MDRfragt Öffentlicher Dienst: Mehrheit lehnt Jobvergabe nach Parteibuch ab
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17. April 2023, 14:52 Uhr
Hat die Thüringer Landesregierung bei der Besetzung von Führungsposten eher nach politischer Ausrichtung statt fachlicher Eignung der Bewerber entschieden? Dieser Vorwurf steht derzeit im Raum. Aus Sicht der Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmenden sollte die politische Einstellung bei der Jobvergabe im Öffentlichen Dienst keine Rolle spielen. Das zeigt die nicht repräsentative, aber gewichtete und wissenschaftlich begleitete Befragung mit rund 25.000 Teilnehmenden aus Mitteldeutschland.
- Neun von zehn MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer aus Thüringen üben Kritik an der mutmaßlichen Besetzungspraxis ihrer Landesregierung.
- Die politische Einstellung sollte bei der Vergabe von hohen Führungspositionen im Öffentlichen Dienst keine Rolle spielen – das denkt die deutliche Mehrheit.
- Fachkenntnisse, positive Eigenschaften wie Höflichkeit und Teamfähigkeit und auch eine ostdeutsche Herkunft gelten Vielen als entscheidende Kriterien bei der Auswahl von Führungskräften.
Große Kritik an mutmaßlicher Besetzungspraxis in Thüringen
Insbesondere die Besetzungspraxis der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen wird derzeit diskutiert. Ihr wird vorgeworfen, dass bei der Einstellung von Staatssekretären und leitenden Beamten im direkten Arbeitsumfeld der Ministerinnen und Minister die politische Ausrichtung und nicht die fachliche Eignung entscheidend war. Der Landesrechnungshof veröffentlichte jüngst einen Sonderbericht, in dem er kritikwürdige Punkte auflistet.
92 Prozent der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer aus Thüringen sehen dieses Vorgehen kritisch, wenn sich der Vorwurf bestätigt.
Ihren Unmut darüber äußern die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer aus Thüringen in den Kommentaren:
Es ist einfach wahnsinnig unfair. Es kann nicht sein, dass so etwas vorkommt. Ich bin extrem wütend und habe kein Vertrauen mehr!
Ich bin zutiefst enttäuscht, dass alleine dem Verdacht nachgegangen werden muss.
Alles unterirdisch in einer Demokratie. Ich glaube, das macht mehr und mehr alles unglaubwürdig.
Die Debatte muss dringend geführt werden, nicht nur in Thüringen, sondern EU-weit.
Einige können das Vorgehen jedoch auch teilweise nachvollziehen und sehen die Debatte kritisch:
Um im direkten Umfeld eines Ministers zu arbeiten, braucht es Vertrauen. Aber ich bin dafür, dass diese Posten zeitlich begrenzt werden.
Dass die politische Einstellung eine Rolle spielt, kann ja legitim sein, aber sie sollte nie wichtiger als die fachliche Eignung sein.
Vermutlich ist das jetzt nicht erst ein speziell rot-rot-grünes Problem. Es würde mich nicht wundern, wenn es zu Zeiten der CDU-Regierungen genauso zuging.
Die Debatte wird in Vorbereitung der Wahl 2024 aufgebauscht. Ich glaube nicht, dass es die früheren Regierungen anders gehandhabt haben.
Forderung nach Untersuchungsausschuss
Als Reaktion auf die Vorwürfe fordert die Opposition nun die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, um die Einstellungspraxis zu überprüfen. Seit Ende Januar ermittelt auch die Staatsanwaltschaft.
Acht von zehn Befragungsteilnehmende aus Thüringen würden die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses befürworten. 13 Prozent lehnen dies hingegen ab.
Die Thüringer Landesregierung hat nun angekündigt, die Regeln für die Einstellung von Spitzenbeamten ändern zu wollen. Eigentlich gilt hier das Prinzip der Bestenauslese, laut welchem nachweisbare fachliche Kenntnisse und Leistungen wie Arbeitszeugnisse oder Berufsabschlüsse entscheidend sein sollen.
Mehrheit lehnt Jobvergabe nach Parteibuch ab
Insgesamt betrachtet haben die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer eher wenig Verständnis dafür, wenn bei der Vergabe von bestimmten Posten im Öffentlichen Dienst die politische Einstellung eine Rolle spielt. Am größten ist das Verständnis bei der Besetzung von Stellen im direkten Umfeld von Spitzenpolitikern.
41 Prozent können es nachvollziehen, wenn die politische Einstellung hierbei berücksichtigt wird. Deutlich weniger haben Verständnis, wenn dies auch bei der Einstellung von Leitern in Ämtern und Behörden der Fall ist. Am geringsten ist das Verständnis bei der allgemeinen Vergabe von Jobs im Öffentlichen Dienst. Lediglich 17 Prozent finden es in Ordnung, wenn das Parteibuch hier von Bedeutung ist.
