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Konferenz "Ich bin komplett zusammengesackt": Wie Bahn-Mitarbeiter Übergriffe in Zügen erleben
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28. Februar 2025, 14:49 Uhr
Mit betrunkenen Oktoberfest-Gästen oder aggressiven Fußballfans im Regionalexpress - das ist der Alptraum für Zugbegleiter. Auf einer Konferenz zur Sicherheit in Zügen haben auf Einladung der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG Betroffene, Unternehmensvertreter und Politiker die Sicherheitslage auf der Schiene besprochen. Fazit: Schon der Alltag ist für Bahn-Mitarbeiter mit Kundenkontakt oft kein Vergnügen.
Welche Arten von Übergriffen gibt es in den Zügen?
Es sind vor allem Beleidigungen und Drohungen, mit denen Bahn-Mitarbeitende konfrontiert werden. Aber längst nicht alle Übergriffe werden angezeigt und viele Strafanzeigen verlaufen im Sand. Eine Umfrage der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG mit etwa 4.000 Teilnehmern aus dem vergangenen Jahr ergab, dass 82 Prozent der Mitarbeiter mit Kundenkontakt schon beleidigt, etwa drei Viertel schon bedroht wurden.
Etwa zwei Drittel davon wurde innerhalb der vergangenen zwölf Monate beleidigt. Etwas mehr als ein Drittel gibt an, mehrfach im Monat betroffen zu sein. Nur ein Drittel der Betroffenen erstattete Anzeige - auch wegen geringer Erfolgsaussichten.
Allein die Deutsche Bahn hat 2023 mehr als 3.000 Übergriffe auf ihre Beschäftigten in Zügen und Bahnhöfen vermeldet, etwa doppelt so viele wie 2014 - gerade im Regionalverkehr fahren auch in Thüringen noch verschiedene andere Unternehmen auf der Schiene. Die EVG-Umfrage legt nahe, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. Eine Antwort auf eine Anfrage an die Bundespolizei zu aktuellen Zahlen zu Strafanzeigen steht noch aus.
Welche Beispiele schildern betroffene Bahnmitarbeiter?
Es gibt zahlreiche Schilderungen. Zum Beispiel berichtet die Reisezentrums-Mitarbeiterin Sandra Tiersch-Noack von einem anfangs banalen Vorgang mit einem Kunden. Der musste etwas nachzahlen, weil er nicht nachweisen konnte, dass ein von ihm genutztes Deutschland-Ticket wirklich seines war:
"Er fing an, mich zu beschimpfen, zu bedrohen. Seine letzten Worte waren dann: 'Wir sehen uns. Ich warte draußen auf dich.' Ein Kollege wollte helfen, aber ich habe mich umgedreht und gesagt: Lass es - ehe es ganz eskaliert. Der ging dann raus und sagte noch einen Satz, den ich jetzt nicht wiederholen möchte. Ich bin mit Sicherheit hart im Nehmen, bin viele Jahre dabei und habe einiges erlebt. Da dachte ich, das geht gar nicht. Meine Kollegin kam und sagte, geh erstmal raus, geh an die Luft. Da bin ich komplett in mich zusammengesackt."
Man steckt es 100-mal weg und beim 101. Mal kracht es eben.
Auf der Konferenz nicken viele Kollegen bei solchen Schilderungen. Sie kennen das. Der Eindruck entsteht: Es ist Alltag. "Man steckt es 100-mal weg und beim 101. Mal kracht es eben", sagt Tiersch-Noack.
Ein anderer Bericht aus den Reihen der Erfurter Bahn kommt von Sven Körner. "Ich habe letztes Jahr drei Fälle angezeigt. Darunter ist eine Person, die bei der Erfurter Bahn schon unbefristetes Beförderungsverbot hat. Von dessen Freundin bin ich letztes Jahr vollgespuckt worden. Da fühlt man sich nicht so toll."
Er habe die Schicht abbrechen müssen und vier Stunden auf den Durchgangsarzt gewartet. Diagnose des Mediziners nach vier Stunden Wartezeit: "Patient ist traurig, aber stabil." Stille im Saal. "Aber immerhin hat er mich krankgeschrieben."
Begleiterin berichtet von Tötungsdelikt
Fernverkehrs-Zugbegleiterin Christina berichtet, sie habe es schon mit Zechprellern im Bord-Bistro zu tun gehabt und Menschen mit Spritzen im Arm von der Toilette geholt.
Eine Kollegin berichtet, bereits Zeugin eines Tötungsdelikts gewesen zu sein - und wenige Tage danach wieder den Dienst angetreten zu haben. Immer wieder sind auch Schilderungen zu hören, dass die Hemmschwelle durch die Maskenpflicht in den Zügen während der Corona-Pandemie niedriger geworden ist. Auch übervolle Züge durch den Erfolg des Deutschlandtickets führten immer wieder zu Problemen.
Welche Personengruppen sind häufig übergriffig?
Die meisten Zugbegleiter haben in der Umfrage angegeben, sich durch Betrunkene unsicher zu fühlen. Zum Beispiel nach Fußballspielen oder Volksfesten. Die Fahrgäste würden sich oft unberechenbar verhielten und viel häufiger aggressiv würden als nüchterne Mitfahrende.
Meine Anzeigen waren allesamt gegen Deutsche.
Tatsächlich hatte es im vergangenen Jahr rund um die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Suhl viele Probleme gegeben mit Angriffen und Schwarzfahrten. Die Südthüringen-Bahn hatte daraufhin zusätzliches Sicherheitspersonal angeheuert, das Land hatte sich daran später beteiligt.
