Menschen bei einer AFD Demonstration
Der extrem rechte Aktivist Frank Haußner (weinrotes Hemd) und der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke (rechts daneben) bei einer Demo in Erfurt im September 2022. Bildrechte: MDR THÜRINGEN

Nach bundesweiter Razzia Spurensuche: Die Thüringer AfD und die Reichsbürger-Szene

18. Dezember 2022, 11:21 Uhr

Anfang Dezember machte eine deutschlandweite Großrazzia im Reichsbürger-Milieu Schlagzeilen. Die Ermittlungen des Generalbundesanwalts werfen ein Licht auf mögliche Kontakte zwischen Reichsbürgern und der AfD. Denn neben Heinrich XIII. Prinz Reuß wird auch gegen eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete ermittelt. Gibt es Spuren aus der Thüringer Reichsbürgerszene in die Partei? Die Thüringer AfD distanziert sich von Reichsbürger-Positionen. Forscher sehen dennoch "Überschneidungspunkte".

"Zuerst unser Land!" stand auf dem breiten blauen Transparent. Getragen wurde es im September 2022 von Björn Höcke bei einer Demonstration in Erfurt.

Schulter an Schulter dabei unterstützt, wurde der Thüringer AfD-Landeschef von seinen Fraktionskollegen im Landtag Stefan Möller, Wiebke Muhsahl und Robert Sesselmann sowie von dem extrem rechten Aktivisten Frank Haußner.

Aktivist Haußner engagiert bei rechter Vernetzungsplattform

Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN engagiert sich der Dachdecker aus Zeulenroda für die rechte Vernetzungsplattform "Freies Thüringen" sowie für die Gruppierung "Patrioten Ostthüringen". In deren Namen organisierte Haußner mehrere Treffen bei denen Menschen aus dem Reichsbürger-Milieu zusammenkommen waren.

Bei einem solchen "Informationsabend" in der Nähe von Gera teilte er seinem Publikum im vergangenen Jahr mit: "Das Völkerrechtssubjekt Deutsches Reich ist bis heute erhalten geblieben. Diese BRD war noch nie ein souveränes Land und ist bis heute ein von den Alliierten besetztes Territorium". So klingen klassische Reichsbürger-Positionen.

Verbindungen zwischen Aktivist Haußner und Heinrich XIII. Prinz Reuß

Nach eigenen Angaben soll Haußner auch mit Heinrich XIII. Prinz Reuß in Verbindung gestanden haben, dem mutmaßlichen Kopf der mutmaßlichen Reichsbürger-Verschwörer. Haußner sagte, 2019 habe ihn der Adlige zu einem Treffen "führender Akteure aller Reichsbürgerströmungen" eingeladen. Prinz Reuß wurde in der vergangenen Woche bei Durchsuchungen im Reichsbürger-Milieu ebenfalls verhaftet.

"Vermittler" im Dienst der AfD

Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN teilte AfD-Landessprecher Stefan Möller mit, Frank Haußner sei "einigen Vorstandsmitgliedern des Landesverbands seit einigen Jahren" bekannt. "Er war neben einer Reihe weiterer Vertreter des Bündnisses 'Freies Thüringen' an organisatorischen Absprachen in Bezug auf Demonstrationen beteiligt." Haußner habe "in dieser Sache beispielsweise gegenüber Vertretern linker Gruppierungen, zu denen die AfD Thüringen keinen Gesprächskanal hatte", vermittelt.

Thüringer AfD distanziert sich von Reichsbürger-Positionen

Darüber hinaus teilte AfD-Landessprecher Möller mit: "Abweichend von der Praxis anderer Parteien stellt die AfD Thüringen keine Bedingungen für Kontakte mit Bürgern, Interessenten und Gesprächspartnern. Wir stellen insbesondere keine Vorbedingungen in Bezug auf Überzeugungen oder forschen diese aus. Aus der Natur der Sache ergeben sich damit auch Kontakte zu Menschen, die möglicherweise dem sogenannten 'Reichsbürger'-Milieu zugerechnet werden."

Die AfD habe "in einigen Bürgerdialogen zu den in diesem Milieu vorhandenen Überzeugungen Stellung bezogen, Widersprüche aufgezeigt und ihre eigene, abweichende Position verdeutlicht", ergänzte Möller. Im Klartext: Die Thüringer AfD geht auf Distanz zu Reichsbürger-Positionen.

Verfassungsschutz zählt bundesweit 21.000 Reichsbürger

In der vergangenen Woche waren Polizei und Bundesanwaltschaft mit mehreren tausend Einsatzkräften bundesweit gegen ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus Reichsbürgern vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen.

