternehmen.

Ich bin schon ein sehr positiv denkender Mensch. Dennoch liegt man abends im Bett und fragt sich, wie das alles so weitergeht.

Sabine Weiß Geschäftsführerin SZM Spannwerkzeuge GmbH, Zella-Mehlis

"Also, ganz ausblenden kann ich das nicht. Ich kann nicht sagen: Ich geh' heim, mach die Tür auf und dann ist alles vergessen. Das funktioniert nicht. Ich bin schon ein sehr positiv denkender Mensch. Dennoch liegt man abends öfters im Bett und fragt sich, wie das alles so weitergeht", beschreibt Sabine Weiß die Situation.

Preise für Gas verdoppelt

Neben den Lieferschwierigkeiten und den gestiegenen Materialkosten hat die aktuelle Krise auch weitere direkte Auswirkungen auf die SZM Spannwerkzeuge GmbH. Die Bürotüren sind jetzt alle verschlossen, in den Fluren wird nicht mehr geheizt, am Wochenende bleibt es in den Bädern ebenfalls kalt. Der Preis fürs Gas hat sich verdoppelt, liegt im Moment bei 600.000 Euro.

"Es ist halt mal das Doppelte. Und das aufs Jahr gerechnet, das fehlt uns einfach zum Schluss an der Marge. Und das fehlt uns auch, um das an die Mitarbeiter weiterzugeben. Das ist ja eigentlich das Schlimme, die Mitarbeiter haben mehr Kosten. Ich muss ja eigentlich den Mitarbeitern auch mehr zahlen. Das versuchen wir auch. Aber mir fressen auf der anderen Seite doch die Mehrkosten die Marge weg, sodass ich den Mitarbeitern nicht mehr geben kann", beschreibt Sabine Weiß das Dilemma.

Unter Energiepreisdeckel für Strom, eines der Entlastungspakete, das die deutsche Regierung geschnürt hat, fällt das stromintensive Unternehmen nicht. Momentan liegt der Einkaufspreis bei sieben Cent pro Kilowattstunde - nicht hoch genug, um unter die Energiepreisbremse zu fallen.

Was ist die Energiepreisbremse? Ab März soll die Energiepreisbremse rückwirkend zum 1. Januar 2023 greifen. Mittelständische Unternehmen und Privatpersonen zahlen höchstens 40 Cent pro Kilowattstunde Strom und zwölf Cent für eine Kilowattstunde Gas. Für die Industrie greift die Bremse sogar schon bei 13 Cent für Strom und bei sieben Cent für Gas. Wer es nicht schafft, Energie einzusparen, muss für einen Teil den regulären Marktpreis bezahlen.

Knapp 300 Milliarden Euro stellt die Bundesregierung mit den insgesamt drei Entlastungspakten bereit. Einige der Maßnahmen: Bürgergeld statt Hartz IV, Kindergelderhöhung, Einmalzahlungen für Rentner und Studierende, angepasste Steuersätze, Wohngeldreform.

Der Blick in die Zukunft: Optimistisch

Auch die Kunden der SZM Spannwerkzeuge GmbH bekommen die Krise zu spüren. Immer wieder müssen Aufträge preislich angepasst werden, weil sich Material verteuert hat und auch die Lieferzeiten nicht gehalten werden können.

Dennoch: Sabine Weiß blickt trotz all der Sorgen zuversichtlich in die Zukunft. "Alle wollen es angehen. Ich hoffe, dass wir vielleicht noch zwei, drei Mitarbeiter mehr in diesem Jahr haben und den Umsatz steigern können. Ich wünsche mir wirklich, dass ein bisschen Ruhe einkehrt." Ein Wunsch, den viele Menschen im Freistaat mit ihr gemeinsam haben.

TV: "Krisenland" am 24. Februar im Ersten Das dritte Jahrzehnt im 21. Jahrhundert erscheint schon jetzt als Jahrzehnt der Krisen: Pandemie, Krieg, Energienotstand, Inflation, Klimawandel. Gefährden diese Krisen unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt? Zumindest der von Medien und Politikern prophezeite "Wutwinter" ist ausgeblieben. Wohl auch dank milliardenschwerer Entlastungspakete der Bundesregierung. Doch Deutschland ist ärmer geworden und die Kluft zwischen Arm und Reich größer.

Der Film "Krisenland - Deutschland zwischen Angst und Aufbruch" erzählt am 24. Februar 2023, um 22:20 Uhr im Ersten, persönliche Geschichten von der täglichen Suche nach Wegen aus der Krise.

MDR (dst)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Krisenland- Deutschland zwischen Angst und Aufbruch | 24. Februar 2023 | 22:20 Uhr

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