Viele betroffene Mitarbeiter betonen allerdings, das sei beileibe kein Ausländer-Problem. Zugbegleiter Sven Körner: "Meine Anzeigen waren allesamt gegen Deutsche." Vielmehr ist der Tenor: Aggressionen und Übergriffe ziehen sich durch viele Bevölkerungsgruppen und soziale Klassen.
Wie könnte die Sicherheit verbessert werden?
In der EVG-Umfrage geben fast alle Befragten an, dass die sogenannte Doppelbesetzung helfen kann. Sprich: mindestens zwei Zugbegleiter pro Zug in Regionalzügen. Im Zweifel gibt es damit eine zweite Person, die sofort helfen kann.
Tarek Bannoura, Geschäftsstellenleiter der EVG in Erfurt, fasst die Forderungen der Gewerkschaft zusammen: "Mehr Investitionen in Infrastruktur und größere Kapazitäten in den Zügen. Mehr Geld für mehr Personal, damit Zugbegleiter öfter zu zweit unterwegs sind, mehr Geld und Personal für die Bundespolizei, die für den Schienenverkehr zuständig ist." Zudem müsse der Paragraf 115 des Strafgesetzbuchs ausgeweitet werden auf Zugpersonal - bisher gelten härtere Strafen nur bei Angriffen auf Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungsdienst-Mitarbeiter.
Bodycams befürwortet
90 Prozent befürworten in der Umfrage zudem den Einsatz von Bodycams, um im Zweifel bei Vorfällen auch einen Beweis zu haben - und ein Verfahren nicht durch gegensätzliche Aussagen zum Scheitern zu verurteilen.
Mehrfach ist auf der Konferenz von den Mitarbeitern zu hören: Schwarzfahren dürfe nicht bagatellisiert werden. Sonst bekämen Schwarzfahrer das Gefühl, ihr Vergehen sei eine Bagatelle, die nicht bestraft werden dürfe. Und hätten dann wenig Verständnis, dass sie den Zug ohne gültigen Fahrschein am nächsten Halt verlassen müssen.
Merlin Sven Zink, ebenfalls Zugbegleiter, merkt an, dass es auch mit dem Sicherheitspersonal mitunter Probleme gibt. "Wenn die allein sind, schauen sie auch gerne mal weg." Auch diese Mitarbeiter seien mitunter überfordert oder schlecht vorbereitet - insbesondere wenn es Mitarbeiter von Subunternehmen sind, die schlecht ausgebildet und ausgestattet sind.
Welche Hilfsangebote gibt es für betroffene Mitarbeiter?
Bei der Erfurter Bahn können Angriffe über eine App registriert werden - auch Sachbeschädigungen können hier leicht der Zentrale gemeldet werden. Es gibt sowohl bei der Erfurter Bahn, bei Abellio und bei DB Regio Deeskalationstrainings, die Mitarbeiter darin schulen sollen, mit gefährlichen Situationen umzugehen und sich im Fall der Fälle aus ihnen zurückziehen zu können.
Laut Betreiber wird die App gut angenommen und ist in vielen Fällen hilfreich. Von ihren Arbeitgebern fühlen sich viele durchaus gut betreut - oft sei aber auch Luft nach oben. Das Eigeninteresse an mehr Sicherheit ist jedoch spürbar. Auch von Abellio ist zu hören, dass auf bestimmten Verbindungen zu bestimmten Zeiten bereits mit höherem Krankenstand zu rechnen ist. Ein Gebietsverantwortlicher sagt: "Ich verantworte 80 Mitarbeiter. Von denen haben 40 Angst, wenn sie unterwegs sind." Das könne es doch nicht sein.
Nicht nur Personal, sondern auch Züge betroffen
Zuletzt hatten mutmaßliche Anhänger der Fußballvereine FC Rot-Weiß Erfurt und FC Carl Zeiss Jena mehrere Züge mit Grafitti beschmiert. Die Bundespolizei dokumentiert auch immer wieder beschädigte Innenausstattung in Zügen. Etwa bei der Auswärtsfahrt der Jenaer nach Chemnitz waren in mehreren Bahnwaggons der DB Regio erhebliche Schäden angerichtet worden - zerschnittene Sitze, beschmierte Tische und Fenster.
Thomas Grewing, Betriebsleiter der Erfurter Bahn, erläuterte auf der Konferenz, dass innen oder außen beschädigte Waggons dann jedes Mal aus dem laufenden Betrieb genommen und repariert werden müssten. Allein in seinem Unternehmen seien das Schäden von mehreren Zehntausend Euro jedes Jahr.
Was tut die Landesregierung für die Sicherheit?
Die alte Landesregierung hatte nach einem Brandbrief an die Presse im vergangenen Jahr Sicherheitspersonal für die Verbindung Erfurt-Meiningen finanziert. Das Geld soll auch künftig bereitgestellt werden. Zudem ist ein Kontingent für Sicherheitspersonal in neuen Ausschreibungen für den regionalen Nahverkehr vorgesehen, den das Land Thüringen bestellt und bezuschusst.
Bestehende Verkehrsverträge sollen so verändert werden, dass mehr Sicherheitspersonal ermöglicht wird. Was das genau kostet, konnte der neue Verkehrsminister Steffen Schütz (BSW) noch nicht beziffern. Von den aktuell schwierigen Haushaltsverhandlungen solle das aber nicht beeinflusst werden. "Wir sparen hier nicht", sagte er MDR THÜRINGEN. Dass die höheren Kosten für Sicherheit zu einem geringeren Angebot führen, will Schütz ebenfalls nicht. Ob sich diese Aussage halten lässt, ist ohne konkrete Zahlen schwer zu fassen.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 27. Februar 2025 | 19:00 Uhr
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