Fakt ist! Aus Erfurt Parteibuch statt Bestenauslese? Land gibt Fehler bei Einstellung von Spitzenbeamten zu
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18. April 2023, 10:32 Uhr
Werden in Thüringen hohe Beamte zu sehr nach Parteibuch eingestellt? Staatskanzleichef Hoff gibt einen Fehler zu, CDU-Politiker Bühl kritisiert und Politik-Expertin Lorenz ordnet ein. Die Diskussion beim MDR-Talk "Fakt ist! aus Erfurt".
Inhalt des Artikels:
Irene Schmidt aus Orlamünde ist bei der MDR Talkshow "Fakt is! aus Erfurt" völlig überzeugt, dass es in der Politik eine Vetternwirtschaft gibt. Sonst würden nicht so viele Fehler passieren und Steuern verschwendet. Sie kenne zwar persönlich keine Politiker mit Verfehlungen. Doch Politiker benötigen eine Schulbildung, ein Studium und Menschenkenntnis. Sie ist inzwischen von der Politik stark enttäuscht, sieht auch Parallelen zur DDR. "Und das ist kreuzgefährlich", sagt die Thüringerin.
Damit hatte die Besucherin zu Beginn des MDR-Talkes schon einige der Punkte abgesteckt, worüber an diesem Montagabend diskutiert wurde. Regieren die besten Leute Thüringen oder regiert vor allem das Parteibuch, spitzte MDR-Moderator Andreas Menzel das Thema des Abends zu. Ist Vetternwirtschaft ein anderes Wort für vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie es der Erfurter Talkgast Thomas Schindler formulierte?
Stark umstrittene Einstellungspraxis hoher Beamte: Zumindest eine "Schlamperei"
Worum geht es? Auslöser für die seit Monaten andauernde politische Diskussion in Thüringen ist ein Bericht des Landesrechnungshofes darüber, wie im Freistaat Spitzenbeamte von der rot-rot-grünen Landesregierung eingestellt werden. Der Rechnungshof ist ein Gremium, das unabhängig darüber wacht, wie die Landesregierung mit den Steuergeldern umgeht - aber am Ende nur Empfehlungen aussprechen kann.
Es gibt tatsächlich einen Fehler, da hat der Rechnungshof recht.
Doch der brisante Bericht des Finanzkontrolleurs der Landesregierung ist bis heute nicht vollständig öffentlich, doch wurde aus ihm wiederholt in Medien berichtet. Daraus geht etwa hervor, dass bei acht untersuchten Einstellungen in fünf Fällen die Staatssekretäre der rot-rot-grünen Landesregierung zum Zeitpunkt der Ernennung nicht hätten ernannt werden dürfen. Welche Staatssekretäre das sind, ist bisher nicht bekannt. Auch monierte die Landesprüfbehörde: Bei 64 überprüften Einstellungen wichtiger Posten in der Landesregierung zwischen 2014 und 2020, also dem Beginn der Amtszeit Ramelows als Ministerpräsident, seien bei mehr als der Hälfte Formfehler gemacht worden. Geprüft wurden die Einstellungen von Staatssekretären, Büroleitern und Pressesprechern. Kritisiert wurde in dem Bericht etwa eine mangelnde Dokumentation zu den Einstellungen, fehlende Ausschreibungen und dass die politische Einstellung wichtiger als die fachliche Eignung gewesen sei.
Staatskanzlei-Chef Benjamin Immanuel Hoff, vielleicht wichtigster Mitarbeiter und Krisenmanager von Ministerpräsident Bodo Ramelow (beide Linkspartei), widersprach mehrfach, dass Parteifreunden Posten zugeschoben worden seien. Im Kern verwies er darauf, dass alles rechtmäßig gelaufen sei. Doch zumindest einen Fehler räumte er bei "Fakt ist! aus Erfurt" ein: Bei der Dokumentation von Einstellungen sei "geschlampert" worden. Nachträglich lässt sich also nicht mehr feststellen, ob alles nach Recht und Gesetz abgelaufen ist. Hoff sieht dazu keinen Änderungsbedarf bei den bereits eingestellten Staatssekretären, deren Einstellungspraxis umstritten ist - und geht dabei in Distanz zum Landesrechnungshof. Eine Distanz, die Ministerpräsident Ramelow kürzlich noch viel deutlicher formulierte und dem Rechnungshof "objektive Fehler" vorwarf. Einen Vorwurf, den Hoff am Montagabend nicht wiederholte.
