Superwahljahr Extremisten auf dem Wahlzettel: Was sollen Wahlausschüsse leisten?
Hauptinhalt
07. Juni 2024, 18:13 Uhr
Wahlausschüsse sollen vor Wahlen prüfen, ob Extremisten kandidieren möchten. Für die Prüfungen gibt es klare Regeln. Wie wenig sie beachtet werden, zeigt auch das Beispiel eines AfD-Kandidaten im Unstrut-Hainich-Kreis.
In die Stichwahl am Sonntag um das Amt des Landrats im Unstrut-Hainich-Kreis hat es Christopher Drößler nicht geschafft. Allerdings landete der AfD-Kandidat im ersten Wahlgang Ende Mai mit 21,2 Prozent als Drittplatzierter deutlich vor dem Bewerber der CDU. Drößler, Jahrgang 1995, Parteimitglied seit 2016, lebt in Nordthüringen, arbeitet als Polizeibeamter und fungiert als stellvertretender Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Eichsfeld.
Chef des Kreisverbands ist Björn Höcke, der gleichzeitig die gesamte Thüringer AfD anführt. Christopher Drößler ist zudem Mitglied im Thüringer Jugendverband der AfD, Junge Alternative (JA). Beide Zusammenschlüsse werden vom Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" eingestuft.
Wahlausschuss prüfte AfD-Kandidat Drößler nicht
Im Oktober 2023 nahm Drößler an einer JA-Demonstration durch Erfurt teil. Motto: "Deutsche Jugend fordert Remigration." Im Wahlkampf erklärte der Polizeibeamte, Deutschland werde "in Grund und Boden regiert" und dass er als künftiger Chef der Verwaltung "weiteren Schaden vom Landkreis abwenden" möchte. Als angebliche Niedergangs-Ursachen gab Drößler unter anderem "künstliche Energieverknappung" an - ohne auf MDR-Anfrage Belege für das von ihm behauptete Phänomen vorzulegen. Auch darüber hinaus ließ er einen ausführlichen Fragenkatalog unbeantwortet.
Nach Recherchen von MDR Investigativ hat der zuständige Wahlausschuss in Mühlhausen nicht geprüft, ob Drößler die "persönliche Eignung" mitbringt, um als Landratskandidat zugelassen worden zu sein. Auch sein Beispiel zeigt, wie wenig sich Wahlausschüsse offenbar um das Thüringer Kommunalwahlgesetz und die Vorgaben des Innenministeriums als Rechtsaufsichtsbehörde kümmern.
Eigentlich klare Rechtslage
Eigentlich gibt es für die insgesamt 108 Wahlausschüsse, die in Thüringen für die Kommunalwahlen 2024 zuständig sind, klare Regeln und Vorgaben. Auch der Umgang mit mutmaßlich extremistischen Kandidaten ist eigentlich geklärt. Wer in Deutschland nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, kann weder Bürgermeister noch Landrat werden. Denn wer diese Posten bekommt, wird zum Wahlbeamten mit einer "besonderen Treuepflicht" gegenüber dem Staat.
Auf alle Fälle müssen Bürgermeister oder Landräte "jederzeit gewährleisten, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten", teilte dazu auf MDR-Anfrage das Thüringer Innenministerium mit. Bei jeder Berufung in ein Beamtenverhältnis komme es auf die "persönliche Eignung" an. Diese umfasse die "ganze Person mit ihren körperlichen, seelischen und charakterlichen Eigenschaften".
Über die Zulassung aller Bewerber, also über ihre "Wählbarkeit", entscheiden schließlich die örtlichen Wahlausschüsse, die aus einem Wahlleiter und vier in der Gemeinde wahlberechtigten Beisitzern bestehen. Die Mitglieder sind gesetzlich zur "unparteiischen Wahrnehmung ihres Amtes" verpflichtet. Dem Ministerium wiederum ist es grundsätzlich nicht erlaubt, diese Gremien im Vorfeld von Wahlen aktiv mit Informationen über Bewerber zu versorgen.
Allerdings sei es Aufgabe des Ministeriums "im Zuge der Ausübung der Rechtsaufsicht auf konkrete Regelungen und Verfahren bei Wahlen hinzuweisen beziehungsweise zu sensibilisieren". "Das haben wir getan", teilte Ministeriumssprecher Carsten Ludwig mit.
