Reichsbürger-Prozess Hinweise auf bisher unbekannte geheime Reuß-Gruppe
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30. Juli 2024, 12:00 Uhr
Heinrich XIII. Prinz Reuß soll Reichsbürger sein. Mit weiteren mutmaßlichen Verschwörern soll er seit 2021 einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Doch bereits zuvor hatte er eine weitere bisher unbekannte geheime Reichsbürger-Gruppe gegründet.
- Bereits seit 2019 existierte eine geheime Reichsbürger-Gruppe mit dem Namen "Kompetenzteam Freies Deutschland".
- Die Gruppe diskutierte unter anderem die Einsetzung eines Kaisers.
- Bereits 2020 rief Reuß wohl den Fantasiestaat "Fürstentum Reuß" in Bad Lobenstein aus.
Frank Haußner lässt an seiner Solidarität für die mutmaßlichen Putschisten um Reuß keine Zweifel aufkommen. An einem kalten Dezembertag 2022 referierte er in Zeulenroda vor einer kleinen Gruppe Getreuer über die wenige Tage zuvor stattgefundene Großrazzia gegen Reuß und Co. Die Verhafteten seien "politische Gefangene einer links-grünen Parteiendiktatur", erklärte Haußner. Zudem seien die Festgenommen "keine verwirrten Greise", sondern "wie viele, agierten sie in der Sorge um die Zukunft unseres Volkes", meinte der gelernte Dachdecker.
Haußners Solidarität zu Reuß
Dessen Solidaritätskundgebung fand unter den wachsamen Ohren von Polizei und Verfassungsschutz statt, denn Frank Haußner ist nicht irgendein Redner auf den sogenannten Montagsdemos in Ostthüringen. Er gilt den Sicherheitsbehörden als Kopf der "Patrioten Ostthüringen" und als Reichsbürger mit Kontakten zum Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke. Dass Haußner also diese Solidaritätsadresse an den festgenommenen Prinzen sendete, war nicht ungewöhnlich.
Doch was zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war: Nach Recherchen von MDR Investigativ war Haußner offenbar Teil einer bislang unbekannten geheimen Gruppe an Leuten, die Heinrich XIII. Prinz Reuß bereits seit dem Frühjahr 2019 um sich geschart hatte. Ihr Name: "Kompetenzteam Freies Deutschland".
Zum Aufklappen: Was sind Reichsbürger?
Laut Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) bezeichnen sich Gruppen von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern selbst als "Reichsbürger". Sie lehnen die Demokratie und damit auch die Bundesrepublik Deutschland ab. Diese Gruppen behaupten, das Grundgesetz sei eine "Fortsetzung des Krieges gegen das Deutsche Reich" und die Bundesregierung ein von "den westlichen Siegermächten aufgezwungenes Statut der Fremdherrschaft über das Deutsche Volk".
Weil sie den Staat nicht anerkennen, weigern sich die Reichsbürger Steuern zu zahlen und nehmen die deutsche Gesetzgebung nicht an. Deswegen stellen manche eigene Reisepässe und Führerscheine her und ernennen sich selbst zu "Ministern" eigener "Reichsregierungen".
Für das Jahr 2023 verzeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz rund 25.000 "Reichsbürger und Selbstverwalter". Die Reichsbürger sind keine einheitliche Gruppe und teilweise untereinander zerstritten. Einige sind Neonazis, andere Esoterik-Anhänger. Ihre gemeinsame Kernideologie ist laut bpb antisemitisch, demokratiefeindlich und geschichtsrevisionistisch.
Erste Geheime Gruppe von Reuß?
Bei der bundesweiten Großrazzia am 7. Dezember 2022 fanden die Ermittler im Büro von Reuß in Frankfurt (Main) Unterlagen, die sie auf die Spur dieser Gruppe brachten. Das „Kompetenzteam Freies Deutschland", in den Akten auch KTFD abgekürzt, entstand offenbar lange bevor sich Reuß mutmaßlich der „Patriotischen Union" angeschlossen hatte, deren Mitglieder derzeit in Stuttgart, München und Frankfurt (Main) vor Gericht stehen.