Rechnungshof-Präsidentin sagt Einladung zur Sendung ab
Dazu verwies Hoff darauf, dass nur bei sehr wenigen Ausschreibungen, er nannte etwa Staatssekretäre, keine Stellenausschreibungen nötig seien. Neben der fachlichen Eignung und der Befähigung müsse der Minister dabei das besondere Vertrauen zu einem seiner engsten Mitarbeiter haben, betonte der Staatskanzlei-Chef. Minister stellten bewusst nur Mitarbeiter ein, die eine gute Arbeit machen, weil dieser auf jene angewiesen ist. Und Hoff legte die Einschätzung der Landesregierung noch einmal fest: "Aus unserer Sicht war die Bestenauslese gewährleistet".
Die Einstellungspraxis in den CDU-regierten Jahren in Thüringen hatte der Landesrechnungshof laut Hoff auch überprüft, doch nie veröffentlicht. Warum, das blieb offen - auch weil die Chefin des Landesrechnungshofes, Kirsten Butzke, einer Einladung in die Sendung nicht gefolgt war. Sie hatte zuvor von "systematischen und schwerwiegenden" Verstößen der Landesregierung gesprochen. Doch der Blick in die weiter zurückliegende Vergangenheit wischt die aktuellen Vorwürfe nicht beiseite. Zumal auch die Staatsanwaltschaft Erfurt ein Verfahren wegen möglicher Untreue eingeleitet hat.
CDU: "Mutmaßlich größter Untreue-Fall in Thüringen bisher"
CDU-Politiker Andreas Bühl nutzte die Kritikpunkte zur Einstellungspraxis für einen Frontalangriff: "Das ist der mutmaßliche größte Fall von Untreue im Freistaat Thüringen seit seiner Gründung bisher", erklärte der Ilmenauer und sprach von massiven Vorwürfen. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag warf Hoff bei seinen Erklärungsversuchen vor, Nebelkerzen zu werfen. Zwar gebe es einen Teil des Berichts auf der Webseite des Landesrechnungshofes. Doch die Landesregierung behindere aber die aktuelle Aufklärung, weil die Landtagsabgeordneten die vollständigen Berichte zwar anschauen könnten - aber dabei keine Notizen oder Fotos anfertigen dürften.
Das ist der mutmaßliche größte Fall von Untreue im Freistaat Thüringen seit seiner Gründung bisher.
Der gesamte Prüfbericht und der Datenschutz
Warum der Bericht nicht vollständig ist, wurde an dem Abend nicht ganz klar. Zwar erklärte Hoff: "Wir haben nichts zu verbergen." Doch verwies er zugleich auf Datenschutzbedenken und Schutz von Persönlichkeitsrechten - nicht so sehr von Staatssekretären, sondern von im Bericht genannten, einfachen Mitarbeitern. Das würde der Landesdatenschutzbeauftragte aktuell prüfen. Doch dem widersprach Moderator Menzel, der im Vorfeld genau dort angefragt hatte: Dem Thüringer Landesdatenschützer würde der Bericht gar nicht vorliegen, so dass dieser gar nicht geprüft werden kann. Zudem sei er gar nicht zuständig. Bühl fühlte sich daraufhin veralbert, Hoff zeigte sich überrascht, betonte aber, dass alle Fragen der Abgeordneten beantwortet würden.
Und wer legt Einstellungskriterien für Spitzenbeamte fest?
Die Leipziger Politikwissenschaftlerin Astrid Lorenz ordnete noch einmal ein, dass das Berufsbeamtentum - im Gegensatz zum politischen Beamten - unpolitisch und neutral ist und den vom jeweils Volk gewählten Politikern dient. Der Grund ist einfach: "Im Prinzip kann jeder oder jede Minister werden." Irgendeine Ausbildung ist keine Voraussetzung, nur die Mehrheit bei einer Wahl. Doch in Thüringen falle auf, dass im bundesweiten Vergleich schon immer ein hoher Anteil der Spitzenbeamten einen parteipolitischen Hintergrund habe.
Vor allem aber kritisierte sie die aktuelle Praxis in der Thüringer Landesregierung, dass diese selbst festlegt, welche Befähigung ein politischer Beamter benötigt und welche Besoldungsstufe dieser erhält, um in der Landesregierung angestellt zu werden. Sie sprach von einem "Systemfehler", dass die Landesregierung die Eignung der politischen Beamten selbst definieren könne, das sollte besser eine unabhängige Behörde festlegen. Diese sollte auch festlegen, wann eine Ausschreibung nötig ist und wie hoch das Gehalt der politischen Beamten sein sollte. Dem Vorschlag gegenüber zeigte Hoff sich zumindest offen.
