Versteckte Berühmtheit Thüringerin ist mit 19 Jahren Vize-Weltmeisterin im Kegeln
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11. November 2021, 21:52 Uhr
Eine Kugel, neun Kegel: Überall im Land treffen sich Abend für Abend Frauen, Männer und Kinder, um in geselliger Runde eine ruhige Kugel zu schieben. Selina Fuhrmann aus Weimar tut das Gegenteil: Sie betreibt Kegeln als Leistungssport. In diesem Jahr ist sie mit der Deutschen Nationalmannschaft U23-Vize-Weltmeisterin geworden. Für die 19-Jährige bedeutet das jede Menge Training, aber auch richtig viel Spaß.
Bis in die 1990er-Jahre war Kegeln in Ost- und Westdeutschland nicht nur ein Freizeitvergnügen, sondern Leistungssport. Heute fehlt es vielen Vereinen an Nachwuchs. Im Schöndorfer Sportverein 1949 Weimar ist das anders. Denn hier trainiert eine Vize-Weltmeisterin - Selina Fuhrmann. 19 Jahre ist sie alt und kegelt hier schon seit der Grundschule. Bei einer Schnupperstunde hat sie die Faszination für den Sport gepackt und seitdem nicht mehr losgelassen.
Medaillen, Urkunden, Titel sammeln sich
Schon 2013, da war sie gerade elf Jahre alt, startete sie bei ihrem ersten Wettkampf, der Kreis-Einzelmeisterschaft. "Das war schon aufregend", erinnert sich Selina Fuhrmann. Mit 14 startete sie schon zum Weltpokal U14 und belegte mit ihrem Partner den zweiten Platz. Dann ging es Schlag auf Schlag: Kreismeisterin, Landesmeisterin, Deutsche Vize-Meisterin, Deutsche Meisterin und Vize-Weltmeisterin.
Das Kegel-Training ist anstrengend
Hart erarbeitet sind diese Erfolge. Zweimal in der Woche trainiert sie auf der Bahn, dazwischen geht sie laufen und Seilspringen, es gibt Ausdauertraining, Kraft und Koordination müssen geschult werden. Und auch wenn Selina Mitglied der Nationalmannschaft ist, passiert das alles zu Hause. Sie muss sich selbst motivieren, selbst anspornen, auf ihre Fortschritte achten. Vor der Weltmeisterschaft dann gibt es auch Wochenlehrgänge für die ganze Mannschaft und am Ende die sogenannte "Ultimative Wettkampf-Vorbereitung", ein intensives Training auf den letzten Metern.
Keine Star-Allüren, dafür viel Disziplin
Ziemlich leise ist ihre Stimme, als Selina von ihren sportlichen Erfolgen erzählt. Überhaupt ist sie eher zurückhaltend. Von ihren Titeln wussten eigentlich nur ihre Freunde und Klassenkameraden. Die haben sich dafür sehr mit ihr gefreut. Und ihr geholfen, den versäumten Stoff nachzuholen. Auch die Schule hat sie immer unterstützt. Wenn ihre Freunde zum Bowling gehen, ist Selina auch dabei. Und gewinnt keineswegs: "Das kann ich überhaupt nicht, ich bin richtig schlecht im Bowling. Keine Ahnung, warum", sagt sie lachend.
Ihre Familie hat Selina immer unterstützt. Auch wenn ihre Mutter nicht erwartet hatte, dass sie mal eine Vize-Weltmeisterin zu Hause hat, als sie ihr Kind damals zur Kegel-AG anmeldete.
Insgesamt hat sie vier Töchter und trotzdem findet sie die Zeit, bei den Kegel-Wettkämpfen dabei zu sein. "Ich erinnere mich noch an die Weltmeisterschaft 2017, da hatte ich schon beim Einlaufen der Sportler Gänsehaut", erzählt sie. Und sie musste Selina nie zum Training drängen oder motivieren. "Von Anfang an war sie da sehr diszipliniert." Und im Lauf der Jahre sei ihre Tochter auch viel offener geworden durch den Sport.
Wenn man das wirklich will und richtig hart trainiert, kann das jeder schaffen.
Siege beginnen im Kopf
Dass man besondere Talente braucht fürs Kegeln, glaubt Selina nicht. Man muss es einfach lieben, sagt sie. "Wenn man das wirklich will und richtig hart trainiert, kann das jeder schaffen", ist sie sicher. Technik spielt auch eine Rolle und vor allem die Konzentration, denn an der Spitze werden die meisten Spiele im Kopf entschieden.