Es gibt mehr als 50 Beschuldigte. Unter den Verdächtigen befinden sich neben Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein aktiver Soldat, Reservisten der Bundeswehr sowie die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann.

zum Aufklappen: Was sind Reichsbürger?

Reichsbürger sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen und behaupten, dass das Deutsche Reich nach 1945 weiter bestehe. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen und stehen häufig im Konflikt mit Behörden. Manche Reichsbürger gründen Fake-Regierungen und Fantasie-Staaten.

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Strömungen, Gruppen und Einzelpersonen, die teilweise gegeneinander agieren. Geeint sieht sich das Milieu in einem gemeinsamen Glauben an eine angebliche Verschwörung, wonach dunkle Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen und ganze Bevölkerungen unterdrücken.

Der Verfassungsschutz rechnet der Szene in Deutschland rund 21.000 Anhänger zu.

Thüringer AfD-Chef Höcke selbst Teilnehmer auf Demos

Nach MDR-Recherchen zählt Frank Haußner zu einem Organisatoren-Kreis, der regelmäßig Demonstrationen beispielsweise in Gera oder Erfurt anmeldet.

Der AfD-Politiker Höcke nahm an diesen Veranstaltungen mehrfach teil. So sagte er etwa im November in Erfurt während einer Rede: "Wir die Volksopposition im Parlament und die Volksopposition auf der Straße, wir lassen uns nicht spalten. Niemals!".

Extremismusforscher sieht Überschneidungspunkte

Johannes Kiess, Soziologe an der Universität Leipzig, verortet den Thüringer AfD-Landesverband, der vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft wird, im selben Milieu wie die Reichsbürger-Bewegung.

Wir haben es mit einer breiten weit rechten Mobilisierung zu tun, die aus ganz unterschiedlichen Akteuren besteht

Johannes Kiess Soziologe an der Universität Leipzig

"Wir haben diese Netzwerke über die AfD, verschiedene Vorfeldorganisationen und Vereine bis eben hin zu anderen rechtsextremen Parteien wie Freie Sachsen, lokalen Gruppen und eben auch der Reichsbürgerszene", sagte Kiess auf MDR-Anfrage.

Schnittpunkte bei Demonstrationen und Wahlkämpfen

Die Akteure dieses Netzwerks verfolgten "teilweise unterschiedliche ideologische Ziele", betonte Kiess: "Reichsbürgerei ist nicht die Kernideologie der AfD, aber es gibt Überschneidungspunkte." Man arbeite "schnittpunktmäßig" zusammen beispielsweise bei Demonstrationen oder Wahlkämpfen.

Einig seien sich die unterschiedlichen Akteure in der Ablehnung der liberalen Demokratie. "Im Agieren treffen sie sich darin, die Demokratie sturmreif zu schießen. Da kann man gut zusammenarbeiten, auch wenn man dann die konkreten Ziele doch nicht teilt."

Reichsbürger-Rede in Wünschendorf/Elster

Aktivist Haußner scheint ein gemeinsames Agieren möglichst vieler extrem rechter Akteure für wichtig zu halten. Deutlich wurde dies im Oktober 2021 bei einem "Informationsabend" zum Thema: "Der Nachweis der Deutschen Staatsangehörigkeit nach RuStAG 1913" in Wünschendorf/Elster südlich von Gera. Haußner hatte das Treffen in den Räumlichkeiten eines Heimatvereins mitorganisiert.

In seiner Eröffnungsrede beschwerte sich Frank Haußner über "AfD-ler", die seine Einladung offenbar ausgeschlagen hatten: "Wir müssen aufhören, über die Stöckchen der dunklen Gestalten an den Schalthebeln der Macht in unserem Land bereitwillig zu springen. Lasst uns Distanzierung und Abgrenzung in den eigenen Reihen beenden! Das ist ein Aufruf an die AfD-ler, die unserem Abend heute fern geblieben sind. Umso mehr freue ich mich, dass einige AfD-ler heute bei uns sind. Uns alle vereint ein Ziel: Die Überwindung des BRD-Unrechtsregimes."

Uns alle vereint ein Ziel: Die Überwindung des BRD-Unrechtsregimes.

Frank Haußner Eröffnungsrede bei "Informationsabend" im Oktober 2021 in Wünschendorf/Elster

Welche AfD-Mitglieder an diesem Abend in Wünschendorf/Elster begrüßt wurden, und ob die Thüringer AfD das von Haußner ausgerufene gemeinsame Ziel teilt, ist unklar. Auf Anfrage teilte AfD-Landesprecher Möller dazu mit: "Über die erwähnte Veranstaltung in Wünschendorf liegen keine Erkenntnisse vor."