Beamtenbund-Chef widerspricht Staatskanzlei-Chef Hoff
Frank Schönborn, Vorsitzender des Thüringer Beamtenbundes, kritisierte vor allem, dass möglicherweise die rot-rot-grüne Landesregierung bei den hohen Beamten nicht die Bestenauslese als wichtigstes Einstellungskriterium angewandt habe. Denn die politische Nähe sei nicht das wichtigste Kriterium bei der Auswahl hoher Beamten, erklärte Schönborn und widersprach dabei Staats-Kanzlei-Chef Hoff. Der Bericht es Landesrechnungshofes hat laut Thüringens oberstem Beamten-Vertreter auch zu Irritationen und relativ vielen Nachfragen von "normalen" Beamten geführt.
Zum Aufklappen: Politischer Beamter und "normaler" Beamter
Politische Beamte sind Beamte auf Lebenszeit, die mit Aufgaben betraut sind, von denen sie jederzeit und ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt, aber auch etwa nach einem Regierungswechsel entlassen werden können. Es handelt sich in der Regel um höchste Beamtenpositionen etwa als Staatssekretär, als Leiter des Verfassungsschutzes oder als Pressesprecher. Ihre Tätigkeit erfordert ein hohes Maß an politischer Übereinstimmung zwischen dem Beamten und der jeweiligen Regierung, sie müssen politisch nicht neutral, jedoch loyal sein. Sie sind oft Quereinsteiger und benötigen keine Ausschreibung, aber trotzdem ein Hochschul-Studium beziehungsweise einen gleichwertigen Abschluss sowie Berufserfahrung.
"Normale" Beamte benötigen eine Qualifikation und haben eine Laufbahn-Regelung. Sie sind politisch neutral und unbefristet auf Lebenszeit eingestellt.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung / Fakt ist!
Gutachten, Gesetzesänderungen und eine Gefahr für die Demokratie
Wie geht es nun weiter? Die Diskussion wird Thüringen noch weiter beschäftigen. CDU und Landesregierung wollen jeweils Gutachten anfertigen lassen, die Landesregierung einen Sonderbeauftragten einsetzen, der jedoch weiterhin nicht feststeht.
Hoff will zudem vorschlagen, die Zahl der politischen Beamten zu verringern und die Einstellungspraxis etwas zu ändern: Büroleiter und Referenten von Ministerns sollen künftig ohne eine Ausschreibung nur noch befristet eingestellt werden können. Für eine unbefristete Anstellung soll eine Ausschreibung weiter nötig sein. Er mochte trotz der Änderung jedoch keinen Fehler beim Umgang damit in der Vergangenheit sehen.
Andreas Bühl kündigte unterdessen für die CDU unter Applaus des Publikums einen Gesetzentwurf an, der für neue Minister Mindestqualifikationen vorsieht, also zumindest einen Schulabschluss vorweisen müssen.
Damit dürfte die Thüringer CDU bei Talkshow-Gast Irene Schmidt einen Punkt gelandet haben. Unabhängig davon, dass die Minister-Qualifikation in Thüringen gar nicht vom Landesrechnungshof kritisiert worden war, drangen andere Talkshow-Gäste wie Arndt Hobrecker aus Weimar darauf, dass die Vorwürfe um die Einstellungspraxis hoher Beamten in Thüringen gelöst werden müssen. Denn sonst drohe die Diskussion die Demokratie weiter zu schaden und undemokratische Kräfte zu stärken. So könnten etwa Menschen aus dem gemäßigterem Spektrum nicht mehr zur Wahl gehen, befürchtete Politik-Professorin Lorenz und ergänzte. Denn Demokratie werde von den Thüringern sehr viel mit gleichen Chancen für alle verbunden. Doch die bisherige Einstellungspraxis für die politischen Spitzenbeamten hinterlässt trotz der ausführlichen Erklärungsversuche von Hoff an diesem Abend den gegenteiligen Eindruck.
Was bleibt am Ende der Diskussion? Im nächsten Jahr soll in Thüringen ein neuer Landtag gewählt werden. Der Wahltag ist zwar auch für Expertin Lorenz noch ziemlich weit weg. Da können noch jede Menge passieren. Und das gilt dabei in jeglicher Hinsicht.
MDR (rom)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Fakt ist! aus Erfurt | 17. Mai 2022 | 22:10 Uhr
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