Vor den dortigen Oberlandesgerichten müssen sich insgesamt 26 Angeklagte wegen des Vorwurfs der Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verantworten. Offenbar war das KTFD für Reuß eine erste Vorläufer-Organisation von Gleichgesinnten, die vieles einte. Besonders die Ablehnung der Bundesrepublik in ihrem Bestehen seit 1949.
Gruppe diskutierte "Einsetzung des Kaisers"
Wann genau das KTFD gegründet wurde, lässt sich durch die Unterlagen, die MDR Investigativ einsehen konnte, nicht eindeutig nachvollziehen. Vieles aber deutet darauf hin, dass es im Frühjahr 2019 damit losging. Denn ein Protokoll der ersten Sitzung, datiert auf den 1. April 2019, wurde bei den Razzien im Dezember 2022 sichergestellt. Ort des Treffens war offenbar Bad Lobenstein in Ostthüringen.
Dort wälzte die Gruppe die ganz großen Themen. So wurde eine "vorübergehende Einsetzung des Kaisers" diskutiert. Unter dem Punkt "diplomatische Kontaktaufnahme mit den Allierten [sic!]", findet sich der Hinweis "offene Aussprache mit Lawarov [sic!]". Ob es sich dabei um den russischen Außenminister Sergej Lawrow handelt bleibt unklar, liegt aber vor dem Hintergrund der späteren Versuche von Reuß, mit der russischen Regierung Kontakt aufzunehmen, nahe.
Mitglieder mussten Stillschweigen bewahren
Dass diese Gruppe geheim bleiben wollte, zeigen mehr als 30 Verschwiegenheitserklärungen, die ebenfalls bei Reuß in seinem Frankfurter Büro gefunden wurden. Sie wirken wie eine Blaupause für die Verschwiegenheitserklärungen, die ab 2022 in der jetzt angeklagten "Patriotischen Union" verwendet wurden. In dem KTFD-Dokument von 2019 ist zu lesen, dass die Aufgenommenen Stillschweigen über alle Aktivitäten bewahren müssen.
Zudem unterschrieben die künftigen Mitglieder des KTFD, dass sie sich bei einem Bruch dieses Schweigens vor einem "internationalen Gerichtshof" verantworten müssten. Immerhin: Bei der "Patriotischen Union" hätten sie beim selben Verstoß mit Hinrichtung rechnen müssen. Die Anwälte von Heinrich Reuß haben auf Anfragen von MDR Investigativ nicht reagiert.
Haußner soll Erklärung unterschrieben haben
Diese Erklärung unterschrieb am 13. April 2019 offenbar auch der Thüringer Reichsbürger Frank Haußner. Das Dokument, versehen mit seinem handschriftlich eingetragenen Geburtsdatum und offenbar seiner Unterschrift, wurde ebenfalls bei der Reuß-Razzia in Frankfurt gefunden. Zudem fanden die Fahnder bei der Auswertung des iPads von Reuß einen E-Mail-Verkehr zwischen Haußner und dem Prinzen aus dem November 2019. Darin geht es um ein Treffen mit einer "Eva" und einem "Andreas", welches Haußner Reuß ans Herz legt.
Versuchte Kontaktaufnahme zu Ex-Tagesschausprecherin
In einem Auswertungsbericht der Fahnder, den MDR Investigativ einsehen konnte, wird deutlich, dass es sich dabei offenbar um die ehemalige Tagesschausprecherin Eva Herman sowie um ihren Lebensgefährten Andreas Popp handelt. Beide sind seit Jahren im Milieu von Verschwörungstheoretikern, Weltuntergangsphantasten und Coronaleugnern unterwegs und leben in Kanada.
Unsere Mandanten kennen Herrn Reuß nur aus dem Fernsehen.
Haußner, der offenbar Kontakt zu beiden hatte und sie als "die Kanadier" bezeichnete, teilte Reuß mit, dass ein Treffen für Anfang Dezember 2019 im niedersächsischen Walsrode geplant sei.