Aktivist Haußner und Heinrich XIII. Prinz Reuß schweigen zu gemeinsamen Treffen

Frank Haußner reagierte auf eine ausführliche Anfrage von MDR THÜRINGEN nicht. Offen ließ der Aktivist auch Fragen zu Heinrich XIII. Prinz Reuß, den er in seiner Rede beim "Infoabend" mehrfach erwähnte. "Wir haben im Gebiet des Fürstentums Reuß die einmalige Konstellation einen legitimen Rechts-Nachfolger eines Reichsfürsten zu haben, der den Weg zu Souveränität und Staatlichkeit mit uns gehen will. Ich werde diesen Weg mit ihm gemeinsam gehen und rufe Euch auf diesen Weg ebenfalls einzuschlagen. Lasst uns als nachgewiesene Deutsche entsprechend unserer Abstammung der Staatssimulation BRD den Rücken kehren!"

Rede von Prinz Reuß bei "Infoabend" in Wünschendorf/Elster

Laut Haußner soll Prinz Reuß in Wünschendorf/Elster ebenfalls im Oktober 2021 einen Vortrag gehalten haben: "Ein Höhepunkt in der Reihe der Treffen und Infoabende hier in diesem Raum." Zudem berichtete Haußner seinem Publikum von einer weiteren Begegnung mit dem Adligen im Sommer 2019: "Prinz Heinrich Reuß lud führende Akteure aller Reichsbürgerströmungen zu einem Treffen ein. Er hatte dazu aufgerufen, allgemeinverständliche und von allen tragfähige und rechtssichere Grundlagen zur Rückkehr zur Souveränität und Staatlichkeit auszuarbeiten." 34 Teilnehmer sollen mit dabei gewesen sein.

Ob das zehnstündige Treffen im Ostthüringer Jagdschloss des Prinzen "Waidmannsheil" in Saaldorf stattgefunden hat, ist unklar. Der Rechtsanwalt des Adligen äußerte sich dazu - wie Haußner - auf MDR-Anfrage nicht.

Reichsbürger-Kongress in Pfiffelbach

Ein weiteres Reichsbürgertreffen in Thüringen könnte für Ermittler von Interesse sein. Mitte Oktober 2022 fand in einem Hotel in Pfiffelbach im Weimarer Land ein Reichsbürger-Kongress statt.

Auf der Tagesordnung standen Vorträge wie: "Warum das Deutsche Reich wieder entstehen wird" oder "Wahlkommissionen – von Sachsen über Reuß in alle Bundesstatten". Das Publikum soll eine Mischung aus Reichsbürgern, Querdenkern und AfD-Sympathisanten gewesen sein.

Nach MDR THÜRINGEN-Informationen wurde bei dem Treffen auch Heinrich XIII. Prinz Reuß erwartet. Er kam nicht, sein Engagement in der Szene soll dennoch Thema auf dem Treffen gewesen sein.

Bundesanwaltschaft hält sich zu Ermittlungen bedeckt

Zur Frage, ob der Kongress in Pfiffelbach Teil der aktuellen Ermittlungen ist, wollte sich die Bundesanwaltschaft nicht äußern. Dass die Lokalität offenbar ein beliebter Treffpunkt für Akteure am rechten Rand ist, zeigt sich daran, dass drei Wochen nach dem Reichsbürgerkongress die Thüringer AfD im November 2022 dort ihren Landesparteitag abgehalten hat.

AfD gegen schärfere Waffen-Gesetze In den vergangenen Jahrzehnten galten Reichsbürger den Sicherheitsbehörden, Presse und Öffentlichkeit häufig als weltfremde Spinner. Dies änderte sich schlagartig im Jahr 2016 als im bayerischen Georgensgmünd bei einer Razzia ein Polizist von einem Reichsbürger erschossen wurde. Vor dem Hintergrund damals erhobener Forderungen für ein schärferes Waffenrecht, verbreitete die Thüringer AfD eine Pressemeldung unter der Überschrift: "AFD gegen Entwaffnung von 'Reichsbürgern'".

Nachdem bei der Reichsbürger-Razzia in der vergangenen Woche mehr als 90 Waffen gefunden wurden, werden erneut Forderungen laut, den Waffenbesitz für Privatleute einzuschränken. Die AfD hingegen bleibt bei ihrer Position: "Eine Entwaffnung legaler Waffenbesitzer allein auf der Grundlage, dass sie dem sogenannten Reichsbürger-Milieu zugeordnet werden, lehnen wir ab", teilte Stefan Möller mit. "Die persönliche Zuverlässigkeit eines legalen Waffenbesitzers hängt nicht von dessen Gesinnung oder der Abwesenheit skurriler Überzeugungen ab, sondern von seiner Rechtstreue und Impulskontrolle."

MDR (jw)

Mehr Hintergründe zu den Ermittlungen gegen die Reichsbürger-Szene

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 16. Dezember 2022 | 19:30 Uhr

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