Rundschreiben, Handlungsleitfaden, Musterschreiben
Tatsächlich hatte das Ministerium allen Gemeinden, Landkreisen und Verwaltungsgemeinschaften ein Rundschreiben sowie einen ausführlichen "Handlungsleitfaden für die vorzunehmende Prüfung der Eignung der Bewerber" zukommen lassen. Im Leitfaden heißt es: "Die Frage, ob ein Bewerber die Gewähr der Verfassungstreue bietet, hat der Wahlausschuss im Einzelfall anhand von Umständen zu beurteilen, die - einzeln oder in ihrer Gesamtheit - von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, ernste Besorgnis an der künftigen Erfüllung der Verfassungstreuepflicht zu begründen." Bei den Prüfungen sollen die Ausschüsse auf Grundlage der "zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel" entscheiden.
Um diese Erkenntnismittel zu erhalten, sollen die Wahlleiter bei "konkreten Verdachtspunkten" den Thüringer Verfassungsschutz "unterstützend in das Verfahren" mit einbeziehen. Zu diesem Zweck wurde dem Leitfaden ein "Musterschreiben" an den Geheimdienst beigelegt. Doch nur insgesamt 16 der 108 Wahlausschüsse haben laut Ministerium bei dieser Kommunalwahl die Möglichkeit wahrgenommen, Informationen über Bewerber beim Verfassungsschutz einzuholen.
Auch Kreiswahlleiterin Conny Wachter in Mühlhausen hat sich nach eigenen Angaben nicht über den AfD-Landratskandidaten informiert - trotz Drößlers Engagements als Funktionär an der Seite Höckes oder dessen Teilnahme an der "Remigrations"-Demo der JA in Erfurt. Auf MDR-Anfrage teilte Wachter mit: "Der angesprochene Bewerber der AfD ist nach den vorliegenden Unterlagen Polizeibeamter. Es ist davon auszugehen, dass ein Polizeibeamter jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt." Anderweite Informationen oder Hinweise hätten nicht vorgelegen.
Jurist Brenner skeptisch
Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner sieht Wachters Einschätzung, die wie ein Freibrief für AfD-Kandidaten, die als Polizisten arbeiten, wirkt, skeptisch. Auf Anfrage teilte der Juraprofessor mit: "Wenn ein Bundespolizist Mitglied nicht nur der AfD, sondern auch der Jungen Alternative Thüringen ist, so stellt sich die Frage, ob diese Person noch auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht."
In diesem Fall hätte "zusätzlich geprüft werden müssen", urteilt Brenner, "ob zu der Parteimitgliedschaft noch eine individuelle Verfassungsfeindlichkeit hinzukommt, zum Beispiel durch entsprechende Äußerungen". Wäre dies der Fall gewesen, wäre eine "Nichtzulassung zur Wahl" in Betracht gekommen. Aus Brenners Sicht spreche "vieles dafür, dass die Person nicht mehr hinter dem Grundgesetz" stehe. Sollte dies tatsächlich so sein, sei eine "Entfernung aus dem Beamtenverhältnis unausweichlich".
Disziplinarverfahren gegen Polizisten Drößler?
Ob derzeit ein Disziplinarverfahren zu einer solchen möglichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gegen Drößler läuft, ist unklar. Das Bundesinnenministerium teilte allgemein mit: "Beamtinnen und Beamte in der Bundesverwaltung müssen sich nicht nur durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen und für deren Erhaltung eintreten, sondern auch Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung wahren."
Darüber hinaus ergänzte eine Ministeriumssprecherin: "So sind die Wahrnehmung von herausgehobenen Funktionsämtern oder von Wahlkandidaturen für Parteien, die durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als verfassungsfeindliches Beobachtungsobjekt identifiziert wurden, als Aktivitäten zu bewerten, welche die Annahme eines Verstoßes gegen die Verfassungstreuepflicht rechtfertigen."
Im speziellen Fall verwies das SPD-geführte Bundesinnenministerium auf das Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Von dort hieß es, dass sich die "Bundespolizei zu laufenden Personalvorgängen" nicht äußere. Christopher Drößler selbst hat auf mehrere MDR-Anfragen nicht reagiert.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 09. Juni 2024 | 19:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/b5c7476e-9be5-4a4a-8311-b7b52ab91ad8 was not found on this server.