Herman und Popp dementieren
Dass dieses Treffen stattgefunden hat, lassen Popp und Hermann ausführlich über den Rechtsanwalt Ralf Höcker dementieren: "Unsere Mandanten kennen Herrn Reuß nur aus dem Fernsehen. Sie kennen ihn weder persönlich noch sind sie ihm jemals begegnet, auch und insbesondere nicht in Walsrode. Unsere Mandanten standen niemals in direktem Kontakt mit Herrn Reuß und haben auch nie mit ihm gesprochen, telefoniert, geschrieben oder anderweitig fernmündlich oder in sonstiger Form korrespondiert."
Anwalt: Mandanten distanzieren sich von Haußner
Auch von dem Thüringer Reichsbürger Frank Haußner distanzieren sich Hermann und Popp deutlich. "Herr Haußner hatte 2018 an einem Seminar unserer Mandanten teilgenommen", schreibt Rechtsanwalt Höcker. "Ein engerer persönlicher Kontakt oder gar ein freundschaftliches Verhältnis bestand vorher nicht und hat sich auch später nie ergeben." Haußner habe sich "mehrere Monate nach dem Seminar initiativ per Mail an unseren Mandanten Herrn Popp" gewandt. Herman sei an der Korrespondenz nicht beteiligt gewesen.
Die Mail sei, so Höcker, eine "proaktive und einseitige Kontaktaufnahme" gewesen. "Schlussendlich kam es auch nie zu einem Treffen. Man konnte sich schon nicht auf einen Termin verständigen", schreibt der Anwalt. Schließlich hätten seine Mandanten Prinz Reuß "dann in der Medienberichterstattung zu dem versuchten - so betitelten - 'Staatsstreich' erstmals wahrgenommen und nur aufgrund des sonderbaren Namenszusatzes 'Prinz' als die Person 'wiedererkannt', die ihnen Herr Haußner vergeblich vorzustellen versucht hatte". Frank Haußner und sein Anwalt ließen eine MDR-Anfrage unbeantwortet.
Fantasiestaat "Fürstentum Reuß"
Dass Reuß offenbar schon weit vor seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft in der "Patriotischen Union" auf der Suche nach Gleichgesinnten war, zeigen auch weitere Beispiele. Nach Informationen von MDR Investigativ soll er im Jahr 2020 in seinem Jagdschloss in Bad Lobenstein den Fantasiestaat "Fürstentum Reuß" ausgerufen haben.
Bald darauf tauchten unweit des Anwesens öffentliche Aushänge auf, auf denen zu Fantasie-Wahlen aufgerufen wurde. Reichsbürger meinen: Wenn sie Schein-Wahlen abhalten, reaktivieren sie damit Gebiete des Deutschen Kaiserreiches. Ebenfalls 2020 tauchten im Internet mehrere Videos mit Reuß auf, in denen er beispielsweise die Bundesrepublik als "Firma" bezeichnete.
Dubioser Geldtransfer auf Bank in Kiew
Für Reuß‘ Suche nach Gleichgesinnten steht zudem seine Verbindung zu Mustafa S., den Verfassungsschutzbehörden seit Jahren der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene zurechnen. S. lebt in Niedersachsen und betreibt dort ein sogenanntes "Amt für Menschenrechte". Nach Recherchen von MDR Investigativ hatte Reuß mutmaßlich im Juli 2020 Kontakt zu S. aufgenommen. Dieser unterstützte den Prinzen fortan offenbar bei dessen jahrelangen und meist vergeblichen juristischen Auseinandersetzungen, Immobilien und Land aus dem Eigentum seiner einst adeligen Familien zurückzubekommen.
Für diese Unterstützung soll Reuß Ende Juli 2020 10.000 Euro auf ein Konto einer Bank in Kiew überwiesen haben. Das zeigt ein Kontoauszug der Luzerner Kantonalsbank, den MDR Investigativ einsehen konnte. Verwendungszweck der Überweisung "Aufwandsentschädigung Fall Reuß".
In der Folge muss S. offenbar Gefallen am Geld von Reuß gefunden haben. In einem Brief, den die Ermittler bei Reuß entdeckt haben, datiert auf Ende August 2020, fordert er eine halbe Million Euro für die Ausarbeitung einer Landes-Verfassung, was Reuß ablehnte. Anfragen von MDR Investigativ haben Mustafa S. sowie die Anwälte von Reuß unbeantwortet gelassen.
MDR (lke/baw/ahem/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 30. Juli 2024 | 18:00 Uhr