Mehr über ihre Meinung dazu schreiben die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer in den Kommentaren:
Der Öffentliche Dienst ist in erster Linie der Bevölkerung verpflichtet und nicht der Parteilinie.
Dass die direkten Mitarbeiter im Stab von Ministern aus dem politischen Umfeld kommen, ist richtig und wichtig. Hier zählt Vertrauen. Alle anderen Dienstposten im Öffentlichen Dienst sollten nach dem Leistungsprinzip vergeben werden.
Bei der Besetzung von Posten im Umfeld der Entscheidungsträger kann ich nachvollziehen, dass hier eine politische Prägung gewünscht ist. Man muss aber gleichzeitig über ein fundiertes Fachwissen in dem Ressort oder Amt verfügen. Das Parteibuch kann ein Zusatzkriterium sein, wenn die fachlichen Voraussetzungen stimmen.
Ich arbeite in einem Landratsamt, wo alle Führungskräfte in der derzeitigen Wahlperiode parteiabhängig besetzt wurden. Die angebliche Bestenauslese ist eine reine Makulatur und Farce. Dementsprechend schlecht sind die Posten besetzt. Die Stimmung und Motivation in der Mitarbeiterschaft ist im Minusbereich angekommen.
Politik hat in der Verwaltung nichts verloren. Hier sollte nur die Qualifikation und Teamfähigkeit eine Rolle spielen. Kleine Fürsten haben wir genug.
Auswahl von Führungspersonal: Fachkenntnisse gelten als besonders wichtig
Statt der politischen Einstellung sollten aus Sicht der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer eher andere Kriterien für die Besetzung von hohen Führungspositionen im Öffentlichen Dienst ausschlaggebend sein. So halten beispielsweise 93 Prozent das Vorhandensein von Fachkenntnissen für entscheidend. Persönliche Eigenschaften wie Höflichkeit und Teamfähigkeit sollten aus Sicht von 77 Prozent berücksichtigt werden. Mehr als ein Viertel erachtet zudem eine ostdeutsche Herkunft als entscheidendes Kriterium. Für die wenigsten ist die politische Einstellung entscheidend.
Führungskräfte achten auf Pünktlichkeit und Motivation
Einige der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sind oder waren nach eigenen Angaben selbst als Führungskräfte tätig. Wir haben sie gefragt, welche Eigenschaften ihnen persönlich bei Bewerberinnen und Bewerbern wichtig sind. Drei Bereiche stechen hierbei deutlich hervor, denn jeweils 98 Prozent legen Wert auf Fachkenntnisse und Eigenschaften wie Pünktlichkeit, Belastbarkeit und Flexibilität sowie Motivation und Lernbereitschaft.
Einige Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in Führungspositionen schreiben noch etwas mehr darüber, worauf es bei Bewerberinnen und Bewerbern ihrer Ansicht nach ankommt:
Empathie und eigene Visionen sowie der Blick über den Tellerrand, das sind weitere wichtige Eigenschaften.
Was ich nie mochte, waren Leute, die mir nach dem Mund reden. Für Fortschritt braucht man Dispute, ohne Rücksicht auf das Ansehen der Personen im Kreis.
Nur das Genie beherrscht das Chaos. Pünktlichkeit ist nur eine Zier derer, die nicht im Dreieck denken können.
Entscheidungsfreude, Willen zur Übernahme von Verantwortung und kein überzogenes Karrieredenken!
Eine langjährige Berufserfahrung ist in Leitungsfunktionen eher wichtig, aber in anderen Bereichen kann eine frische Ausbildung sehr nützlich sein.
Über diese Befragung
Die Befragung vom 07.04. - 11.04.2023 stand unter der Überschrift:
Kennen oder Können - Worauf kommt es bei der Besetzung wichtiger Führungspositionen an?
Insgesamt sind bei MDRfragt 65.441 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 11.04.2023, 08.00 Uhr).
24.896 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen.
Darunter haben 10.309 MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer angegeben, selbst Führungskraft zu sein.
Zudem sind oder waren 9.260 nach eigenen Angaben im Öffentlichen Dienst tätig.
Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 237 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 3.085 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 10.025 Teilnehmende
65+: 11.549 Teilnehmende
Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 12.817 (51 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 6.074 (24 Prozent)
Thüringen: 6.005 (24 Prozent)
Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 10.523 (42 Prozent)
Männlich: 14.311 (57 Prozent)
Divers: 62 (0,3 Prozent)
Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.
Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 17. April 2023 | 22:10 Uhr