Wenn ich beim Wettkampf bin, blende ich alles um mich herum aus. Ich höre dann gar nichts mehr. Dann konzentriere ich mich nur noch auf mich und meine Bahn.
Diese Konzentrationsfähigkeit kommt Selina auch im Alltag zugute. Deshalb macht sie sich auch keine Sorgen um ihre Prüfungen, die demnächst anstehen. Im Februar schließt sie ihre Ausbildung ab. Ob zur Abschlussparty dann gekegelt wird, ist allerdings noch nicht entschieden.
Kegeln bei Todesstrafe verboten
Das Kegeln als Zeitvertreib findet seinen Ursprung in Ägypten, wo man bereits in einem Grab von 3500 vor Christus Teile eines Spiels entdeckte. In Europa entwickelten sich die Vorläufer des heutigen Kegelns erst im 12. Jahrhundert. Man spielte es als Glücks- oder Wettspiel und setzte hohe Beträge ein, was für manchen Kegler den Ruin bedeutete.
Es blieb nicht aus, dass es hierbei zu Gewalttätigkeiten und Betrug kam, sodass dessen Ausübung unter Androhung von Gefängnis und Geldstrafen 1335 in Deutschland verboten wurde. England zog nach und König Eduard III. verbot das Kegeln sogar bei Todesstrafe. In Frankreich wurde es 1454 verboten.
Wie der Kegelsport in geregelte Bahnen gelenkt wurde
Im Jahr 1468 wurde in Deutschland das Kegelverbot wieder aufgehoben. Allerdings zunächst nur für Kirchweihen. Aber bald gibt es kaum ein Volksfest ohne Kegelbahn. Selbst Schiller und Goethe zielten auf die Neune. Jahrhundertelang wurde im Freien gespielt, seit dem 19. Jahrhundert zunehmend in Gaststätten.
Noch 15 Jahre vor dem Deutschen Fußball Bund gründete sich 1885 in Dresden der Zentralverband deutscher Kegelklubs, der bis heute als Deutscher Kegler- und Bowlingbund (DKB) besteht. Zahlreiche Vereine und regionale Zusammenschlüsse gründeten sich, Landesverbände entstanden, ein Spielbetrieb mit verschiedenen Ligen begann. 1922 fanden die ersten deutschen Mannschaftsmeisterschaften statt.
"Gut Holz! Gut Holz! Gut Holz!“
Mitte der 1950er-Jahre wurden in der Bundesrepublik die Bahnen automatisiert. Bis dahin hatten Kegeljungen immer wieder alle Neune aufgesetzt. Diese Arbeit übernahmen jetzt Stellmaschinen. Noch 1882 hatte die Berliner Zeitung ihre Leserinnen gewarnt: "Kegeln ist schädlich für das Weib!" Erst 1926 nahm der Deutsche Keglerbund die erste Frau in seine Reihen auf.
Der erste Weltmeister kam aus der DDR
Die erste Kegel-WM gab es in Essen 1955. Weltmeister wurde damals Eberhard Luther, sowohl im Einzel, als auch mit der DDR-Mannschaft. Als die DDR-Führung Anfang der 70er-Jahre die Sportförderung änderte und fast nur noch medaillenträchtige olympische Sportarten unterstützte, ging es mit dem Kegelsport bergab. 20 Jahre später brachte die Wende ein großes Sterben von Clubs und Kegelsportstätten mit sich.
Mitgliederzahlen erholen sich
Inzwischen erholen sich die Mitgliederzahlen wieder. Laut Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbunds gibt es in Deutschland 1.490 Kegel-Vereine mit insgesamt 68.710 Mitgliedern. Der Deutsche Kegelbund schätzt, dass etwa 21 Millionen Menschen hierzulande hin und wieder zu ihrem Vergnügen kegeln. Der Durchschnittskegler ist männlich und weit über 50. Als Jugendspieler zählen 30-Jährige, nur zehn Prozent sind jünger als 18. Bundesligaspiele finden vor 50 Zuschauern statt. Dass Deutschland im Kegeln zur Weltelite gehört, wissen nur Eingeweihte.
In Thüringen liegt Kegeln in Bezug auf die Mitgliederzahlen mit 11.233 Sportlerinnen und Sportlern übrigens auf Platz acht. Fußball und Turnen führen die Tabelle an (Quelle: Landessportbund Thüringen e.V.).
Im Jahr 2027 wird es eine Kegel-WM in Thüringen geben. Zum ersten Mal. Und wer weiß, vielleicht ist Selina Fuhrmann dann ja auch dabei. Auf jeden Fall steht ein WM-Titel bei den Frauen auf ihrer persönlichen Wunschliste.
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 13. September 2021 | 19:00 Uhr
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